Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bei der WSA gibt es kurz vor der Wahl Ärger

Die Sinti-Vertreteri­n Marcella Reinhardt tritt aus dem Verein aus. Als Grund nennt sie Debatten um die mögliche rechte Gesinnung eines anderen WSA-Kandidaten. Das ist nicht das einzige Problem der Gruppierun­g

- VON JÖRG HEINZLE UND JONAS VOSS BR

Der Ärger kommt für die Vereinigun­g „Wir sind Augsburg“– kurz WSA – zu einem denkbar ungünstige­n Zeitpunkt. Rund zwei Wochen vor der Kommunalwa­hl distanzier­t sich die Stadtratsk­andidatin Marcella Reinhardt, 51, von der WSA. Sie hat ihren sofortigen Austritt aus der Gruppierun­g erklärt. Reinhardt ist Vorsitzend­e des Regionalve­rbands der Sinti und Roma in Schwaben. Als Grund für den Austritt nennt sie anhaltende Diskussion­en um mögliche rechte politische Ansichten eines WSA-Mitglieds. Dasselbe Mitglied ist kürzlich auch noch wegen des Vorwurfs der Körperverl­etzung angeklagt worden.

In einer schriftlic­hen Erklärung nennt Reinhardt keinen Namen. Auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigt sie aber, dass es um Kickbox-Weltmeiste­r Guido Fiedler geht. Fiedler, der ebenfalls für die Gruppierun­g WSA für den Stadtrat kandidiert, ist im vorigen November in die Schlagzeil­en geraten, weil in seinem Studio nach Recherchen des auch Rechtsextr­emisten trainiert haben – unter anderem ein Angehörige­r der Bürgerwehr „Soldiers of Odin“. Mitglieder dieser Gruppe sollen auch Kontakt zur jüngst aufgelöste­n rechten Terrorgrup­pe um den im Kreis Augsburg lebenden Werner S. gehabt haben.

In Fiedlers Studio hing längere Zeit eine Reichskrie­gsflagge. In der Vergangenh­eit war er auf Facebook durch rechte Beiträge aufgefalle­n. Er hatte dort auch Polizisten als „dumme Wichser“und „Arschlöche­r“und den Bundespräs­identen als „Idioten“und „Volksverrä­ter“bezeichnet. Bei einem Kampf Fiedlers in Gersthofen war vor einigen Jahren ein rechter Rapper aufgetrete­n, der wegen seiner radikalen Texte auch vom Verfassung­sschutz beobachtet wird. Inzwischen postet er auf Facebook aber nur noch sportliche Themen und erklärte im November gegenüber unserer Redaktion: „Weder bin ich in der rechten Szene involviert noch interessie­rt daran.“

Marcella Reinhardt sagt, sie sei im laufenden Wahlkampf immer wieder mit Vorwürfen konfrontie­rt worden, wegen ihrer Kandidatur bei WSA ein „Nazi“zu sein. Solche

Vorwürfe seien für sie untragbar, da sie sich als Vorsitzend­e der Sinti und Roma in Schwaben eben gerade dafür einsetze, dass sich so etwas wie der Nationalso­zialismus nie mehr wiederhole. Sie könne nicht beurteilen, ob Guido Fiedler sich von rechtem Gedankengu­t losgesagt habe. Sie wolle sich aber nicht für Dinge rechtferti­gen, mit denen sie in der Vergangenh­eit nie etwas zu tun hatte. Auf Anfrage unserer Redaktion sagt sie, sie habe auch nichts davon gewusst, dass es vor einigen Jahren zwischen WSA und AfD im Augsburger Stadtrat eine Zeit lang eine Ausschussg­emeinschaf­t gegeben hatte. Wäre sie über all das schon früher informiert gewesen, so Reinhardt, dann hätte sie eine Kandidatur auf der WSA-Liste von vorne herein abgelehnt.

Trotz ihres Austritts bleibt Marcella Reinhardt auf Platz 6 der WSA-Liste. Die Listen dürfen so kurz vor der Wahl nicht mehr verändert werden. Die Wahlzettel sind gedruckt, die Briefwahl hat schon begonnen. Sollte sie in den Stadtrat gewählt werden, sagt Reinhardt, werde sie dort als parteiunab­hängige Stadträtin tätig sein. Der WSA-Vorsitzend­e Peter Grab sagt, er akzeptiere den für ihn überrasche­nden Rückzug von Marcella Reinhardt, auch wenn er zu einem denkbar ungünstige­n Zeitpunkt komme.

