Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Ich habe auf Peter Grab vertraut“
Stadtratskandidatin Marcella Reinhardt erklärt, warum sie die Vereinigung WSA verlassen hat. Sie habe nichts über die Vorwürfe gegen einen Kandidaten und von der früheren Zusammenarbeit von WSA und AfD gewusst
Frau Reinhardt, Sie stehen als Stadtratskandidatin auf der Liste der Vereinigung WSA. Jetzt sind sie rund zwei Wochen vor der Wahl ausgetreten. Warum?
Marcella Reinhardt: Mein Beweggrund sind die Diskussionen, die in der Öffentlichkeit über mich und die WSA entstanden sind. Ich bin als Nazi bezeichnet und in eine rechte Ecke geschoben worden. In meiner Position als Vorsitzende des Regionalverbands der Sinti und Roma in Schwaben will ich mit dieser Thematik nichts zu tun haben. Dazu kommt, dass meine Familie den Holocaust am eigenen Leib erlebt hat.
Wussten Sie denn, welche Vorgeschichte Kandidat Guido Fiedler hat, der in der Vergangenheit durch rechte Äußerungen und Beschimpfungen von Polizisten und Politikern im sozialen Netzwerk Facebook aufgefallen ist? Reinhardt: Nein, darüber wurde nie gesprochen und ich bin auch nicht auf den Gedanken gekommen, mich über die anderen Kandidaten auf der Liste der WSA zu informieren. Ich wusste auch nicht, dass es im Augsburger Stadtrat schon einmal eine Ausschussgemeinschaft zwischen AfD und WSA gegeben hat. Ich habe da auf den Vorsitzenden Peter Grab, den ich schon lange kenne, vertraut. Das alles ist mir erst mit der Zeit so bekannt geworden, im Lauf des Wahlkampfs und durch die öffentlichen Diskussionen.
Hätten Sie das alles vorher gewusst, wären Sie dann überhaupt für „Wir sind Augsburg“angetreten? Reinhardt: Ich hätte dann definitiv Nein gesagt, als Peter Grab mich gefragt hat, ob ich kandidieren will. Unter diesen Voraussetzungen wäre ich nicht auf der WSA-Liste angetreten. Deshalb bin ich jetzt auch noch vor der Wahl ausgetreten. Ich möchte damit nicht in Verbindung gebracht werden.
Haben Sie denn mit dem Vorsitzenden Peter Grab über die Problematik gesprochen?
Reinhardt: Ja natürlich, wir haben darüber gesprochen. Aber wenn es solche Vorwürfe gibt und einen Kandidaten, der zumindest rechtes Gedankengut hatte und auch im Internet verbreitet hat, und man sich nicht ausreichend erklärt und distanziert, dann möchte ich nicht auf dieser Liste sein.
Das heißt, aus Ihrer Sicht wurde das Thema nicht ausreichend besprochen und geklärt?
Reinhardt: Es wurde leider gar nichts geklärt.
Die Liste kann nicht mehr geändert werden, die Briefwahl hat auch bereits begonnen. Was machen Sie, wenn Sie in den Stadtrat kommen?
Reinhardt: Ich mache jetzt weiter Wahlkampf und strebe einen Sitz im Stadtrat an. Ich würde das Mandat im Fall meiner Wahl auch annehmen und dann als unabhängige und neutrale Stadträtin arbeiten.
Welche Ziele haben Sie, die Sie dann vertreten wollen?
Reinhardt: Das Hauptziel ist für mich das Kindeswohl, dass unsere Kinder hier in Augsburg eine gute Zukunft haben. Auch hilfsbedürftige, alte Menschen sind mir ein Anliegen. Einer meiner wichtigsten Punkte ist, dass es nie wieder so etwas wie den Nationalsozialismus geben darf. Ein Anliegen von mir ist deshalb, dass die Halle 116 im Sheridan-Areal, die ein KZ-Außenlager war, ein Lernort wird. Eine teilweise andere Nutzung, etwa mit einer Ausstellung amerikanischer Oldtimer,
lehne ich ab. Das passt nicht zu diesem Ort, an dem Menschen gequält worden sind. Unsere Jugend muss erfahren, dass Menschen im Nationalsozialismus grausam ermordet worden sind. Hier muss man mehr Aufklärungsarbeit leisten.
Inwiefern war Ihre Familie von den Verbrechen der Nationalsozialisten betroffen?
Reinhardt: Meine Eltern waren beide KZ-Häftlinge, die diesen Horror überlebt haben. Meine Eltern haben ihre Geschwister und ihre Eltern im KZ verloren. Ich habe sehr jung damit angefangen, mich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Meine Eltern haben nicht die Schule besucht, weil im Nationalsozialismus für Sinti, damals noch Zigeuner genannt, ein Schulverbot galt. Ich habe mich dann auch mit Fragen der Entschädigung befasst. Ich habe mich in der Pflicht gesehen, für unsere Minderheit zu kämpfen, weil ich sehe, dass auch unsere Jugend heute noch immer nicht diese Anerkennung in der Gesellschaft hat, die sie eigentlich haben sollte.
OMarcella Reinhardt, 51, ist Angehörige der Minderheit der Sinti. Die Mutter zweier erwachsener Kinder sitzt im Zentralrat der deutschen Sinti und Roma, ist gleichzeitig Regionalvorsitzende der Sinti und Roma in Schwaben.