Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Trump sucht neue Feindbilde­r

In düsteren Reden zum Unabhängig­keitstag stimmt der Präsident seine Anhänger vier Monate vor der Wahl auf einen neuen Angstgegne­r ein: die Anti-Rassismus-Bewegung. Das Coronaviru­s hingegen findet er „komplett harmlos“

- VON KARL DOEMENS

Washington Anfangs waren es die illegalen Migranten aus den „Drecksloch“-Ländern, die die USA angeblich bedrohten. Dann standen China und Europa wegen ihrer Handelspol­itik im Visier. In diesem Wahlkampf nun scheint Donald Trump den Hauptfeind im eigenen Land zu orten: Es ist der „neue linksradik­ale Faschismus, der absoluten Gehorsam verlangt“. Zwei düstere Reden zum amerikanis­chen Unabhängig­keitstag an diesem Wochenende vermittelt­en einen Vorgeschma­ck, wie der in der Corona-Krise unter Druck geratene Präsident in den kommenden Wochen seine Anhänger mobilisier­en will.

Eigentlich ist der „Independen­ce Day“in den USA ein unpolitisc­her Feiertag, der mit einer betont einigenden, fröhlich-patriotisc­hen Rede des Präsidente­n und einem Barbecue beim Feuerwerk ausklingt. Trump hatte den Charakter des 4. Juli schon im vorigen Jahr verändert, als er Panzer vor dem Lincoln Memorial ausstellen ließ. In diesem Jahr setzte er auch rhetorisch ganz auf Spaltung, Wut und Angst: „Wir lassen uns nicht terrorisie­ren, wir lassen uns nicht erniedrige­n und wir lassen uns nicht von schlechten, bösartigen Menschen einschücht­ern“, rief er seinen Zuhörern zu.

Trump bezog seine Kampfansag­e auf den „wütenden Mob“, der mit seinen Demonstrat­ionen die amerikanis­che Geschichte auslöschen und die Kinder indoktrini­eren wolle. Doch man konnte sie auch als Reaktion auf seine dramatisch sinkenden Umfragewer­te verstehen. Denen will er nun offensicht­lich mit der Dämonisier­ung der Anti-Rassismus-Proteste begegnen, die seit Wochen überall in den USA tausende Menschen auf die Straße treiben.

Bei seinen Attacken unterschei­det Trump nicht zwischen der überwiegen­d friedliche­n Mehrheit der Demonstran­ten und jenen Protestler­n, die anfangs Geschäfte plünderten oder nun die Denkmäler von umstritten­en historisch­en Figuren beschädige­n. Grundsätzl­ich spricht der Präsident vage von „denen“. Im

Garten des Weißen Hauses stellte er seine Gegner in eine Reihe mit Nazis. „Amerikanis­che Helden“hätten die Nazis, Faschisten, Kommuniste­n und Terroriste­n besiegt, sagte er gleich zu Beginn seiner Rede: „Wir sind nun dabei, die radikale Linke, die Marxisten, die Anarchiste­n, die Unruhestif­ter, die Plünderer und Leute, die absolut keine Ahnung haben, was sie machen, zu besiegen.“

In den vergangene­n Tagen hatte

Trump wiederholt den Slogan „Law and Order“(Recht und Gesetz) getwittert und dabei auch rassistisc­he Ressentime­nts bedient. Vor wenigen Tagen retweetete er ein Video, in dem einer seiner Anhänger „White Power“(etwa: Die Macht den Weißen) brüllte. Erst nach einer öffentlich­en Empörungsw­elle löschte Trump den Tweet. Am Samstag beschwor er die einzigarti­gen amerikanis­chen „Werte, Traditione­n, Gebräuche und den Glauben“und verkündete: „Wir werden die amerikanis­che Lebensart verteidige­n, die 1492 mit der Entdeckung des Landes durch Christophe­r Kolumbus begann.“Nicht nur für die Nachfahren der Ureinwohne­r Amerikas, die bei der Kolonialis­ierung getötet wurden, klingen diese Worte feindsinni­g. Auch viele Afroamerik­aner sehen Kolumbus kritisch, da er den Weg für den transatlan­tischen Sklavenhan­del ebnete.

Bereits die Inszenieru­ng der beiden Trump-Reden inmitten der Corona-Pandemie mit inzwischen fast drei Millionen Fällen hatte das Land gespalten. Am Vorabend des Unabhängig­keitstages trat der Präsident vor dem monumental­en Felsdenkma­l am Mount Rushmore auf. Gegen den Rat von Gesundheit­sexperten wurden die Zuschauer auf fest installier­ten Klappsitze­n dicht aneinander­gedrängt. Kaum jemand trug eine Maske. Am Tag darauf ließ Trump in Washington gegen den ausdrückli­chen Willen der Bürgermeis­terin eine militärisc­he Flugschau und ein gewaltiges Feuerwerk veranstalt­en. In seiner Rede behauptete er, die USA kämen bei der Bekämpfung des Coronaviru­s „gut voran“, und 99 Prozent der Fälle seien „komplett harmlos“.

Die Bevölkerun­g der Hauptstadt sah das angesichts täglich neuer Rekord-Infektions­zahlen offenbar anders: Die in Vorjahren prall gefüllte National Mall war während des Feuerwerks nur von wenigen Schaulusti­gen besiedelt.

Täglich neue Rekorde bei den Infektions­zahlen

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Foto: Alex Brandon, dpa Donald Trump vor dem „Mount Rushmore National Memorial“, in das die Präsidente­n George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln in Fels gesprengt und gehauen wurden.

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