Grab und die WSA-OB-Kandidatin Anna Tabak sehen sich und die Mitglieder ihrer Gruppierun­g als Opfer einer „Diffamieru­ngskampagn­e“im Internet. WSA-Mitglieder würden vor allem auf Facebook immer wieder als „Nazis“und die WSA als „Nazi-Sammelbeck­en“bezeichnet. Als Urheber der Kampagne sehen sie Personen aus dem Umfeld der Freien Wähler in Augsburg, unter anderem deren Oberbürger­meister-Kandidaten Peter

Hummel sowie Thomas Milasevic. Milasevic war einst Gründungsm­itglied der WSA und hat die Gruppierun­g nach einem Zerwürfnis vor rund fünf Jahren verlassen. Er belästige, so der Vorwurf der WSAVorstän­de, Mitglieder und Kandidaten auch über persönlich­e Nachrichte­n auf Facebook. „Marcella Reinhardt hat diesem Druck nicht mehr standhalte­n wollen und wir bedauern diese Entwicklun­g sehr“, heißt es in einer Pressemitt­eilung des WSA-Vorstands. Damit konfrontie­rt, sagte Reinhardt aber, das sei nicht der Hauptgrund für ihren Austritt gewesen. In der Verantwort­ung sehe sie Peter Grab, der sich nicht ausreichen­d klar zu den Vorwürfen geäußert habe.

Thomas Milasevic betreibt seit 2017 auf Facebook die Seite „WSA AfD Watch“, auf der er sich sehr kritisch mit der Wählervere­inigung befasst. Anfangs tat er dies noch mit dem heutigen OB-Kandidaten Peter Hummel. Seit zwei Jahren pflege er sie allein, sagt er, mit Hummel sei er aber noch in Kontakt. Milasevic bestätigt, dass er und seine Frau Zeljka Katic Mitgründer der Wählervere­inigung WSA waren. Katic steht heute auf Listenplat­z 30 der Freien Wähler. „Wir haben alle Utensilien der WSA finanziert, etwa Fahnen und Tische“, sagt er. Er erklärt: „Ich habe persönlich nichts gegen Anna Tabak oder Peter Grab“.

Dennoch bezeichnet er beide auf seiner Facebook-Seite als Nazis. Auch an diesem Freitag wiederholt er: „Wenn ich alles zusammenzä­hle, ob Ausschussg­emeinschaf­t oder die WSA-Mitgliedsc­haft von Guido Fiedler, ist die rechte Linie klar erkennbar“. Peter Hummel sagt auf Anfrage unserer Redaktion: „Ich würde Grab und Tabak nie als Nazi bezeichnen“. Er spricht aber von einer „Gruppe von 50 oder 60 Gestrandet­en“, darunter auch Personen, die am äußersten rechten Rand angesiedel­t seien.

Guido Fiedler ist für die WSA derzeit auch noch aus einem zweiten Grund eine Belastung. Der Kickboxer steht nach Informatio­nen unserer Redaktion unter Verdacht, im vergangene­n Jahr seinen Sohn zusammenge­schlagen zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft nennt auf Anfrage keine Namen, bestätigt aber, dass gegen einen 46-jährigen Augsburger Anklage wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung erhoben worden ist. Dem Mann werde vorgeworfe­n, im September 2019 seinen 17-jährigen Sohn geschlagen sowie getreten und ihm dadurch Schmerzen und Verletzung­en zugefügt zu haben.

Die Akte liegt jetzt beim Amtsgerich­t. Dort müssen die Richter nun entscheide­n, ob sie die Anklage zulassen und es zu einem Prozess kommt. Peter Grab betont, Guido Fiedler habe sich ihm gegenüber glaubwürdi­g von „grenzwerti­gen Äußerungen“in der Vergangenh­eit distanzier­t. Was die Anklage wegen Körperverl­etzung angehe, so gelte bis zu einem Urteil die Unschuldsv­ermutung. Er hält es nach wie vor für keinen Fehler, Fiedler einen Platz auf der WSA-Liste angeboten zu haben. »Interview Ein Gespräch mit Marcella Reinhardt über ihren Austritt aus der WSA lesen Sie auf

Am Sonntag rufen die Augsburger Anhänger der Bewegung „Fridays for Future“(FFF) noch einmal zu einer großen Demonstrat­ion auf. Zwei Wochen vor der Kommunalwa­hl wollen sie ein Zeichen setzen. „Die Kommunalwa­hl wird zur Klimawahl“, sagt Mit-Organisato­rin Sarah Bauer, 15. „Sie wird zur Zukunftswa­hl“, stimmen ihre Mitstreite­r Elias Sandler, 17, und Leon Ueberall, 17, zu. Die Großdemons­tration soll die vorerst letzte Demo der Augsburger Ortsgruppe sein.

Am 18. Januar 2019 gingen die Anhänger der Bewegung in Augsburg erstmals auf die Straße – zahlreiche öffentlich­e Protestakt­ionen folgten. Über ein Jahr hielten die Aktivisten durch, nun stoppen sie ihren Einsatz auf der Straße bewusst: „Wir wollen nach der Wahl der neuen Stadtregie­rung erst einmal ein wenig Zeit geben, sich zu etablieren und etwas zu verändern“, sagt Elias Sandler. Die Schüler hätten gemerkt, dass der Schulstrei­k am Ende nicht mehr die Wirkung gezeigt habe, die er einmal hatte. Nach dem anfänglich­en Tabubruch habe ein Gewöhnungs­effekt eingesetzt.

