Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zwei Augsburger Sterneköche erzählen von ihren Anstrengungen,
Anfang März werden die MichelinSterne neu vergeben. Das „August“hat zwei, das „Sartory“einen. Wie locker sind Sie kurz vor dem Termin? Simon Lang: Ich habe den Stern seit einem Jahr und werde doch langsam unruhig, muss ich gestehen. Als wir noch immer drauf hingefiebert haben, war die Enttäuschung groß, wenn es keine Auszeichnung gab. Umso größer wäre die Enttäuschung natürlich, wenn wir es nicht schaffen würden, den Stern zu verteidigen. Christian Grünwald: Ich bin da inzwischen tiefenentspannt. Ich habe aber eine Einladung zur Pressekonferenz in Hamburg nächste Woche.
Ist das ein Indiz für den dritten Stern? Grünwald: Das glaube ich nicht, aber damit beschäftige ich mich auch nicht. Die Dinge kommen, wie sie kommen.
Wie gut kennen Sie beide sich eigentlich? Tauschen Sie sich auch aus? Grünwald: Das mit dem Kennen ist so eine Sache. Wir arbeiten ja ständig. Wir sind nicht jeden Tag in der Lage, Feierabend zu machen, wenn andere Feierabend machen. Und über was sollte man sich auch austauschen? Über Erfahrungen mit den Gästen? Das ist überhaupt nicht möglich und Rezepte – na ja.
Klar, aber die Szene der Sterneköche ist ja nicht allzu groß und doch irgendwie vernetzt, oder?
Grünwald: Ja, schon. Wenn man einen Stern hat, gehört man zu einem Kulturarbeiterkreis weltweit. Wenn ich in New York bin bei einem Kollegen, dann sagt der: Du hast ja einen neuen Kollegen in Augsburg, grüße ihn von mir. Man kennt sich, aber halt nicht persönlich.
Sehen Sie zwei sich als Konkurrenten? Lang: Nein, überhaupt nicht. Wir haben, meiner Meinung nach, zwei komplett unterschiedliche Konzepte und Küchenstile. Im Gegenteil: Das tut der Stadt Augsburg ganz gut. Grünwald: So sehe ich das auch. Wichtig ist, dass gut gearbeitet wird.
Herr Lang, wie hat sich Ihr Gästekreis in diesem Jahr mit Stern verändert? Lang: Vor dem Stern hatten wir viele Augsburger. Das hat sich schon geweitet. Das ist jetzt schon München, Stuttgart, Ulm, Ingolstadt, die Region... Wir fangen klein an (lacht). Auch die Hotelgäste kommen zum Essen, was vorher nicht so der Fall war. Viele Businessgäste sind ja hauptsächlich wegen Tagungen da. Wir sind jetzt aber in der glücklichen Situation, dass wir eine Warteliste von rund zwei Wochen haben.
Und Ihre Gäste, Herr Grünwald? Grünwald: Mein Gästekreis umfasst mittlerweile Generationen. Wenn man zwölf Jahre lang zwei Sterne hat, ist man eher damit beschäftigt, die Leute, die man gewonnen hat, weiter mitzunehmen, als sich darüber Gedanken zu machen, neue zu gewinnen. Sie müssen sich diese Welt der Feinschmecker vorstellen wie die derer, die schöne Antiquitäten sammeln oder sich Schuhe maßschneidern lassen. Das ist eine Handvoll, weltweit gesehen, von feinsinnigen Menschen und die kommen im Lauf des Lebens schon mal alle bei einem vorbei, wenn man einen Stern hat.
Grünwald: Wenn jemand interessiert ist und in Augsburg lebt, dann geht der natürlich zu Herrn Lang, wenn der jetzt einen Stern hat. Der hat dann ein Budget und sagt vielleicht, zweimal im Jahr geht er in so ein Restaurant. Einer, der bei Herrn Lang war, der taucht dann bei mir wieder auf. Wichtig ist, dass der Besuch bei Herrn Lang in guter Erinnerung bleibt und der bei mir auch. Da gilt das doppelt so stark, denn zwei Sterne sind halt noch einmal was anderes.
Grünwald: Es ist schon noch anders als zum Beispiel in Frankreich. Da bekommt der kleine Jean in der Schule von der Lehrerin gesagt, man geht Montag ins Bistro, abends in die Brasserie, am Wochenende ins Restaurant, an besonderen Tagen geht man zu Alain Ducasse. Die wissen, wo was gastronomisch passiert.
Grünwald: Da spielen ja viele Unterhaltungsfaktoren hinein, die sind wichtig. Nicht dass ich jetzt elitär und abgehoben wirke, aber ich mache Kulturarbeit. Das hat nichts mit Gastronomie im herkömmlichen Sinn zu tun. Gut essen bedeutet, dass Sie bereit sind, in eine Jahrtausende gewachsene Kultur einzusteigen und sie mit mir zu zelebrieren. Das setze ich voraus.
