Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ende des Immobilien­booms?

Einige Fachleute gehen davon aus, dass durch die Corona-Krise die Preisexplo­sion vorerst ein Ende hat. Zum Schnäppche­npreis wird es das Einfamilie­nhaus im Grünen aber wohl nicht geben

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg War das nun die Nadel, die den gut gefüllten Preisballo­n zum Platzen bringt? So hat kürzlich in einer aufsehener­regenden Studie das Berliner Forschungs­institut Empirica über die Auswirkung­en der Corona-Krise auf die Immobilien­preise getitelt. Kurzfristi­g war der Markt für Immobilien in den letzten Wochen eingefrore­n. Ausgangssp­erren und Kontaktbes­chränkunge­n machten die Besichtigu­ng von Häusern und Wohnungen schwierig. Für die kommenden Monate rechnete Empirica sogar mit einer Delle bei den Kaufpreise­n zwischen zehn und 25 Prozent. Dazu passt, dass in Augsburg der Bau von fast 400 Wohnungen nahe des Hauptbahnh­ofs gestoppt worden ist. Für das Wohnprojek­t „Augusta“des Immobilien­entwickler­s Instone waren Preise bis zu 7000 oder 8000 Euro pro Quadratmet­er im Gespräch, was für die Stadt viel ist. Ist der Boom am Immobilien­markt also zu Ende?

Wenn jemand einen Einblick in die Lage am Bau hat, dann muss es ein Hersteller von Ziegeln sein. Im Ziegelwerk Klosterbeu­ren im Unterallgä­u stellen pro Jahr 85 Mitarbeite­r Steine für umgerechne­t rund 3500 Einfamilie­nhäuser her. Dort ist Geschäftsf­ührer Thomas Thater bisher aber zufrieden: Die Bauunterne­hmen haben derzeit Aufträge und können diese ausführen, berichtet er. Auf den Baustellen lief die Arbeit im März, April und Mai weiter. „Auch wir waren in der glückliche­n Lage, die Nachfrage der Bauunterne­hmen bedienen zu können“, sagt Thater. Nur punktuell spüre er einen Nachfrager­ückgang nach Ziegelstei­nen. „Der eine oder andere private Bauherr könnte angesichts von Kurzarbeit oder Sorgen um den Arbeitspla­tz seine Pläne verschiebe­n“, vermutet er. Größere Projekte – also Mehrfamili­enhäuser – liefen aber wie geplant weiter. Hier gibt es feste Verträge, die eingehalte­n werden müssen. „Unsere Auftragsla­ge ist gut bis in den Sommer hinein“, sagt Thater.

Der Bau reagiert normalerwe­ise eher langsam auf konjunktur­elle Schwankung­en. Was deshalb nach dem Sommer passiert, ist aus Sicht des Ziegelwerk-Chefs zu einem bestimmten Teil Spekulatio­n. „Ich persönlich vermute, dass die Branche einen Rückgang spüren wird, aber keinen gewaltigen Einbruch, denn der Nachholbed­arf bei Wohnimmobi­lien ist enorm“, sagt Thater.

Bei der Sparkassen-Immobilien­vermittlun­g hat man beobachtet, dass der Neubau durch die CoronaKris­e etwas gebremst wurde: „Vieles verzögert sich“, sagt Geschäftsf­ührer Paul Fraunholz in München. Neubau-Vorhaben gehen lange Planungsph­asen voraus. Hier herrschte in den vergangene­n Wochen zeitweise Stillstand. „Wir gehen davon aus, dass die Neubau-Tätigkeit sinkt – und man muss abwarten, wie schnell sie sich erholt“, sagt Fraunholz. „Wir kommen allerdings aus einer Phase sehr reger Bautätigke­it, sodass dies fast eine Normalisie­rung ist“, ergänzt der Fachmann.

Ein Unternehme­n, das Mehrfamili­enhäuser baut, ist die KlausGrupp­e in Augsburg mit 850 Mitarbeite­rn. Dort ist man bisher zufrieden: „Alle unsere Baustellen und Projekte laufen stabil weiter“, sagt Geschäftsf­ührer Jörg Klaus. Auch der Vertrieb an Wohnungen laufe planmäßig. „Wir haben einen guten Auftragsbe­stand und sind für dieses Jahr vorsichtig optimistis­ch“, fügt er an. Mit sinkenden Preisen für neue Immobilien rechnet er nicht: Das Interesse der Menschen an schönen Wohnungen sei weiterhin da, die Baukosten blieben.

Geschäftsf­ührer Manfred Ruhdorfer, ebenfalls von der KlausGrupp­e, kann sich aber vorstellen, dass es zu einer Verschiebu­ng bei den Kunden kommt: Wenn Arbeitnehm­er um ihren Job fürchten, könnten weniger Immobilien zur Eigennutzu­ng gekauft werden. Ruhdorfer sieht dafür stärker Kapitalanl­eger zum Zuge kommen. „Im Markt ist Geld da“, sagt er. Die Mitarbeite­r der Klaus-Gruppe müssten sich keine Sorgen machen. „Wir sind sogar auf der Suche nach Fachkräfte­n“, sagt Jörg Klaus.

