Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Auf den Spuren einer Bluttat
Über den Kampf von PKK und Türkei mitten in Europa
Tarnkleidung, das Gewehr geladen, eine dunkle Haarsträhne schiebt sich ins Bild. Schon die ersten Nahaufnahmen der Arte-Doku „Paris – die Kurdinnen und ihr Killer. Der Kampf von PKK und Türkei mitten in Europa“ziehen in den Bann wie ein Thriller. Nach zwei Minuten ist die Handlung entfaltet: Es geht um den Mord an drei kurdischen Funktionärinnen der PKK, der in einigen Staaten als terroristische Vereinigung eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans. Die Frauen wurden am 9. Januar 2013 in Paris mit zehn Kugeln getötet.
Die Tat ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt, die politischen Hintergründe im Nebel. Es gab keinen Prozess und nie ein Urteil. Der Hauptverdächtige, ein Türke aus dem politischen Umfeld der PKKFunktionärinnen, starb 2016 während der Haft an einem Hirntumor. Seine Pflichtverteidigerin sagt, so jemanden suche sich doch kein Geheimdienst für einen Auftragsmord; der Opferanwalt erklärt, doch, genau deswegen. Weil er – ohnehin sterbend – keine Gefahr für die Auftraggeber gewesen sei. Trotz eindeutiger Spuren zum türkischen Geheimdienst MIT wurden die französischen Ermittlungen jedoch im Jahr 2016 eingestellt.
In seiner packenden Dokumentation, die am 3. März um 21.50 Uhr auf Arte ausgestrahlt wird, rollt der deutsche Investigativ-Journalist Ahmet Senyurt den Fall auf, bringt Angehörige vor die Kamera, zeigt die Wut, die das Verbrechen in der kurdischen Community weltweit hinterlassen hat und die Indizien, die die Beteiligung des MIT nahelegen. Senyurt, der als freier Journalist der ARD und beim BR-Magazin „report München“für seine Recherchen bereits ausgezeichnet wurde, sammelte unter anderem französische und türkische Gerichts- und Polizeiakten sowie Geheimdienstinformationen und führte Interviews mit der europäischen Führungsebene der PKK. Vier Jahre dauerte es, bis das Material beisammen war.
Sein Film bleibt bei aller Empathie mit den kurdischen Opfern wohltuend neutral. Keine Kämpferromantik, keine kurdischen Nationalismen. Die PKK verfolgte während der Dreharbeiten offenbar ihre eigenen Ziele. „Das ist ein Film, der gegen Widerstände entstanden ist. Auch seitens der PKK-Führungselite“, berichtet Senyurt im Gespräch. So sei ihm die Einreise in die von der PKK und ihren Schwestermilizen kontrollierten Gebiete Nordsyriens verwehrt worden. Senyurt kam trotzdem hinein. „Dann verhinderten sie dort, wo die PKK-Schwesterpartei PYD und ihr bewaffneter Arm YPG das Sagen haben, Gespräche mit den Fraueneinheiten“, erzählt er weiter. Trotz der Widerstände – oder gerade deswegen – ist Ahmet Senyurt ein sehr unmittelbarer Dokumentarfilm gelungen. Einer, der nah dran bleibt – sowohl an den Opfern und dem mutmaßlichen Täter als auch an der hohen Politik und den Geheimdiensten.