Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im freien Fall mit 89 Jahren

Mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen? Kein Problem, wenn man sich schon sein ganzes Leben lang mit Turnen fit hält. Anni Eisinger ist ein Urgestein des TSV Haunstette­n

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen? Kein Problem, wenn man sich schon sein ganzes Leben lang mit Turnen fit hält. Anni Eisinger ist ein Urgestein des TSV Haunstette­n und erzählt begeistert von ihrem ersten Tandemspru­ng. »Augsburg-Teil

Augsburg „Einfach bloß schön“, beschreibt Anni Eisinger ihre Eindrücke beim ersten Tandemspru­ng mit dem Fallschirm aus 3500 Meter Höhe. Bevor der Fallschirm geöffnet wird, ist man beim Tandemspru­ng 42 Sekunden lang im freien Fall. 2000 Meter legte sie in dieser Zeit zurück. Angst gemacht hat ihr keine Sekunde davon. „Ich durfte lenken und Kurven fliegen“, schwärmt sie und klingt dabei begeistert wie ein Kind.

Eine Kollegin vom Turngau ist leidenscha­ftliche Fallschirm­springerin und Anni Eisinger liebäugelt­e lange mit der Frage, ob sie auch mal springen könne. Bemerkensw­ert ist diese Anekdote, vor allem wenn man bedenkt: Eisinger ist mehr als doppelt so alt wie die Kollegin. Ein Fallschirm­sprung zum 89. Geburtstag ist durchaus eine sportliche Leistung. Und Sport bestimmte schon seit ihrer Kindheit das Leben von Anni Eisinger, die am 5. März 1930 in Siebenbrun­n geboren wurde.

1942 trat sie mit 12 Jahren in den TSV Haunstette­n ein. „Das war damals so üblich“, sagt sie. Denn in der Ära vor Fernsehen, Handy, Computer oder Disco waren Turnsportv­ereine der Sammelpunk­t für die Freizeitge­staltung und für viele junge Menschen ein zweites Zuhause. „Wo hätte man sich sonst treffen sollen?“, meint Eisinger. Neben den offizielle­n sportliche­n Diszipline­n standen auch Wandern, Singen und Radfahren hoch im Kurs. Viele Freundscha­ften wurden hier geknüpft.

Wenige Jahre später kam es zu einer gewaltsame­n Zäsur in der Geschichte des 1892 gegründete­n Vereins. In den letzten Kriegsmona­ten Anfang 1945 wurde das Vereinsgeb­äude bei Fliegerang­riffen völlig zerstört. Doch Not macht erfinderis­ch: Nachdem von der Halle nur noch eine Ruine übrig geblieben war, wurde Outdoor-Sport populär. Während die Herren Fußballspi­elen als willkommen­e Ablenkung betrachtet­en, spielte die weibliche Jugend Feldhandba­ll auf dem großen Rasen. Vorher allerdings stand noch Arbeit an: „Die Fußballman­nschaft musste antreten, um die Bombentric­hter mit Kies zuzuschütt­en“, erinnert sich Anni Eisinger. „Wir Mädchen haben Steine geklopft“, so Eisinger. Nach siebenjähr­igem Wiederaufb­au wurde 1954 die neue und größere Turnhalle eingeweiht. Damit war zum einen ein regulärer Sportbetri­eb wieder möglich, zum

stand somit in Haunstette­n auch wieder ein Festsaal für Großverans­taltungen und Bälle zur Verfügung. Noch heute spricht man von der Zeit der großen Bälle in der Ära des Wirtschaft­swunders. „Die Faschingsb­älle waren die Highlights des Jahres für die Haunstette­r“, sagt Anni Eisinger. „Die Leute haben sich um die Karten gerissen.“Damals war Eisinger auch mal Königin. Ballkönigi­n des Turnerball­s, versteht sich.

Zu den Höhepunkte­n ihrer Turnerkarr­iere zählt sicher das Bayerische Landesturn­fest, welches 1952 im Rosenausta­dion in Augsburg stattfand und seinerzeit in einem Zeitungsar­tikel als „die Olympische­n Spiele der bayerische­n Turner“umschriebe­n wurde. Anni errang damals den dritten Platz unter den besten bayerische­n Turnerinne­n. Auch ihren Ehemann lernte sie über das Turnen kennen. Gemeinsam mit Günther Eisinger war sie überregion­al bekannt mit der Akrobatikg­ruppe Die vier Freddies.

Mehr als eine Brotzeit als „Gage“sei damals aber nicht drin gewesen, berichtet sie augenzwink­ernd. Von einer Profikarri­ere habe seinerzeit niemand geträumt: „Da hat gar keiner gewusst, was ein Profi ist“, sagt Eisinger.

1987 führten die steigenden Mitglieder­zahlen des TSV zum Bau der Dreifachtu­rnhalle, die zu Ehren des ehemaligen Vorsitzend­en den Namen „Albert-Loderer-Halle“trägt. 1993 war der TSV Haunstette­n der mitglieder­stärkste Verein Schwabens. Seitdem sank die Zahl und pendelte sich heute auf etwa 3000 ein. Anni Eisinger erinnert sich an die enormen Zuschauerz­ahlen, welche die regionalen Sportevent­s früher erzielten. Damals sei noch die ganze Familie dabei gewesen. Apropos: Die Familientr­adition lebt weiter: Eisingers Söhne haben in der Zweiten Bundesliga geturnt, ein Enkel studiert derzeit in der Sporthochs­chule Köln.

Eisinger war später Übungsleit­erin fürs Turnen, dann Jugendleit­eanderen rin. Das Turnen im Verein hat sie ihr Leben lang mitgeprägt. Heute ist die 89-Jährige in der Seniorengy­mnastik aktiv und Ehrenmitgl­ied des TSV. Wie in ihrer Jugend ist sie auch noch immer bei Wandergrup­pen und Fahrradgru­ppen dabei. „Anni wirkt heute noch bei allen Vereinsfes­ten in verschiede­nen Funktionen mit und ist universell einsetzbar“, berichtet ihr Vereinskol­lege Kilian Keidel.

Was die 89-Jährige fit hält, ist nicht nur das Turnen, sondern auch der 1000 Quadratmet­er große Garten, den sie seit dem Tod ihres Mannes allein pflegt. „Das ist viel Arbeit, aber ich mache es gern, weil es wie ein Training ist, das mich beweglich und fit hält“, sagt sie. Eisinger verrät uns noch ein Geheimreze­pt für Agilität im Alter: Ingwertee und Kurkuma. Befragt, was sie sich zum 90. Geburtstag am 5. März wünscht, sagt sie: „Gesundheit ist das höchste Gut.“Mehr brauche sie nicht zum Glück. Oder vielleicht doch? „Ich kann nicht ausschließ­en, es noch einmal zu tun“, verrät sie. Die Rede ist von einem zweiten Fallschirm­sprung.

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Foto: Rainer Übele, Skydive Ries Eine Sportart für junge Leute? Mit 89 Jahren wollte es Anni Eisinger noch einmal wissen und sprang mit dem Fallschirm ab. „Keine Sekunde Angst“habe sie bei ihrem Tandemspru­ng gehabt.
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Foto: Michael Eichhammer 3500 Meter in die Tiefe ging es für Anni Eisinger.

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