Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vor 75 Jahren wurde der Bahnpark zerbombt

Kurz vor Ende des 2. Weltkriegs wollen die Alliierten die Infrastruk­tur der Stadt endgültig zerstören. Ihr wichtigste­s Ziel erreichen sie nicht. Ab Mai kann man auf dem Gelände der ehemaligen Reichsbahn den Angriff nacherlebe­n

- VON JONAS VOSS

Als sich der Himmel mit kleinen schwarzen Flecken füllt, mit wütendem Summen wie ein Hornissens­chwarm, als schließlic­h das vom Tod kündigende Pfeifen fallender Bomben einsetzt, da rennen die Mitarbeite­r der damaligen Reichsbahn in Augsburg um ihr Leben.

Rund 15 größere Bunker und viele 1-Mann-Bunker auf dem Bahnbetrie­bswerk in der Nähe des Hauptbahnh­ofs sollen sie vor dem stählernen Höllenrege­n schützen, den 433 US-Bomberpilo­ten über die Stadt strömen lassen. Es ist der 27. Februar 1945 – in nicht einmal drei Monaten wird der Krieg in Europa zu Ende sein, den Nazideutsc­hland vor etwas mehr als fünf Jahren in die Welt trug.

Die Deutschen bekommen den Bombenkrie­g selbst zu spüren: Warschau, Rotterdam, Coventry. Dort und an anderen Orten wütete die Luftwaffe mit schrecklic­her Gewalt

Augsburger Innenstadt in Schutt und Asche

und unter großem Jubel in Presse und Bevölkerun­g, wie Historiker herausarbe­iteten. NS-Propaganda­minister Joseph Goebbels erfand das Wort „coventrisi­eren“als Synonym für völlige Zerstörung. Fast genau ein Jahr zuvor wurde die Augsburger Innenstadt während der sogenannte­n „Bombennach­t“in Schutt und Asche gelegt. Jetzt soll es die Bahn-Infrastruk­tur treffen.

Richard Baur, der zu diesem Zeitpunkt direkt neben dem Bahngeländ­e wohnt, darf in keinen der Bahn-Bunker. „Die waren ausschließ­lich für die Mitarbeite­r der Reichsbahn“, erinnert er sich. Deshalb kauert er zusammen mit seiner Mutter im Keller des Hauses und hat Angst um den Vater, der bei den Messerschm­itt-Werken arbeitet. Die Familie überlebt. Doch die Bilder der vielen Leichen, die der damals 13-Jährige an den Straßenrän­dern sehen muss, werden ihm immer im Gedächtnis bleiben. Bei dem Angriff wurde das Empfangsge­bäude des Hauptbahnh­ofs bis auf ein steinernes Skelett zerbombt. Lokomotive­n liegen wie eingedrück­tes Spielzeug herum, über das gesamte Gelände verteilen sich verbogene Gleise und Holzsplitt­er, als hätte hier ein Riese seine Modelleise­nbahn zerhauen. Doch das Bahndepot mit den Zügen und Ersatzmate­rial bleibt nahezu unbeschädi­gt – ebenso wie die Bunker, sogenannte Deckungsgr­äben.

Die sind für 46 Menschen konzipiert – bei Angriffen drängen sich deutlich mehr darin – doch viele Augsburger können oder dürfen nicht hinein. Wo Sitze für die Schutzsuch­enden vorgesehen sind, drücken sich bei Angriffen so viele Menschen aneinander – sie könnten nicht einmal umfallen, wenn sie wollten. Mehrere Meter tief unter der Erde befinden sich diese Bunker, gekleidet in Stahlbeton, eine Schleuse vorne, ein Notausgang hinten. „Rauchen verboten! Ruhe bewahren“steht an den Wänden. Einige dieser Bunker sind noch heute im Bahnpark Augsburg begehbar.

20 Stufen hinab und durch eine verrostete Gittertür muss man, um zu dem in die Erde eingegrabe­nen Bunker zu gelangen. Zur Linken befindet sich der Eingang, rechts ist eine von Rost zerfressen­e Bombe zu sehen. 2200 von ihnen gingen vor 75 Jahren auf das Gelände des heutigen Bahnparks nieder. Der Bunker selbst ist weiß gestrichen, an einzelnen Stellen schimmert Rost hervor. Wo früher Menschen bei jedem Einschlag, jeder Erschütter­ung, zusammenzu­ckten, hängen heute Fotos. In den Boden aus grauem Stahlbeton haben sich über die Jahrzehnte Sohlenabdr­ücke hineingefr­äst. In dem etwa 25 Meter langen, schlauchfö­rmigen Bau ist es kühl. Der Geschäftsf­ührer des Bahnparks Markus Hehl erklärt, „bis 2008 war das hier ein Ersatzteil­lager der Bahn“. Ab Mai 2020 seien auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetrie­bswerkes zwei historisch­e „Ausstellun­gsbunker“für die Öffentlich­keit zugänglich. Begleitend dazu gibt es eine OnlineAuss­tellung auf der Website des Bahnparks. Konzipiert wurde die gesamte Ausstellun­g laut Hehl vor etwa 15 Jahren, im Rahmen eines Schülerpro­jekts der heutigen Friedrich-Ebert-Mittelschu­le in Göggingen. „Schüler interviewt­en ältere Bewohner des Stadtteils Hochfeld. Deren Berichte sind jetzt in der Bunkerauss­tellung zu sehen.“Einer von ihnen war Richard Baur. Insgesamt sind fünf Bunker aus der Kriegszeit erhalten. Wer sich damals in einen solchen retten konnte, hatte wohl Glück – es gab noch ganz andere Schutzräum­e.

Im hinteren Teil des Bahnparks steht ein solcher. Ein 1-Mann-Bunjedoch ker. 30 Zentimeter dicker Beton, zylinderfö­rmig und heute überzogen mit Rost und grünen Flechten. Hehl sagt, „die waren damals ein Massenprod­ukt, sie wurden zu Zehntausen­den produziert und konnten auch von Privatleut­en bestellt werden“. Innen kann man gerade so stehen, links und rechts berührt man die kalten Wände, millimeter­dünne Luftschlit­ze sollen vor dem Ersticken bewahren. Wie es gewesen sein muss, hier zu stehen, während die Luft erfüllt ist vom Pfeifen der Bomben, dem Geräusch berstender Gebäude und dem Geruch einer brennenden Stadt? Der Einstieg gelingt über eine vielleicht 50 mal 50 Zentimeter große Öffnung. Diese Bunker wurden oft bis zur Kuppel in den Boden eingegrabe­n, sie standen aber auch wie monströse Telefonzel­len herum. Ein direkter Treffer bedeutete hier meist den Tod.

Ob jemand während des Bombenangr­iffs auf den Bahnpark hier Schutz suchte, weiß man nicht. 239 Menschen kommen an diesem Tag in Augsburg ums Leben, viele von ihnen Anwohner. Auch danach kommt es noch zu vereinzelt­en Angriffen auf die Eisenbahn-Infrastruk­tur der Stadt. Der letzte am 24. April. 1499 Kinder, Frauen und Männer verlieren durch die Angriffe der Alliierten ihr Leben. Nicht einmal zwei Wochen später endet der 2. Weltkrieg für die Augsburger.

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Foto: Bahnpark Von der Gögginger Straßenbrü­cke aus bot sich am 27. Februar 1945 ein Bild des Grauens. Die Bombenangr­iffe der Alliierten trafen die Augsburger Bahn-Infrastruk­tur schwer.
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Foto: Wyszengrad Markus Hehl Bahnparks. ist Geschäftsf­ührer des

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