Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Er wollte Augsburgs größter Drogendealer sein
Ein Mann nutzte ein Geschäft im Schwabencenter als Fassade, besorgte sich kiloweise Stoff im Internet und zog einen Drogenring auf. Nun steht er vor Gericht – und hat sich mit seinen Aussagen viele Feinde gemacht
Der Mann auf der Anklagebank wirkt unauffällig, freundlich, intelligent. Das, was er im Jahr 2018 in Augsburg plante, war all das nicht. Laut Anklage wollte Richard S.
40 Jahre alt, einer der „größten Drogendealer im Augsburger Raum“werden, und das dürfte für kurze Zeit auch geklappt haben. Es sind jedenfalls große Mengen Drogen, um die es in seinem Fall geht; mal Kilos Heroin hier, mal ein Kilogramm Amphetamin und tausende Ecstasy-Tabletten dort. Eine Zeit lang muss es ein Leben wie im Film gewesen sein: Richard S. kaufte sich ein Geschäft im Schwabencenter zur Fassade, das er als heimliches Lager nutzte; er zog den Ermittlungen zufolge unter seinen Kunden, darunter kleinere Dealer aus Augsburg, ein Verkaufssystem auf – mit vergünstigten Preisen bei hoher Zuverlässigkeit. Eine Art Liga, bei der man den „Bronze-“oder „Silberstatus“erlangen konnte. Nur: Das konnte alles nicht lange gut gehen.
Im Oktober 2018 nahmen die Ermittler den Mann fest, der zuletzt in der Augsburger Innenstadt gelebt hatte. Seither sitzt er in Untersuchungshaft, es sind fast schon zwei Jahre. Seit Mai dieses Jahres läuft der Prozess gegen den 40-Jährigen vor der 14. Strafkammer des Landgerichtes unter Vorsitz der Richterin Maiko Hartmann, ihm droht eine längere Haftstrafe. Laut Anklage hatte Richard S. zunächst ab April 2018 größere Mengen Drogen über das Darknet gekauft und zu höherem Preis im Stadtgebiet weiterveräußert. Später soll er direkte Bezugsquellen in den Niederlanden gehabt haben. Mehrfach fuhr er den Ermittlungen zufolge über die Grenze, die holländischen Lieferanten kamen aber offenbar auch mal zu ihm und verkauften ihm etwa 500 Gramm Kokain und 500 Gramm Heroin an einem Parkplatz in der Nähe des Autobahnsees.
Richard S. nutzte bei den kriminellen Geschäften falsche Namen, die Sache flog trotzdem auf. Zu offensiv machte er in der Drogenszene offensichtsichtlich von sich reden. Zu zwei besonders großen und bereits in die Wege geleiteten Deals, dem Kauf von zwei Kilogramm Kokain und 5000 Ecstasy-Tabletten, kam es laut Anklage nicht mehr – da hatte ihn die Polizei bereits festgenommen. Sie hatte einen regelrechten Drogenring gesprengt; im Februar 2019 saßen acht Personen in Untersuchungshaft, die teils auch die Drogenszene am Oberhauser Bahnhof mit Stoff versorgt haben sollen.
Ein größerer Schlag gegen die Drogenkriminalität in Augsburg, aber noch nicht einmal das Ende: Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Augsburg gab es aufgrund von Erkenntnissen aus dem Verfahren insgesamt 27 weitere Verfahren gegen mutmaßliche Abnehmer. In 14 Fällen davon mussten die Angeklagten später ins Gefängnis, einer von ihnen erhielt eine Haftstrafe von neun Jahren. Drei Mal gab es Bewährungsstrafen, drei Mal Geldstrafen, sechs Verfahren sind noch nicht abgeschlossen, eines an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben. Die vielen Verurteilungen kamen auch deswegen zustande, da Richard S. auspackte, nachdem die Kripo ihn festgenommen hatte. S. nannte die Namen seiner Komplizen und Abnehmer. Er beichtete weit mehr als das, was die Ermittler ihm zu diesem Zeitpunkt nachweisen konnten. Was den Fahndern ebenfalls half: Der 38-Jährige hatte offensichtlich gründlich Buch über seine Geschäfte geführt.
Er legte Dateien mit Tabellen an, in denen er aufgelistet hat, was er wann verkaufte. Für die Ermittler waren diese Informationen wertvoll. Oft sind Ermittlungsverfahren zu Drogenhandel auch deshalb schwierig, weil man im Nachhinein nicht mehr genau feststellen kann, wann welche Geschäfte stattgefunden haben. In einem Prozess vor Gericht gilt aber: Je genauer solche Angaben sind, umso eher erfolgt auch eine Verurteilung.
Richard S. musste inzwischen schon mehrfach als Zeuge aussagen in Prozessen gegen kleinere Dealer und Abnehmer. Die Richter stützten in diesen Prozessen ihre Urteile wesentlich auf seine Aussagen. Das bedeutet, dass sie ihn als glaubwürdig einstufen und nicht vermuten, er könne übertreiben – etwa, um sich wichtig zu machen.
In den Prozessen wirkte S. nicht wie ein Drogendealer oder Krimineller, sondern eher wie ein Sachbearbeiter, der nüchtern Bilanz zieht. Er berichtete davon, wie er in den dunklen Ecken des Internets nach Drogen suchte. Und wie er es schaffte, größere Mengen zu bestellen. Später soll es ihm auch gelungen sein, persönlichen Kontakt zu den Verkäufern des Stoffs, die in Holland saßen, aufzubauen. Mit seinen Aussagen hat sich S. Feinde gemacht: In den Zellen im Keller des Gögginger Strafjustizzentrums, in denen Häftlinge an den Prozesstagen zeitweise sitzen, sollen Todesdrohungen gegen ihn an der Wand stehen. In dem jetzigen Prozess vor dem Landgericht ging es eigentlich mal um noch mehr: Vorwürfe der versuchten Zwangsprostitution etwa. Die Ermittler gingen davon aus, dass er versucht haben soll, Frauen aus der Drogenszene dazu zu überreden, sich auf Internetportalen als Prostituierte anzubieten. Das meiste ist allerdings zwischenzeitlich eingestellt worden.
Wie lange die Haftstrafe sein wird, die Richard S. erwartet, ist noch unklar. Der 40-Jährige setzte offenbar auf eine im Betäubungsmittel-Gesetz existierende sogenannte „Kronzeugen-Regelung“. Sie sieht Strafmilderung für Beschuldigte vor, wenn diese Aufklärungshilfe leisten. Vertreten wird der Angeklagte von Verteidiger Mathias Grasel, der sagt, sein Mandant habe die Vorwürfe hinsichtlich der Drogengeschäfte vollumfänglich eingeräumt und im Zuge dessen auch zahlreiche andere Personen aus der Augsburger Drogenszene belastet. Grasel berichtet, sein Mandant sei deswegen im Gefängnis Drohungen und Schikanen ausgesetzt. Der Prozess wird Mitte Juli fortgesetzt.