Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Extremiste­n Corona-Proteste für sich nutzen

Der Innenminis­ter beobachtet die Entwicklun­g mit Sorge – und mahnt Teilnehmer, sich nicht vereinnahm­en zu lassen

- VON SARAH SCHIERACK UND STEFAN LANGE

Augsburg Wütende Demonstran­ten, Protest mal mehr und mal weniger auf Abstand – seit einigen Wochen gehören diese Bilder genauso zum Alltag wie Schlangen vor den Läden oder vermummte Verkäufer in den Geschäften. Auch an diesem Wochenende sind in vielen Städten wieder Demonstrat­ionen gegen die Corona-Auflagen geplant.

Nach Erkenntnis­sen der Sicherheit­sbehörden nutzen jedoch immer häufiger Rechtsextr­emisten die Proteste, um ihre Botschafte­n unterzubri­ngen. Bundesinne­nminister Horst Seehofer betonte in dieser Woche, diese Kräfte machten seinem Haus große Sorgen. Er warnte eindringli­ch: „Wir müssen darauf achten, dass Extremiste­n hier nicht Oberwasser bekommen.“

Nach Angaben des Innenminis­teriums planen Rechtsextr­eme aktiv, die Proteste zu unterwande­rn. In einem Papier des Ministeriu­ms ist zu lesen, dass „mehrere rechtsextr­emistische Protagonis­ten“zuletzt dazu aufgerufen hätten, sich an den Demonstrat­ionen zu beteiligen „und auch bei Kundgebung­en außerhalb des rechtsextr­emistische­n Spektrums Präsenz in der Öffentlich­keit zu zeigen“. Bisher seien die Proteste aber noch nicht wesentlich von Rechtsextr­emen geprägt gewesen, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der FDP, die unserer Redaktion vorliegt.

Das Ministeriu­m betont aber auch, es sei nicht auszuschli­eßen, „dass die Teilnehmer­zahlen aus dem rechtsextr­emistische­n Spektrum an demokratis­chen Kundgebung­en ansteigen werden“. FDP-Innenexper­te Benjamin Strasser mahnt vor diesem Hintergrun­d, dass die Menschen genau hinschauen sollten, „wer hinter den Demo-Aufrufen steckt und auch gegenhalte­n, wenn bei Versammlun­gen Grenzen überschrit­ten werden, die nicht mehr auf dem Boden der Verfassung stehen“. Gleichzeit­ig müssten auch die Sicherheit­sbehörden die Unterwande­rungsversu­che im Blick behalten.

Strasser hebt wie Innenminis­ter Seehofer aber auch noch einmal die Bedeutung des Demonstrat­ionsrechts hervor. „Wenn viele Menschen in Deutschlan­d wegen der Einschränk­ungen von Bürgerrech­ten oder aus Sorge vor den wirtschaft­lichen und sozialen Folgen der Corona-Krise aktuell demonstrie­ren, ist das erst mal ein Zeichen für eine lebendige Demokratie.“Es sei fatal, „wenn man jeden dieser Leute mit Rechtsextr­emen und Verschwöru­ngstheoret­ikern über einen Kamm scheren würde“.

Auch Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer hatte zuletzt betont, dass er die Demonstran­ten ernst nehme. „Ich möchte verstehen, was die Menschen umtreibt“, sagte der CDU-Politiker, nachdem

In anderen Ländern wird seltener protestier­t

er bei Protesten lange Gespräche mit Teilnehmer­n geführt hatte. Verständni­s sei „eine zwingende Voraussetz­ung dafür, dass dieses Land sich nicht weiter spaltet“.

Im weltweiten Vergleich nimmt Deutschlan­d mit seinen regen Protesten gegen die Corona-Auflagen eine Sonderroll­e ein. In vielen anderen Ländern sind Massendemo­nstratione­n nur ein Randphänom­en – auch wegen teils noch strengerer Kontaktbes­chränkunge­n. So gehen die Menschen etwa in Spanien nur vereinzelt auf die Straße – obwohl es auch dort Unmut über die CoronaPoli­tik der Regierung gibt.

Auf Panorama lesen Sie die Geschichte von Alfons Blum. Millionen TV-Zuschauer haben in dieser Woche verfolgt, wie der Rentner auf einer Demonstrat­ion in Gera niedergebr­üllt wurde, weil er einem Kamerateam seine Lage schilderte.

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