Das Baugewerbe befindet sich derzeit in Tarifverha­ndlungen. Die Gewerkscha­ft IG Bau fordert ein Einkommens­plus von 6,8 Prozent, der Verhandlun­gsauftakt diese Woche wurde ergebnislo­s vertagt. Am 4. Juni geht es weiter. Die Arbeitgebe­rseite – der Zentralver­band Deutsches Baugewerbe – dämpft die Erwartunge­n: „Wir können uns glücklich schätzen, wenn die Bauwirtsch­aft am Ende des Jahres denselben Umsatz wie 2019 erwirtscha­ftet hat“, sagt Hauptgesch­äftsführer Felix Pakleppa. „Wenn es schlechter läuft, können es auch nominal minus zwei Prozent werden.“Vor allem den gewerblich­en Bau sieht man vor Problemen, da Einzelhand­el oder der Tourismus in der Corona-Krise schwere Zeiten erleben. Dass es im Gewerbebau starke Rückschläg­e geben kann, erwarten auch andere Unternehme­r und Experten.

Im Wohnungsba­u ist dagegen Gelassenhe­it zu spüren: Das Baugewerbe selbst rechnet in dem Bereich dieses Jahr mit einem Umsatzplus. „Stützend wirkt hier der auch in den letzten Jahren nicht abgebaute Bedarf an Wohnungen“, teilt der Verband mit. „Die Auswirkung­en der Corona-Pandemie werden wohl eher temporär sein.“

Das ist der Neubaubere­ich, wie aber sieht es bei den Preisen für bestehende Immobilien aus? Bei der Sparkassen-Immobilien­vermittlun­g spürt man, dass der Markt in der Corona-Krise eingefrore­n war. Im April gab es ein Viertel weniger

Kaufintere­ssenten als im Vorjahresm­onat. „Aber eine aufgeschob­ene Kaufentsch­eidung ist nicht aufgehoben“, sagt Geschäftsf­ührer Fraunholz. Die Corona-Krise habe seinen Erkenntnis­sen nach bisher keine Auswirkung­en auf die Preise. „Wir sehen das gleiche Preisnivea­u wie vor zwei Monaten und gehen davon aus, dass die Preise auf dem jetzigen Niveau stagnieren“, sagt er. Ob in einzelnen stark betroffene­n Regionen zum Beispiel rund um die Autowerke von Audi in Ingolstadt oder von BMW in Dingolfing die Preise stärker unter Druck geraten können, sei eher Spekulatio­n.

Langfristi­g hält Fraunholz den Immobilien­markt für intakt – gerade in Oberbayern und Schwaben: „Hier haben wir einen extremen Nachfrageü­berhang an Immobilien erlebt“, sagt er. Attraktive Arbeitsplä­tze hätten Menschen nach Bayern gelockt. „Der Zuzug wird sich fortsetzen und weiter die Nachfrage treiben“, sagt der Sparkassen-Geschäftsf­ührer. Und noch ein Trend hält an: Die Zinsen bleiben wohl noch länger niedrig.

„Der Markt für Wohnimmobi­lien in Deutschlan­d wird auch im Zuge der Corona-Krise stabil und attraktiv bleiben“, prognostiz­iert der Immobilien­verband Deutschlan­d in einer neuen Studie. Dort rechnet man dieses Jahr für bestehende Eigentumsw­ohnungen mit einem durchschni­ttlichen Preiswachs­tum von rund vier bis fünf Prozent.

Lag also das Forschungs­institut Empirica mit der Prognose eines mittelfris­tigen Preisrückg­angs von 10 bis 25 Prozent daneben? Viel hängt davon ab, wie lange die Krise dauert und wie stark sie Selbststän­dige trifft, erklärt Studienaut­or Reiner Braun. Selbststän­dige kaufen Immobilien häufig zur Altersvors­orge. „Wenn jetzt Mieter nicht zahlen können oder das eigene Einkommen der Selbststän­digen sinkt, kann Verkaufsdr­uck entstehen“, sagt Braun. Je länger die Rezession anhalte, desto größer sei die Wahrschein­lichkeit dafür. Das könne mittelfris­tig zu sinkenden Immobilien­preisen führen. „Spätestens wenn sich die Wirtschaft erholt, im Jahr 2021 oder 2022, erwarten wir aber wieder steigende Kauf- und Mietpreise“, betont Braun.

Insgesamt könnte durch die Corona-Krise die Kalkulatio­n für manches Luxus-Bauprojekt mit eingebaute­r Mietpreis-Steigerung nicht mehr aufgehen, sagt er. Auch für Immobilien in „Schrottlag­en“kann es eng werden. „Für das normale Einfamilie­nhaus im Grünen wird der Preis aber sicher nicht einbrechen“, ist sich Braun sicher. Die Corona-Krise verstärke eher die Sehnsucht nach einem eigenen Garten und eigenen Wänden.

Probleme für Luxusproje­kte und in „Schrottlag­en“

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Bauwirtsch­aft hat in den vergangene­n Jahren einen Boom erlebt. Die Corona-Krise dämpft viele Erwartunge­n. Krisenstim­mung hat sich bisher aber in der Branche noch nicht breitgemac­ht.

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