Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Im freien Fall mit 89 Jahren
Mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen? Kein Problem, wenn man sich schon sein ganzes Leben lang mit Turnen fit hält. Anni Eisinger ist ein Urgestein des TSV Haunstetten
Mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen? Kein Problem, wenn man sich schon sein ganzes Leben lang mit Turnen fit hält. Anni Eisinger ist ein Urgestein des TSV Haunstetten und erzählt begeistert von ihrem ersten Tandemsprung. »Augsburg-Teil
Augsburg „Einfach bloß schön“, beschreibt Anni Eisinger ihre Eindrücke beim ersten Tandemsprung mit dem Fallschirm aus 3500 Meter Höhe. Bevor der Fallschirm geöffnet wird, ist man beim Tandemsprung 42 Sekunden lang im freien Fall. 2000 Meter legte sie in dieser Zeit zurück. Angst gemacht hat ihr keine Sekunde davon. „Ich durfte lenken und Kurven fliegen“, schwärmt sie und klingt dabei begeistert wie ein Kind.
Eine Kollegin vom Turngau ist leidenschaftliche Fallschirmspringerin und Anni Eisinger liebäugelte lange mit der Frage, ob sie auch mal springen könne. Bemerkenswert ist diese Anekdote, vor allem wenn man bedenkt: Eisinger ist mehr als doppelt so alt wie die Kollegin. Ein Fallschirmsprung zum 89. Geburtstag ist durchaus eine sportliche Leistung. Und Sport bestimmte schon seit ihrer Kindheit das Leben von Anni Eisinger, die am 5. März 1930 in Siebenbrunn geboren wurde.
1942 trat sie mit 12 Jahren in den TSV Haunstetten ein. „Das war damals so üblich“, sagt sie. Denn in der Ära vor Fernsehen, Handy, Computer oder Disco waren Turnsportvereine der Sammelpunkt für die Freizeitgestaltung und für viele junge Menschen ein zweites Zuhause. „Wo hätte man sich sonst treffen sollen?“, meint Eisinger. Neben den offiziellen sportlichen Disziplinen standen auch Wandern, Singen und Radfahren hoch im Kurs. Viele Freundschaften wurden hier geknüpft.
Wenige Jahre später kam es zu einer gewaltsamen Zäsur in der Geschichte des 1892 gegründeten Vereins. In den letzten Kriegsmonaten Anfang 1945 wurde das Vereinsgebäude bei Fliegerangriffen völlig zerstört. Doch Not macht erfinderisch: Nachdem von der Halle nur noch eine Ruine übrig geblieben war, wurde Outdoor-Sport populär. Während die Herren Fußballspielen als willkommene Ablenkung betrachteten, spielte die weibliche Jugend Feldhandball auf dem großen Rasen. Vorher allerdings stand noch Arbeit an: „Die Fußballmannschaft musste antreten, um die Bombentrichter mit Kies zuzuschütten“, erinnert sich Anni Eisinger. „Wir Mädchen haben Steine geklopft“, so Eisinger. Nach siebenjährigem Wiederaufbau wurde 1954 die neue und größere Turnhalle eingeweiht. Damit war zum einen ein regulärer Sportbetrieb wieder möglich, zum
stand somit in Haunstetten auch wieder ein Festsaal für Großveranstaltungen und Bälle zur Verfügung. Noch heute spricht man von der Zeit der großen Bälle in der Ära des Wirtschaftswunders. „Die Faschingsbälle waren die Highlights des Jahres für die Haunstetter“, sagt Anni Eisinger. „Die Leute haben sich um die Karten gerissen.“Damals war Eisinger auch mal Königin. Ballkönigin des Turnerballs, versteht sich.
Zu den Höhepunkten ihrer Turnerkarriere zählt sicher das Bayerische Landesturnfest, welches 1952 im Rosenaustadion in Augsburg stattfand und seinerzeit in einem Zeitungsartikel als „die Olympischen Spiele der bayerischen Turner“umschrieben wurde. Anni errang damals den dritten Platz unter den besten bayerischen Turnerinnen. Auch ihren Ehemann lernte sie über das Turnen kennen. Gemeinsam mit Günther Eisinger war sie überregional bekannt mit der Akrobatikgruppe Die vier Freddies.
Mehr als eine Brotzeit als „Gage“sei damals aber nicht drin gewesen, berichtet sie augenzwinkernd. Von einer Profikarriere habe seinerzeit niemand geträumt: „Da hat gar keiner gewusst, was ein Profi ist“, sagt Eisinger.
1987 führten die steigenden Mitgliederzahlen des TSV zum Bau der Dreifachturnhalle, die zu Ehren des ehemaligen Vorsitzenden den Namen „Albert-Loderer-Halle“trägt. 1993 war der TSV Haunstetten der mitgliederstärkste Verein Schwabens. Seitdem sank die Zahl und pendelte sich heute auf etwa 3000 ein. Anni Eisinger erinnert sich an die enormen Zuschauerzahlen, welche die regionalen Sportevents früher erzielten. Damals sei noch die ganze Familie dabei gewesen. Apropos: Die Familientradition lebt weiter: Eisingers Söhne haben in der Zweiten Bundesliga geturnt, ein Enkel studiert derzeit in der Sporthochschule Köln.
Eisinger war später Übungsleiterin fürs Turnen, dann Jugendleiteanderen rin. Das Turnen im Verein hat sie ihr Leben lang mitgeprägt. Heute ist die 89-Jährige in der Seniorengymnastik aktiv und Ehrenmitglied des TSV. Wie in ihrer Jugend ist sie auch noch immer bei Wandergruppen und Fahrradgruppen dabei. „Anni wirkt heute noch bei allen Vereinsfesten in verschiedenen Funktionen mit und ist universell einsetzbar“, berichtet ihr Vereinskollege Kilian Keidel.
Was die 89-Jährige fit hält, ist nicht nur das Turnen, sondern auch der 1000 Quadratmeter große Garten, den sie seit dem Tod ihres Mannes allein pflegt. „Das ist viel Arbeit, aber ich mache es gern, weil es wie ein Training ist, das mich beweglich und fit hält“, sagt sie. Eisinger verrät uns noch ein Geheimrezept für Agilität im Alter: Ingwertee und Kurkuma. Befragt, was sie sich zum 90. Geburtstag am 5. März wünscht, sagt sie: „Gesundheit ist das höchste Gut.“Mehr brauche sie nicht zum Glück. Oder vielleicht doch? „Ich kann nicht ausschließen, es noch einmal zu tun“, verrät sie. Die Rede ist von einem zweiten Fallschirmsprung.