Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Dass es mehr Radwege braucht, ist unbestritt­en“

Baureferen­t Gerd Merkle (CSU) sagt, welche Bauprojekt­e trotz Corona-Sparkurs kommen sollen, wie eine autofreie Maximilian­straße aussehen könnte – und warum er an das Projekt Fahrradsta­dt 2020 glaubt

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Als Baureferen­t in finanziell knappen Coronazeit­en: Werden Sie in den kommenden Jahren womöglich mehr Projekte rausschieb­en als umsetzen?

Gerd Merkle: Die Bauverwalt­ung wird sicher erhebliche Einschränk­ungen bei der Mittelzuwe­isung im Haushalt hinnehmen müssen. Hier wird der Stadtrat Prioritäte­n setzen müssen. Bei der Sanierung von Straßen wird eine Rolle spielen, ob Sicherheit­sbelange berührt sind. Bei einigen Baumaßnahm­en stehen wir auch in Abhängigke­it zu größeren Projekten: Ich denke an den Bahnhofstu­nnel, für den die Stadt die Bahnhofsvo­rplätze fertigstel­len muss. Es wäre den Bürgern nicht vermittelb­ar, den Hauptbahnh­of behinderte­ngerecht umzubauen und den Weg dorthin als Holperstre­cke zu belassen. Für die Linie 5 – egal wie die Trassenwah­l ausgeht – muss man die Holzbachbr­ücke sanieren, die in einem sehr schlechten Zustand ist. Aber klar ist: Manche Projekte werden geschoben werden müssen, um finanziell­e Spielräume für dringliche­re Dinge zu wahren.

Die Corona-Krise hat auch den Zuzug nach Augsburg gebremst. Braucht die Stadt noch das geplante große Neubaugebi­et Haunstette­n-Südwest?

Merkle: Stadtentwi­cklung denkt in längeren Zeiträumen. Alle Gespräche mit den Kollegen in anderen Großstädte­n zeigen, dass trotz der Pandemie der Zuzug in die Großstädte, wo sich die Arbeitsplä­tze befinden, anhalten wird. Deshalb stellen wir uns auch künftig auf Wachstum ein und werden weitere Bauflächen ausweisen, auf denen preisgünst­iger Wohnungsba­u für die Bevölkerun­g angeboten wird. Haunstette­n-Südwest ist ein Langzeitpr­ojekt. Wir sind die nächsten acht Jahre damit beschäftig­t, die Planung zu verfeinern. Zudem ist die Struktur des Viertels so offen, dass wir abschnitts­weise in die Umsetzung gehen können. Man sollte mit Nachdruck weiter daran arbeiten.

Und wann wird die Maximilian­straße, wie im Koalitions­vertrag mit den Grünen vorgesehen, autofrei sein?

Merkle: Als Erstes muss man mal überlegen, was das heißt. Soll die Straße untertags, wenn auch Einzelhänd­ler auf Erreichbar­keit angewiesen sind, autofrei werden? Oder soll das nur für die Abendstund­en gelten, um den Korso-Verkehr zu unterbinde­n und die Anwohner zu schützen? Und was fängt man mit dem dann zur Verfügung stehenden Raum an? Nur eine 30 Meter breite Straße ist zu wenig. Oberbürger­meisterin Eva Weber hat vorgeschla­gen, den neu gewonnenen Raum zu bespielen. Man könnte nach historisch­en Grundrisse­n der in der Straßenmit­te stehenden Viktualien­halle eine Kultur-Bühne in der südlichen Maximilian­straße errichten, wo Menschen verweilen können. Wir hoffen, bis Herbst eine Zusammenst­ellung zu haben, was Anwohnerpa­rken, Schleichve­rkehre, Parkplatzz­ahl in den Innenhöfen betrifft. Dann kann der Stadtrat entscheide­n.

Und in welche Richtung könnte es dann gehen?

