Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Männer fühlen sich als Vollzeit-Papa gestresst
Durch die Krise sehen sich nun viele Väter im Homeoffice mit Erziehungsfragen konfrontiert. Das hat zu einer Verschiebung der Stressfaktoren geführt. Frauen sind weniger betroffen
Augsburg Wie stressig Kinderbetreuung sein kann, das haben jetzt auch viele Väter während der Corona-Krise erkannt: Die Frau ist beruflich außer Haus und plötzlich ist der Mann Vollzeit-Papa. Für viele ist das eine ungewohnte Situation, die laut einer forsa-Umfrage zu einer Verschiebung der Stressfaktoren geführt hat. War es zuvor der Job, der Väter unter Druck gesetzt hat, ist es nun der Nachwuchs. Für Mütter hat sich weniger geändert.
Damit sind die Väter kein Einzelfall: Rund 42 Prozent der Männer mit Kindern unter 18 Jahren gaben an, sich als Erzieher, Lehrer und Unterhalter gestresst zu fühlen. Zum Vergleich: Vor der CoronaKrise lag die Zahl bei 33 Prozent und fast die Hälfte (47 Prozent) fühlte sich am meisten vom Job unter Druck gesetzt.
Das Gefühl, durch die Kindererziehung gestresst zu sein, kennen wohl viele Mütter. Die Hälfte der befragten Frauen gab an, dies nach wie vor als größte Belastung im Alltag zu empfinden. Grundsätzlich fühlen sich Mütter durch die täglichen Aufgaben und Sorgen mehr belastet als Väter. Warum also sind Männer durch die Erziehung plötzlich auch gestresst? Als Grund sieht Dr. Bruno Waldvogel das noch immer recht traditionelle Rollenbild vieler Familien. Waldvogel ist Psychologischer Psychotherapeut in München und Vizepräsident der Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten. Viele Männer seien es vor Corona einfach nicht gewohnt gewesen, sich in dem Umfang um die Kindererziehung zu kümmern. Denn noch immer sei das vorrangig Aufgabe der Frauen. Auch wenn der moderne Mann sich durchaus wünsche, mehr Verantwortung innerhalb der Familie zu übernehmen, oftmals sei es im Alltag nicht umsetzbar gewesen, sagt Waldvogel. Durch das Homeoffice blieb vielen Vätern aber keine andere Wahl. „Die Veränderung hat zu einer Belastung für die Väter geführt“, erklärt der Experte. Seiner Ansicht nach sind Männer deswegen keinesfalls weniger in der Lage, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen. Wäre die Rollenverteilung zuvor innerhalb der Familie andersherum gewesen, würden Mütter sich wohl ebenso fühlen.
Um den Stress im Corona-Alltag abzubauen, rät Waldvogel überforderten Männern, um Unterstützung zu bitten. Entweder bei Beratungsstellen, im Jugendamt oder bei der Partnerin. „Das könnte zu gemeinsamen positiven Erfahrungen führen“, sagt der Experte. Genauso drücke es Wertschätzung und Anerkennung für den Partner aus. Und auch geteilte Aufgaben können für Entlastung sorgen – wobei die Verteilung flexibel bleiben sollte, meint Waldvogel. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ein Partner mehr Verantwortung trägt als der andere. Grundsätzlich sollten sich gestresste Eltern eine Auszeit gönnen. Im schlimmsten Fall, so die Studie, macht Stress krank. Ein Warnsignal ist etwa, wenn Menschen die Fähigkeit verlieren, zu regenerieren.
Gespräche sind das eine, Hilfe in Form von Geld das andere: Rund die Hälfte der Befragten wünschen sich laut forsa-Umfrage zusätzliche Unterstützung – etwa beim Kindergeld. Waldvogel kann die Bitte gut verstehen. Ohne den Einsatz der Eltern wäre die Betreuung aller Kinder in der Corona-Krise gar nicht machbar. Daher müsse ihre Leistung entlohnt werden. „Dadurch könnten Familien ihre finanziellen Sorgen genommen werden.“Bleibt etwa mehr Geld für Ausflüge mit den Kindern übrig, wirke sich das auch positiv auf die Stimmung innerhalb der Familie aus.
Bleibt aber die geänderte Rollenverteilung auch nach Corona?
Und wie werden die Rollen nach der Krise verteilt sein?
Waldvogel hat da seine Zweifel. „Ich gehe davon aus, dass die Rollenverteilung sich nicht verändert.“Allerdings könnte die Erfahrung als Vollzeit-Papa bei den Männern Spuren hinterlassen haben. „Durch das Homeoffice haben Väter in Zukunft mehr Möglichkeiten, in der Erziehung und im Haushalt zu helfen.“Ihre Partnerinnen würde das jedenfalls freuen: Jede vierte Frau gab in der Umfrage an, sich mehr Anerkennung von ihrem Partner zu wünschen.