Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Illegale Autorennen nehmen in Augsburg zu
Vor Gericht müssen sich derzeit zwei junge Männer verantworten. Sie sollen mit Tempo 115 durch die Stadt gerast sein. Die Polizei hat immer häufiger mit solchen Fällen zu tun – und manche Anwohner sind genervt
Abends bekommt Erik Schmelter oft mit, wie Autofahrer Gas geben. „Man hört auch, ob es zwei sind, die beschleunigen.“Der 40-Jährige wohnt mit seiner Familie am Klinkerberg. Ob es illegale Autorennen sind, die vor seiner Haustür ausgetragen werden, kann der Anwohner nicht beurteilen. Um genau diese Frage geht es derzeit vor Gericht. Dort müssen sich zwei junge Männer wegen des Vorwurfs eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens verantworten. Dieser Fall wäre nicht der einzige in Augsburg. Die Polizei berichtet von einer Zunahme.
Es ist eine Sommernacht im August 2019, kurz nach Mitternacht. Zwei Beamte der Verkehrspolizei fahren in Zivil durch die Stadt. Beim Roten Tor fallen ihnen zwei junge Autofahrer auf. Merkwürdig seien sie gefahren, sagt einer der Polizisten, die in der Verhandlung als Zeugen auftreten. „Sie fuhren mit erhöhter Drehzahl. Wir hatten den Eindruck, sie necken sich.“Schon da seien die beiden Autos mit Tempo 70 zu schnell gewesen. Als die Autos auf die Haunstetter Straße stadtauswärts abbogen, gaben die Fahrer dann richtig Gas.
Mit mindestens 115 km/h sollen sie die Straße entlanggerast sein. Das haben Messungen der Polizisten ergeben. Das Gericht wirft dem 23-jährigen Augsburger und dem 28 Jahre alten Dachauer vor, dass sie herausfinden wollten, wer von beiden schneller fährt. Ein illegales Rennen also. Es spielt eine große Rolle, ob es sich tatsächlich um solch einen Fall handelt. Denn erst seit Oktober 2017 werden verbotene Kraftfahrzeugrennen juristisch als eine Straftat bewertet. Vorher wurden vergleichbare Fälle nur als Ordnungswidrigkeit eingestuft.
Theoretisch kann auf so ein Delikt bis zu zehn Jahre Gefängnis stehen – sofern ein Mensch bei dem Rennen schwer verletzt oder gar zu Tode gefahren wird.
Vor wenigen Tagen erst verurteilte das Landgericht Kleve einen 22-Jährigen wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe. Er und ein weiterer Mann hatten sich mit ihren 600-PS-starken Autos im nordrhein-westfälischen Moers ein verbotenes Rennen geliefert. Dabei starb eine 43-jährige Mutter, die in ihrem Auto gerammt wurde.
Solch PS-starke Boliden fahren die beiden Männer an besagtem
Sommerabend in Augsburg nicht. Der eine sitzt in einem BMW318i, der andere in einem Suzuki Swift. Nicht unbedingt die „Renner“also, wie auch einer der Polizisten vor Richterin Rita Greser meint. „Viel ist es nicht, was man mit den Dingern fahren kann.“
Für die Innenstadt reicht es allemal, um ein gefährliches Tempo aufzunehmen, wie es die beiden getan haben sollen. Seit 2017 wurden in der Stadt 25 Fälle von illegalen Autorennen erfasst. Die Zahl ist zuletzt gestiegen.
Während im ersten Jahr nur zwei Fälle registriert wurden, waren es 2018 bereits acht. Vergangenes Jahr stellte die Polizei 15 Fälle fest. „Ob die Steigerung mit der Einstufung als Straftat zusammenhängt, kann allerdings nicht beurteilt werden“, betont Polizeisprecherin Maria Enslin. In Augsburg entstünden Rennen oft spontan auf der Straße. „Dabei spielen zufällige Begegnungen im Straßenverkehr eine große Rolle.“Vereinzelt würden auch Rennen aus der Tuningszene heraus veranstaltet, so die Polizeioberkommissarin. „Ort und Zeitpunkt werden dabei sehr kurzfristig vereinbart. Sie sind nicht grundsätzlich vorausgeplant.“
Die Organisatoren seien häufig die Teilnehmer selbst. „Ein übergeordneter Organisator tritt dabei nicht auf.“Dass es bei den Rasern bevorzugte Strecken gibt, stellt die
Polizei nicht fest. „Die erfassten Rennen fanden im gesamten Stadtgebiet statt.“Anwohner Erik Schmelter jedenfalls fällt schon lange auf, dass am Klinkerberg vor allem abends gerne beschleunigt wird. Er wohnt unten am Berg, wo sich in der Nähe eine Ampel befindet.
„Sie dient oft als vermeintliche Startlinie. Auf unserer Höhe haben die Autos geschätzt bereits Tempo 70. Auf so eine Geschwindigkeit muss man auf der kurzen Strecke aus dem Stand erst mal kommen.“Er wolle nicht wissen, wie viel Fahrt manche Autos hoch in Richtung Stadtmitte noch aufnehmen. Weil ihm die Situation reicht, hat der Familienvater bereits vergangenes Jahr die Online-Petition „Verkehr am Klinkerberg“gestartet. Er will, dass die Verkehrssituation dort, in der Nähe des Plärrers, entschärft wird. Sei es durch eine Zone 30, Zebrastreifen oder Blitzer. 86 Menschen hätten bislang unterschrieben. „Dafür, dass ich es nicht beworben habe, ist das okay.“Aber er wolle die Petition noch einmal anstoßen. Denn er und Anwohner seien mit ihren Anliegen bislang bei den Behörden gescheitert.
Wie es für die beiden jungen Männer, die im August die Haunstetter Straße mit über 100 km/h entlanggerast sein sollen, vor Gericht ausgeht, ist noch nicht entschieden. Der Feinwerkmechaniker aus Augsburg und der derzeit Arbeitssuchende aus Dachau haben gegen ihren Strafbefehl Einspruch eingelegt. Im Prozess schweigen sie bislang. Ihre Verteidiger räumen zwar ein, dass sie zu schnell fuhren. Doch ein illegales Rennen sehen sie hier nicht vorliegen. Am Donnerstag wird in der Angelegenheit voraussichtlich das Urteil fallen.