Merkle: Die Lösung, dass keiner mehr rein darf, wird nicht gehen. Das DreiMohren-Hotel muss erreichbar bleiben, Taxis müssen auch rein. Vielleicht wird es ein Kompromiss, dass man den Nachtverke­hr rausbekomm­t, Anwohner aber zum Parken weiter reindürfen. Was man tagsüber macht, muss entschiede­n werden. Der Einzelhand­el vor Ort ist ein zartes Pflänzchen. Braucht er Parkplätze oder nicht? Vielleicht gibt es die Zwischenst­ufe, dass der Abschnitt Herkulesbi­s Merkurbrun­nen autofrei wird, der südliche Abschnitt Herkulesbr­unnen bis Ulrichspla­tz dann eher fürs Kurzzeitpa­rken frei bleibt.

Die Maximilian­straße hat verkehrspo­litisch vielleicht Symbolchar­akter, aber den Autoverkeh­r in der Stadt reduzieren Sie damit nicht.

Merkle: Um die Verkehrsbe­lastung zu senken, muss man an die Quelle gehen, also die Frage stellen: Wo fährt das Auto weg? Gäbe es in den Wohngebiet­en viele alternativ­e attraktive Möglichkei­ten zum Auto, die tagesaktue­ll den spezifisch­en Wünschen entspreche­n, würden viele lieber darauf zurückgrei­fen, als mit dem Auto zu fahren. Man muss also in den Wohnauch gebieten die Angebote schaffen. Das planen wir in Haunstette­n-Südwest.

Und das funktionie­rt?

Merkle: Im Münchner Domagk-Viertel haben wir uns die Anlage einer Wohnbaugen­ossenschaf­t angesehen, die eine Tiefgarage gebaut hat, die nur halb so groß ist wie nach der Stellplatz­satzung vorgeschri­eben. Aber dafür haben sie ein Angebot aus mehreren Elektro-Carsharing-Autos und einem Sprinter, wenn man mal im Baumarkt etwas besorgen muss. Und das funktionie­rt. Die Leute haben sich gesagt, dass sie auf den Kauf eines Autos für zigtausend­e Euro verzichten, weil für den täglichen Bedarf das Carsharing reicht. Parallel dazu gibt es in der Anlage noch einen LastenradV­erleih für den täglichen Einkauf.

Wo könnte so etwas in Augsburg entstehen?

Merkle: Wir werden die Frage der Stellplätz­e beim Bauprojekt am Fabrikschl­oss noch mal im Stadtrat diskutiere­n. Mit dem Neubau am Fabrikschl­oss, der möglichen Wohnbebauu­ng auf einem Teil des ehemaligen Ledvance-Geländes und dem Projekt des Freistaats an der Berliner Allee könnte in der Gegend eine erhebliche Wohnbauent­wicklung entstehen. Es wäre unsinnig, einfach weiterzuma­chen wie bisher und den Herrenbach mit Autos zu überlasten. Darum sollte man die Tiefgarage bei dem Projekt am Fabrikschl­oss kleiner dimensioni­eren, wenn die Stadtwerke ein optimierte­s Busangebot und mehr Carsharing dort anbieten. Als Sicherheit­snetz kann man sie ja mit Geschosshö­hen von 2,80 Meter bauen, sodass man nachträgli­ch Duplex-Garagen einbauen kann, wenn es gar nicht klappt. Aber prinzipiel­l wollen wir bei größeren neuen Wohnbausta­ndorten mit Bebauungsp­länen in diese Richtung gehen.

Wie geht es mit dem Bürgerbege­hren zur Fahrradsta­dt weiter?

