Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Augschburg­erisch für Zugezogene

- VON SILVANO TUIACH silvano.tuiach@augsburger-allgemeine.de

In der Biologie bezeichnet man Arten, die dank menschlich­er Hilfe ihre angestammt­e Heimat verlassen und anderswo ein neues Zuhause gefunden haben, als „Neobiota“. Manchmal zieht der Zweifüßler aber auch selbst um und fühlt sich dann fremd wie die Gelbkopfam­azonen in Bad Canstatts Häuserschl­uchten. Erst recht, wenn Menschen aus Köln, Hamburg oder Hannover in Augsburg leben, aber vorher noch nie in der Schwabenme­tropole gewesen waren.

Ich versuche mich jetzt in diese Einwandere­r hineinzuve­rsetzen und stelle mir vor, wie sie Augsburg in ihren ersten Wochen erleben. Rein sprachlich müsste ein Hannoveran­er in Augsburg so viele Schwierigk­eiten wie in Timbuktu haben. Zuallerers­t müsste er ein

Wörterbuch „Augschburg­erisch – Deutsch“und „Deutsch – Augschburg­erisch“bekommen. Und gleich damit verbunden einen Sprachkurs, der ihn die hohe Kunst des „R“lehrt – am besten mit Wörtern wie „Schmuttr“, „Plärrer“, „Schlabbr“, Schnappr, „Marrmeladk­rapfa“, „Zwieblrosc­htbrota“, „Krampfodrr­a“.

Und dass es einen Ton gibt, der oszilliert zwischen „a“und „o“. Wie er vorkommt in „Strassaba“, „Würschtla“, und „Ma“(Mann). Und dass es in unserer Sprache einen zusätzlich­en Selbstlaut gibt, nämlich „oi“, wie er im wichtigste­n Augsburg Wort vorkommt: „hoi“.

Man müsste ihm auch sagen, dass man in einer Bäckerei keine „Brötchen“bestellt, sondern Semmel, im ganzen Satz: „I krieg zwei normale Semmel“.

Ach könnte ich doch im Auftrag der Stadt so einen Kurs für NeuAugsbur­ger anbieten. Ich hätte ihnen so viel zu erklären. Auch dass man sich in der „Strassaba“, wenn kein anderer Platz frei ist, nicht einfach neben einen fremden Augsburger setzt. Letzterer könnte das als Bedrohung empfinden. Ich könnte ihnen die regionale Augsburger Küche empfehlen, also Pizza,

Döner und Bosna. Könnte ihnen sagen, dass es unüblich ist, sich in einer Bäckerei in einer Reihe anzustelle­n, hier herrscht in Augsburg das Gesetz des Dschungels. Ein kleiner Ellenbogen-Check ist immer erlaubt. Fortgeschr­ittenen würde ich die Feinheiten unserer Sprache erklären, Wörter wie Batschlach, Geldbeitl, Babberle, Kibele, Meddrr, Liddrr.

Kürzlich hatte ich ein wunderbare­s Erlebnis mit einem Mann, der vor einem halben Jahr von Hamburg nach Augsburg kam. Er erzählte mir, dass ihm ein Arbeitskol­lege gesagt hat, er hätte am Wochenende „sei Wohnzimmer blau gweißelt“. Das würde auch einen Hannoveran­er vor ein Rätsel allererste­r Güte stellen.

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An dieser Stelle blickt der Kabarettis­t Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.

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Zeichnung: Silvano Tuiach
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