Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Es waren tolle Zeiten dabei“
Wolfgang Clement blickt auf sein politisches Leben zurück, in dem er sich mit seiner Partei überworfen hat
Berlin An der Wand hängt ein Foto, das Wolfgang und Karin Clement inmitten ihrer Familie zeigt. Sie haben fünf Töchter und 13 Enkel: „Acht Jungen, fünf Mädchen“, listet Karin Clement strahlend auf. „Der Jüngste ist eineinhalb, die Älteste 22.“Zufrieden wirkt der frühere Bundeswirtschaftsminister und einstige nordrhein-westfälische Ministerpräsident kurz vor seinem 80. Geburtstag an diesem Dienstag, auch wenn Wolfgang Clement sich mit seiner SPD schon lange überworfen hat und ausgetreten ist. „Ich hab auch beruflich viel Glück gehabt im Leben“, sagt er. 1960 zum Beispiel, da wollte er Journalist werden, obwohl sein Vater gar nicht damit einverstanden war. Er schrieb alle Zeitungen in seiner Heimatstadt Bochum und Umgegend an, doch nur der Lokalchef der Westfälischen Rundschau antwortete.
Dort fing er an – Zeilenhonorar neun Pfennig –, und etliche Jahre später wurde dieser Lokalchef Günter Hammer Chefredakteur des Blattes und machte Clement zu seinem Vertreter. „Dieser Mann war der erste große Glücksfall meines beruflichen Lebens.“
Der nächste hieß Hans-Jürgen Wischnewski, ein SPD-Urgestein. „Er hat mich auch im Namen Willy Brandts gefragt, ob ich Sprecher der SPD werden wollte.“Das war 1981. Clement rief daraufhin den SPDLandesvorsitzenden und NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau an und fragte, ob er mal zu ihm kommen dürfe, um die Sache mit ihm zu besprechen. „Kommen Sie“, sagte der. „Und so habe ich Johannes Rau kennengelernt. Er hat mir dann geschildert, wie das ist, wenn man im Präsidium zusammensitzt mit Brandt, Schmidt und Wehner.“
In dem Gespräch mit Clement karikierte Rau die Konflikte zwischen Wehner und Brandt im fensterlosen Sitzungsraum des SPD-Präsidiums im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus, wie Clement sich erinnert. Er sagte: „Sie müssen sich vorstellen, die beiden reden kaum miteinander, und Sie müssen aus ihren kürzesten Sätzen, Randbemerkungen, geradezu aus ihrer Körpersprache verstehen lernen, worum es jeweils geht.“
Clement machte den Job des SPD-Vorstandssprechers bis 1987. Dann kehrte er zurück in den Journalismus und wurde Chefredakteur der Hamburger Morgenpost. Rau machte sich alsbald einen Spaß daraus, ihm die Zeitung allmorgendlich mit eigenhändig geröteten Rechtschreibfehlern zurückzuschicken. „Das war gelegentlich eine regelrechte rote Wüste.“
1989 holte ihn Rau als Chef der Staatskanzlei nach Düsseldorf, wo er bald als Kronprinz des NRW-Landesvaters galt, obwohl er heute sagt, dass er ursprünglich gar nicht Ministerpräsident habe werden wollen. 1998 wurde er es dann doch. Vier
Jahre später kam der Ruf aus Berlin: Bundeskanzler Gerhard Schröder bekniete ihn, als kombinierter „Superminister“für Wirtschaft und Arbeit in das rot-grüne Kabinett einzutreten. Clement gab nach – was nicht überall auf Verständnis stieß:
„Edmund Stoiber hat einmal zu mir gesagt: ‚Wie konnten Sie nur aus dem Amt des Ministerpräsidenten des größten der deutschen Länder in die zweite Reihe der Berliner politischen Szene wechseln?‘ “
Clement sah es anders. In Anbetracht der damals sehr schwierigen Industrie- und Arbeitsmarktlage in NRW sei es ihm um eine grundlegende Veränderung der politischen Rahmenbedingungen gegangen. Als Ministerpräsident wäre ihm das nicht möglich gewesen, sagt er im Rückblick. Die Reformagenda 2010, die er wesentlich mit umsetzte, gilt heute als seine herausragende politische Leistung. Allerdings begann damit auch seine Entfremdung von der SPD, die 2008 mit seinem Parteiaustritt endete. „80 Jahre“, sagt er zum Abschied vor der Tür seines Hauses. „Hätt’ ich mir früher auch nicht träumen lassen. Aber es waren tolle Zeiten dabei.“
Christoph Driessen, dpa