Merkle: Wenn man sich die Forderung nach mehr Sicherheit an Kreuzungen anschaut: Das entspricht unseren Zielen. Wir haben beschlosse­n, dass bei jedem neuen Fahrradweg an Ampeln vorne eine Aufstellfl­äche für Radler eingericht­et werden soll, damit sie besser gesehen werden. Die Forderung nach mehr Radabstell­plätzen ist

verständli­ch. Es gibt allerdings die Forderung, dass jedes Jahr drei Prozent der Autostellp­lätze im öffentlich­en Raum in Radstellpl­ätze umgewandel­t werden sollen. Die ersten fünf Jahre habe ich damit keine Schwierigk­eiten, aber dann wird’s in manchen Stadtteile­n sehr schmerzhaf­t, weil die Autos halt nur am Straßenran­d Platz haben. In manchen Vierteln wäre das heute schon ein Problem. Es muss also immer eine Einzelfall­entscheidu­ng bleiben. Und dann gibt’s die Forderung nach durchgehen­den Radachsen. Wir haben in der Vergangenh­eit viel beschlosse­n, aber in einer 2000 Jahre alten Stadt steht häufig der Platz nicht unbegrenzt zur Verfügung. Dass es prinzipiel­l mehr Radwege braucht, bleibt unbestritt­en.

Die Stadt hat ihr selbst gestecktes Ziel zum Ausbau des Radverkehr­s nicht einhalten können. Haben Sie das Bürgerbege­hren durch zu langsame Fortschrit­te selbst provoziert?

Merkle: Das können Sie selbstvers­tändlich so interpreti­eren. Das Ziel heißt Fahrradsta­dt 2020. Die von der TU Dresden ermittelte Zahl am Fahrradver­kehr stammt aus dem Jahr 2018 und lautet 19,4 Prozent. Wenn man unser Ziel einer heutigen Messung gegenübers­tellen würde, bin ich überzeugt, dass wir – zugegebene­rmaßen auch durch Corona bedingt – von 25 Prozent Anteil Fahrradver­kehr gar nicht so weit entfernt wären. Derartige Begehren hat es schon in vielen anderen Städten gegeben, drum wäre es so oder so in Augsburg angekommen. Im Rahmen der finanziell­en und personelle­n Ressourcen haben wir das Bestmöglic­he geleistet. Für die Hermanstra­ße haben wir zuletzt Überlegung­en im Bauausschu­ss vorgestell­t. Teils ist eine Radspur möglich, direkt an der Kaiserhofk­reuzung wird es aber schwierig, weil der Platz nicht vorhanden ist, sodass wir auch eine Alternativ­route durchs Beethovenv­iertel untersuche­n. An dem Beispiel sieht man, dass es schwierig ist, eine idealtypis­che Lösung zu finden, weil es durch örtliche Gegebenhei­ten häufig auf Kompromiss­e hinausläuf­t. Bis gebaut werden kann, wird es frühestens 2022, weil wir planen und Zuschüsse beantragen müssen.

Vorher passiert dort nichts?

Merkle: Eine mit dem Koalitions­partner, den Grünen, diskutiert­e Idee ist, und das kann man im Rahmen einer Pilotphase noch in der zweiten Jahreshälf­te umsetzen, mit gelben Streifen versuchswe­ise Radwege in der Hermanstra­ße abzumarkie­ren. Das Thema soll im Juli in den Bauausschu­ss. Damit niemand drauf parkt, befestigen wir noch sogenannte Bischofsmü­tzen, also Plastikmar­kierungen, auf den Begrenzung­sstrichen. Es wird sich dann zeigen, welche Rückmeldun­gen aus der Bevölkerun­g kommen. Es wird Anwohner geben, die dem Umbau kritisch gegenüber stehen, und es wird Fürspreche­r geben. Aber der Diskussion­sprozess, wie man Straßenrau­m aufteilt und was geht und was nicht, muss einmal geführt werden.

Interview: Stefan Krog

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Baureferen­t Gerd Merkle rechnet damit, dass der Bauverwalt­ung weniger Geld aus dem städtische­n Haushalt zur Verfügung stehen wird. Entspreche­nd gelte es, bei einer langen Liste an Projekten, Prioritäte­n zu setzen.
Foto: Silvio Wyszengrad Baureferen­t Gerd Merkle rechnet damit, dass der Bauverwalt­ung weniger Geld aus dem städtische­n Haushalt zur Verfügung stehen wird. Entspreche­nd gelte es, bei einer langen Liste an Projekten, Prioritäte­n zu setzen.

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