Gutes Essen zu schätzen reicht nicht? Grünwald: Meine Arbeit ist so ausgelegt, dass da Menschen sind, die sonst untergehen. Die wollen nicht an einer großen Tischgesellschaft teilnehmen. Ich kann in meinem Restaurant nicht 20 Leute an einen Tisch setzen. Da ist ein ganz anderes Miteinander da. Da überlegt man sich doch, was man sagt, ohne jetzt steif und überhöflich zu sein.
Lang: Ich sehe das nicht so extrem. Bei mir wird das Essen natürlich auch zelebriert. Mir geht es darum, dass die Gäste das Essen genießen, Spaß haben, lachen und trinken. Auch zählen wir oft größere Tische mit sechs Personen. Wir haben ja vielleicht auch noch ein etwas anderes Gästeklientel als Herr Grünwald, denke ich – obwohl ich dort leider selbst immer noch nicht war. Grünwald: Moment, bei mir gibt es schon auch Sechs-Personen-Tische und bei mir wird auch gelacht und gefeiert. Aber halt so, dass es tischübergreifend ist. So unterschiedlich sind unsere Kunden, glaube ich, nicht.
Ihr Frankreich-Beispiel war interessant. Was müssten wir tun, um Menschen heranzuführen an diese Kultur? Lang: Wir haben viele Praktikanten im Hotel, die eine Woche bei uns arbeiten, die kennen teilweise den Unterschied zwischen einer Gurke und einer Zucchini nicht. Da fehlt es an der Basis, die man auch zuhause legt. Meine beiden Töchter sind noch sehr jung, aber wir kochen zuhause frisch. Gemüse, Salate, ein gutes Stück Fleisch wird verarbeitet und meine Töchter helfen dabei.
Wie hoch ist für manche Gäste die Hemmschwelle, in ein Sternerestaurant zu gehen?
Lang: Ein Stern ist ein Einsteigermodell, da haben die Leute sicher weniger Hemmschwellen.
Grünwald: Bei mir ist die Unsicherheit immer groß, weil die Erwartungshaltung sehr hoch ist. Das macht aber nichts. Ich bin ja immer da, das löst sich auch sehr schnell auf, weil ich mit meiner Frau zusammenarbeite und die ist ein Herzensmensch. Es dauert keine zwei Minuten und die Aufregung ist weg. Lang: Ich hatte im letzten Jahr eine sehr emotionale Sache. Eine Dame schrieb mir, sie würde gerne das erste Mal im Leben in ein Sternerestaurant gehen, sie habe aber ein Beatmungsgerät und wolle andere Gäste nicht stören. Dann stellte sich heraus, dass sie unheilbar krebskrank ist und es ihr größter Wunsch wäre, noch so ein Erlebnis zu haben. Das ist schon packend, wenn das der letzte Wunsch ist im Leben eines Menschen. Da gibt man noch mehr, um den Gast zufrieden zu machen.
Wie läuft ein Abend bei Ihnen ab, was zieht man an?
Lang: Die Leute bereiten sich auf so einen Abend vor wie auf einen Theaterbesuch. Die machen sich schick, freuen sich darauf. Grünwald: Bei mir gilt Cocktail als Dresscode.
Sind Sie immer da für die Gäste? Lang: Ich versuche am Anfang, so viele Tische wie möglich zu begrüßen. Ich muss dann aber natürlich zurück in die Küche, da ich an jedem Teller selbst mitwirke. Da ist bei 24 Sitzplätzen natürlich einiges zu tun. Manchmal bringe ich noch die Teller mit raus und gieße die Soße mit an. Grünwald: Ich bin immer am Gast, serviere jeden Teller selbst. Bei mir ist der Chef da, der Verantwortliche. Den kann man jetzt, wenn irgendwas passiert, mit Bällchen beschmeißen oder eben ihn anlächeln. Wir haben auch Tische, die für Brot und Spiele gemacht wurden. Die sind groß, bieten Schutz und Raum für Kontroverse und Unterhaltung.
Wie wichtig ist für ein Sterne-Restaurant die Entwicklung der Stadt? Augsburg ist gerade Welterbe geworden ... Lang: Das ist schon wichtig für uns, auch weil wir in einem Hotel sind. Tourismus tut allen Restaurants gut.
Grünwald: Da ist die Verankerung in der Mitte der Gesellschaft aber entscheidender. Der Tourist ist nicht automatisch ein Feinschmeckertourist, und selbst wenn er einer ist, hat er nicht gleich die Zeit, sich in einem solchen Restaurant einzufinden. Bei mir dauert das fünf Stunden, das ist eine Zeremonie. Die erwartet der Tourist nicht grundsätzlich in einer Stadt, egal, in welche er geht. Wir sprechen nicht von Food-Touristen, das ist eine andere Kragenweite.
