Augsburger Allgemeine (Land Nord)
So lange wie Joseph Kiendl macht hier keiner Musik
Joseph Kiendl ist seit 75 Jahren aktiver Musiker, und auch mit 86 Jahren umtriebig. Aber der Gersthofer beschäftigt sich mit noch mehr
Wer hätte gedacht, dass Joseph Kiendl, den man als Urgersthofer einstufen würde, erst seit zehn Jahren in der Ballonstadt wohnt? Und wie kam es dazu, dass man ihn Max nennt? Seit 75 Jahren ist er aktiver Musiker – mit den verschiedensten Instrumenten.
Gersthofen „Ein Musikus, ein Musikus weiß immer, was er spielen muss“, heißt ein altbekanntes Lied von Heinz Becker und Hanns Petersen. Dieser Tango könnte für den Vollblutmusiker Joseph Kiendl geschrieben worden sein. Nur den weiteren Text müsste man umdichten in „… und wenn er seine Frau Maria sieht, spielt er ein Liebeslied.“
Doch wer hätte gedacht, dass Kiendl, den man als Urgersthofer einstufen würde, erst seit zehn Jahren in der Ballonstadt wohnt? Und wie kam es dazu, dass man ihn Max nennt?
Geboren wurde er 1933 in Kelheim. Mit sechs Geschwistern wuchs er in einem Elternhaus auf, in dem gerne gesungen und musiziert wurde. Erst mit zehn Jahren bekam er Akkordeonunterricht und musste damals sechs Kilometer zum Lehrer Franz Kobler, der später im Orchester des Bayerischen Rundfunks war, laufen. „Ich übte jeden Tag fünf Stunden an meinem Instrument und in den Ferien sogar zehn.“Seine Mutter wollte ihn oftmals bremsen, doch das war unmöglich.
Schnell wurde er in Kelheim als bester Akkordeonspieler bekannt und sang zeitgleich im Kirchenchor. Gewohnt hatten sie direkt gegenüber der Donaubrücke, und Kiendl erinnert sich: „Bevor man lesen und schreiben lernte, musste man in der Donau das Schwimmen lernen.“Zu Hause kam öfter eine Näherin zur Familie. Da beschloss der junge Musikliebhaber: „Ich werde Musiklehrer und später eine Näherin heiraten. Denn dann haben wir immer Geld.“Genauso sollte es kommen.
Als er durch seinen Beruf als Elektrowickler bei der Motorenfirma BBC 1952 nach Augsburg zog, spielte er in einem Neusässer Café öfter zur Unterhaltung auf seinem Akkordeon, und im Nu nannte man ihn nur noch „Tango-Max“, denn keiner konnte wie er den Tango „Olé Guapa“mit den schweren Kadenzen spielen.
In Augsburg lernte er auch seine Frau Maria kennen. Sie ist neben oder besser mit der Musik seine große Liebe, und sie heirateten 1955. Wenn er von ihr spricht, kommt er voller Dankbarkeit für viele gemeinsame Jahrzehnte ins Schwärmen: „Sie ist die beste und liebste Frau, die man sich nur vorstellen kann.“Für sie singt er immer wieder gerne „Ave Maria No Morro“auf Spanisch. Mit ihr hat er zwei Söhne, drei Enkel und fünf Urenkel. Alle musikalisch, das versteht sich von selbst.
20 Jahre tourte er mit seinen Söhnen deutschlandweit als Little Family mit Hits von Abba oder „YMCA“der Village People durch die Republik. Dabei waren sie stets im Einheitslook mit Schlaghosen bekleidet und sahen richtig heiß aus. Seinen Beruf hing Kiendl recht bald an den Nagel und studierte von 1956 bis 1961 am Leopold-Mozart-Konservatorium in Augsburg das Hauptfach Posaune mit den Nebenfächern Klavier und Akkordeon.