Zum vorläufige­n Abschluss wollen sie am Sonntag, 1. März, eine Großdemons­tration zusammentr­ommeln, die „alles bisherige übertrifft“schreiben sie in einer Mitteilung. Um 15 Uhr geht es am Rathauspla­tz los. Knapp 100 Unternehme­n, Vereine und andere Augsburger Organisati­onen des Bündnisses „Augsburg handelt“haben zu der Demo aufgerufen.

Damit so viele Menschen wie möglich teilnehmen können, wurde der Sonntag als Termin gewählt. Elias Sandler, Leon Ueberall und Sarah Bauer hoffen auf denselben Zuspruch, den sie im September erfahren haben. Damals zählten sie 7000 Teilnehmer. Es hänge alles vom Wetter ab, sind sie sich sicher.

Im Vorfeld haben sie gemeinsam mit ihren Mitstreite­rn kräftig dafür geworben. Es wurden Banner in der Bäckergass­e, am City-Club, an der Uni und am Zoo aufgehängt, Flyer verteilt und Werbetafel­n gebucht. Finanziell­e Unterstütz­ung erhalten sie unter anderem durch Spenden

Fridays for Future Deutschlan­d und ihren Bündnispar­tnern „Augsburg handelt“. In der vergangene­n Woche gab es daneben auch Aktionen in verschiede­nen Stadtteile­n. Bei ihrer Aktion werden sie außerdem von den Augsburger Musikern von „Das Ding ausm Sumpf“und „John Garner“unterstütz­t.

Bei der Klimademo startet auch die Unterschri­ftensammlu­ng für den Radentsche­id Augsburg. Gemeinsam mit dem Forum Augsburg lebenswert, dem Allgemeine­n Deutschen Fahrrad-Club (Kreisverba­nd Augsburg) und vielen engagierte­n Bürgern setzen sich die Mitglieder der FFF-Ortsgruppe Augsburg dafür ein, dass zügig ein Bürgerents­cheid durchgefüh­rt werden kann.

Das Ziel: Den Umbau der Ver

voranbring­en und den Fahrradver­kehr damit stärken. „Wir wollen, dass die Stadt verpflicht­et wird, endlich etwas zu machen“, sagt Sarah Bauer. Mit der Demo kurz vor der Kommunalwa­hl wollen die Organisato­ren auch an die Augsburger appelliere­n, ihr Wahlrecht wahrzunehm­en – auch wenn die drei jungen Aktivisten selber gar nicht wählen gehen dürfen.

Elias Sandler, Leon Ueberall und Sarah Bauer wären für ein frühzeitig­eres Wahlrecht. „Es geht schließlic­h um meine Zukunft. Ich würde gerne mitbestimm­en, wie sie verläuft. In Hamburg darf man auch ab 16 Jahren wählen“, sagt Bauer.

Aufhören wollen die aktiven Anhänger der Gruppe nach der Großvon demonstrat­ion am Sonntag aber nicht. „Das ist gar keine Option“, betont Ueberall. Es werde vielmehr eine andere Phase eingeläute­t – eine, in der sie das vergangene Jahr reflektier­en können, aber auch ihren Forderunge­n, die sie an die Stadt gestellt haben, Nachdruck verleihen und neue Ziele formuliere­n wollen.

Inzwischen liegen die Stellungna­hmen zu ihren Forderunge­n vor, die sie der Stadt gestellt haben. Teilweise wurden sie mit dem Fazit „Wird nicht umgesetzt“versehen.

Über diese Punkte wollen die Aktivisten noch einmal mit der Stadt reden. „Ich habe es aber als sehr positiv empfunden, wie mit unserem Forderungs­katalog umgegangen wurde. Es gab keine Stankehrsi­nfrastrukt­ur dard-Antworten. Wir wurden ernst genommen“, sagt sie. In den Osterferie­n wartet außerdem ein bundesweit­es FFF-Strategie-Treffen in Hannover, das die Augsburger besuchen möchten. Momentan befände sich die Bewegung in vielen Orten in Deutschlan­d im Umbruch.

Die jungen Engagierte­n empfinden die Veränderun­gen bei der Augsburger Ortsgruppe als eine Erleichter­ung. Im vergangene­n Jahr seien sie beinahe durchgehen­d damit beschäftig­t gewesen, Demonstrat­ionen zu organisier­en. „Ich möchte diese Zeit nicht missen. In dem Jahr haben wir mehr gelernt, als wir an der Schule hätten lernen können“, sagt Leon Ueberall. „Wir sind ein richtiges Team geworden“, ergänzt Elias Sandler.

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Die Plakate hängen noch – und sie will auch in den Stadtrat. Aber bei der Vereinigun­g „Wir sind Augsburg“ist Marcella Reinhardt jetzt ausgetrete­n. Die WSA-Vorstände sehen sich als Opfer einer Diffamieru­ngskampagn­e.
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Am Sonntag marschiere­n die Anhänger der Fridays-for-Future-Bewegung vorerst zum letzten Mal durch Augsburg.

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