Gastronomie ist kein leichtes Geschäft. Welche Eigenschaften muss man als Sternekoch haben?
Grünwald: In erster Linie ist man ein Kunsthandwerker, sonst hat man erst mal gar keinen Stern. Seit ich denken kann, bin ich Künstler und koche gleichzeitig. Und zwar Sachen, die anderen eine Frage auf den Gaumen zaubern. Ich bin auch der erste Koch, der zwei Sterne in die Region geholt hat. Das ist Schwerstarbeit, intellektuell wie körperlich. Da gilt es einfach nur, sich auf die Arbeit, die Leidenschaft zu konzentrieren.
Lang: Wir haben zwei Küchen im Drei Mohren. Da gehört ein gewisses Organisationstalent dazu. Und man muss sich immer hinterfragen. Es gibt wenige Tage, an denen ich hundertprozentig zufrieden aus der Arbeit gehe, da es immer noch besser geht. Die Gerichte entwickeln sich mit der Zeit auch weiter. Daher verändere ich meine Menüs auch immer wieder.
Woher holen Sie sich die Inspirationen für neue Gerichte?
Lang: Ich habe sehr klassische Aromenbilder. Ich weiß, beispielsweise, dass zu einem Reh mit Blutwurstkruste Birne passt. Jetzt schaue ich, wie ich dem Gericht meine eigene Note verleihen kann. Die Gerichte entstehen mittlerweile zusammen mit meinem Team. Ich sage, ich würde gerne etwas mit Steinbutt machen, dann setzen wir uns zusammen und machen Brainstorming. Mir kommen Ideen aber immer auch noch beim Kochen. Grünwald: Ich mache ständige Notizen und male das auch auf für meine Mitarbeiter. Nicht als Anleitung, sondern als Inspiration.
Sie malen, wie das Gericht auf dem Teller aussehen soll?
Grünwald: Ich male das so auf, wie ich es als Vision habe. Ich kann das gar nicht abstellen. Wenn ich aus meinem Küchenfenster in den Kastanienpark schaue, gucke ich im Moment auf ein Meer von Krokussen, die da alle akkurat am Hang ein Meer bilden. Da schaue ich wie in eine Perspektive hinein, ein Traum von Farbe – und bin dann bei einer Blaubeere mit einer Schwarzwurzel. Da muss ich mich erst mal nicht besprechen. Ich bitte dann meine Mitarbeiter: Von dir krieg ich das, von dir das.
Sie sind ein strenger Chef? Grünwald: Ich bin schon streng insofern, dass ich es nicht dulden kann, wenn jemand zu mir kommt und nicht vorbereitet ist. Ich habe eine Vision, mein Gast auch und das ist das Geschäft.
Lang: Das ist bei mir auch so. Ich habe eine Vision, die ich umsetzen möchte. Wer da nicht mitspielt, der ist in der Sterneküche nicht richtig. Grünwald: Im Konzert kann auch keiner die Flöte auspacken und einfach ein anderes Stück spielen. Spitzenküche beginnt mit einem Michelin-Stern, ja die beginnt schon vorher, sonst bekommt man ihn nicht.
Ist die Sterneküche ein gutes Geschäft? Grünwald: Ein eigenes Restaurant ist teuer. Das ist echt ein riesen Loch, das schluckt. Ich hab nie Sicherheit. Das ist aber auch eine Chance, souveräner im Leben zu werden.
Lang: Ich bin für die ganze Gastronomie in einem Hotel verantwortlich. Ich kümmere mich vom Frühstück bis zum Burger abends. Durch das Hotel und das zweite Restaurant dort ist es finanziell einfacher.
Und mal ein eigenes Restaurant? Lang: (lacht) Klar wäre es manchmal schön, wenn man sich nur auf ein Restaurant konzentrieren könnte. Allerdings würde mir sicherlich der Hotelalltag fehlen und ich bin zufrieden, so wie es ist. Hotel ist einfach eine Faszination für sich.
Wenn Sie doch einmal frei haben, essen Sie bei anderen Sterneköchen?
Lang: Natürlich. Wenn ich frei habe, gehen wir sehr oft essen. Und klar sind auch Sternerestaurants dabei. Aber ich mag auch gerne ein Tomatenbrot mit Schnittlauch, so wie es meine Mutter immer gemacht hat. Grünwald: Ich kann mir Urlaub nur abknapsen. Ich schau mir dann aber lieber einen Caravaggio an. Ich muss ja meiner Frau auch noch was bieten und kann nicht schon wieder essen gehen.