„Gelernt habe ich nur das Akkordeon, die Posaune und das Klavier. Saxofon, Klarinette, Querflöte, Tenorhorn, Raffaele und Gitarre habe ich mir alles selbst beigebracht. Ich bin einfach ein Autodidakt.“
Danach war er Musiklehrer im Augsburger Musikhaus Bauderer und nicht nur als Berufsmusiker unterwegs, sondern auch mit dem Theater Augsburg. 1965 legte Kiendl die Staatliche Singschullehrerund Chorleiterprüfung ab, hatte Kirchenorgelunterricht bei Mell von Mellenheim und schloss 1966 den ASM-Dirigentenkurs mit „vorzüglich“ab. 1967 bis 1973 war er der musikalische Leiter der Gersthofer Spatzen und arbeitete zudem als Musiklehrer am Gymnasium in Neusäß.
Er war Organist in St. Nikolaus in Stadtbergen, und von 1973 bis zu seiner Rente 1996 leitete er die Städtische Musikschule in Schrobenhausen. Dort gründete er das Akkordeonorchester und das Jugendblasorchester und bekam 1991 die staatliche Anerkennung als Dirigent und 1994 den Ehrentitel „Stadtkapellmeister“der Stadt Schrobenhausen. Seit 1955 ist er Mitglied in der Stadtkapelle Gersthofen, hat zwölf Dirigenten miterlebt und ist bis heute dort aktiv. 2018 bekam er den Joseph-Anton-Vöst-Musikpreis der Musikschule Gersthofen, weil er maßgeblich am Aufbau der Musikschule beteiligt war.
Sein Leben lang war der fröhliche Musiker immer Frontmann. „Ich habe die Register stets geführt wie etwa die 1. Posaune und das 1. Saxofon.“Mit dem Gersthofer Blasorchester war er früher weit und breit bekannt, weil er zeigte, dass man auch in einer Blaskapelle singen kann.
Zudem machte er gerne die Ansagen bei Konzerten. Man merkt alleine schon bei seinen lebendigen Erzählungen, dass Kiendl sein Leben lang herrlich unterhalten kann.
Richtig viel Spaß hatte er stets mit seinem Saxofonkollegen bei der Stadtkapelle Gersthofen, Hermann Fünfer. „Wir waren die BillyVaughn-Brüder und haben uns blind verstanden. Das war eine wunderbare Harmonie.“
Seit 2010 wohnt der „Max-Joseph“nun tatsächlich in Gersthofen, natürlich im Musikerviertel. „Gersthofen ist wirklich meine Heimat. Hier grüßt mich fast jeder mit ,Servus Max!‘ oder ,Grias di Max!‘“, freut sich der 86-Jährige und lacht dabei herzhaft. In seiner Wohnung hängen zahlreiche Fotos seiner vielen weltweiten Konzertreisen, unter anderem nach New York zur Steuben-Parade und zu Papst Johannes Paul II., unzählige Geschenke und Ehrungen wie etwa die Goldene Stimmgabel des Verbandes der bayerischen Musikschulen sowie zig Urkunden und Musikpräsente. Bei ihm wird alles in Ehren gehalten.
Fit hält er sich täglich, indem er nach wie vor seine Instrumente spielt. Zudem hat er das Fremdsprachenlernen für sich entdeckt. In ein Büchlein schreibt er Vokabeln in Türkisch, Slowenisch, Italienisch, Französisch und Russisch. Außerdem ist es Kiendl wichtig, täglich draußen zu sein. Mit seinem Dreirad fährt er ins City-Center und holt dort seine Zeitung.
In der Stadtkapelle spielt er noch immer mit und ist gerne mit deren „Rentnerband“, wie er diese scherzhaft nennt, zu Firmenfeiern und Geburtstagen unterwegs. „Wer viel lacht, der lebt lang“, ist ein Lebensmotto von Gersthofens langjährigstem Musikus, der nie um einen flotten Spruch verlegen ist.
Heuer steht für ihn noch eine ganz besondere Ehrung an. Denn am 21. März wird er vom AllgäuSchwäbischen Musikbund für 75 Jahre musikalische Tätigkeit geehrt. Auf diesen Höhepunkt freut er sich ganz besonders.