Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stettenhofen: Tornado wirkt bis heute nach
Am Abend vor Christi Himmelfahrt 2015 wurden Teile des Langweider Ortsteils schwer verwüstet. Betroffene bewegt dies auch noch fünf Jahre später
Langweid-Stettenhofen Es war der Tag vor Christi Himmelfahrt 2015. Ein milder Abend. Später türmten sich Gewitterwolken auf. Kurz vor 23 Uhr passierte in Sekundenschnelle, womit niemand gerechnet hatte: Ein Tornado fegte über Stettenhofen hinweg – mit verheerenden Folgen. Der Langweider Bürgermeister Jürgen Gilg feierte gerade mit Familie und Freunden seinen 40. Geburtstag, als der erste Alarmruf der Feuerwehr Stettenhofen ihn erreichte. Sofort machte er sich auf den Weg. Unterwegs die zweite Alarmierung. Diesmal war es die Polizei. Bei der Ankunft in Stettenhofen war auf den ersten Blick zu sehen, dass eine Katastrophe geschehen war.
„Ein ganzer Dachstuhl fehlte, die Anzeigesäule der Tankstelle war einfach weg.“Betreiber Peter Beducker erinnert sich gut an die Nacht, die nicht nur seinen Betrieb, sondern auch das Wohnhaus der Familie stark beschädigte. „In den ersten Jahren stellten sich mir noch die Haare auf, wenn die Rede auf die Sturmnacht kam.“Heute ist aber wieder alles in Ordnung und außerdem „hat es andere schlimmer getroffen als uns“. Claudia Seipel und ihre Mutter erfuhren beim Kurzurlaub in Wien, was bei ihnen zu Hause passiert war. Das Dach des Hauses von Elfriede Seefried hatte der Tornado an zwei Seiten stark beschädigt, die Dachrinnen abgerissen und die Scherben von der Photovoltaikanlage der Tankstelle gegenüber steckten in den Rollläden der Fenster. Obwohl das Technische Hilfswerk das Dach gesichert und Freunde den Eingangsbereich freigeräumt hatten, war der Anblick des Hauses doch „ein Riesenschreck“, als die beiden Frauen nach Hause kamen.
Der Tornado bildete sich wie aus dem Nichts, zog quer durch Stettenhofen und anschließend über den Lech hinüber in den Landkreis Aichach-Friedberg. Die geschätzte Schadenhöhe auf beiden Seiten des Lechs: 140 Millionen Euro. In Stettenhofen waren 34 Häuser teils stark beschädigt, 19 Menschen waren obdachlos geworden und mussten so
untergebracht werden. Wie durch ein Wunder gab es keine Opfer zu beklagen. Finanzielle Soforthilfen wurden über das Landratsamt ausgezahlt. Sofortgeld, Soforthilfen und Notstandsbeihilfe standen zur Verfügung. Die Welle der Hilfe, die nach dem Unglück anlief, ist für Bürgermeister Jürgen Gilg immer noch überwältigend. „Das Zusammenwirken der Rettungskräfte war phänomenal.“Die Polizei, die Feuerwehren aus Stettenhofen, Langweid, Gersthofen, Gablingen, Batzenhofen und Hirblingen, die Werksfeuerwehren des Industrieparks Gersthofen, von Premium Aerotec und die Helfer des Technischen Hilfswerks waren vor Ort, um
Gefahren durch ausgerissene Bäume, Äste und Bauteile zu beseitigen. Einsatzkräfte des Roten Kreuzes waren vor Ort. Andreas Kügler, der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Stettenhofen, erinnert sich an Tage im Dauereinsatz; an die Erleichterung, unter Bäumen und Fassadenteilen keine verunglückten Menschen zu finden. „Brutal zusammengeschweißt“hat der Einsatz seine Truppe, im Extremfall habe sich gezeigt, wie wichtig die Ortsteilfeuerwehren sind. Überall traten Freiwillige an, um zu helfen, wo immer es nötig war. Über 116 000 Euro kamen auf einem von der Gemeinde eingerichteten Hilfskonto zusammen und wurden an die Geschädigfort ten ausbezahlt. Privatleute spendeten, Vereine veranstalteten BenefizEvents, der Bürgermeister setzte sich drei Stunden lang an die Kasse des örtlichen Drogeriemarktes und fuhr mit der Aktion insgesamt 14600 Euro für den Hilfsfonds ein. Unterstützung kam auch von der Kartei der Not, dem Leserhilfswerk der Mediengruppe Pressedruck, in der auch die Augsburger Allgemeine erscheint.
Fünf Jahre später sind die Schäden beseitigt. Auffallend ist bei einer Fahrt durch Stettenhofen, dass es eine Menge neuer Dächer gibt. Das Feldkreuz, das in der Sturmnacht zerstört wurde, haben die Gläubigen am alten Platz wieder aufgerichtet.
Für die Familie der ersten Stifterin Elisabeth Seiler war es eine Ehrensache, für Ersatz zu sorgen. Dekan Georg Schneider sprach am neuen Kreuz einen Wettersegen in der Hoffnung, dass die Menschen und das Feldkreuz künftig von solch verheerenden Stürmen verschont bleiben. Die meisten Stettenhofer haben die Sturmnacht nicht vergessen, werden aber auch nicht bei jeder dunklen Wolke von Ängsten geplagt. Dinge kann man ersetzen, Menschenleben hat der Tornado glücklicherweise nicht gekostet, sind alle im Rückblick froh. Und die Chance, dass es einen Ort zweimal erwischt, sind verschwindend gering.