Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Büchner-Preis für Elke Erb

Der legendäre Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld war häufig auf Reisen – auf der Suche nach neuen, aber auch zur Pflege der Stammautor­en. Seine jetzt veröffentl­ichten Reiseberic­hte geben reichen Einblick in die Launen des Betriebs

- VON STEFAN DOSCH

Der Verleger hat’s nicht leicht. Unter den vielen Schäfchen, für die er zu sorgen hat, befinden sich auch Sorgenkind­er. Wolfgang Koeppen etwa. „Hätte ich ein Tonband gehabt, so wäre jetzt ein neues Manuskript von Koeppen da“, notiert Siegfried Unseld über seinen Besuch bei dem notorisch von der Schreibblo­ckade geplagten Autor. „Er hielt in meinem Hotelzimme­r einen zweistündi­gen Monolog über seine Situation, den man ohne belletrist­ische Übertreibu­ng mit ,Hölle‘ betiteln könnte.“Der Verleger tut, was er tun kann. „Im Übrigen war er vollkommen abgebrannt. Ich übergab ihm DM 500.-.“

Siegfried Unseld, der legendäre Chef des Suhrkamp Verlags, verstand seine Arbeit keineswegs nur als Sichtung von Zahlen, sondern ganz wesentlich als Kontaktpfl­ege mit Autoren. In dem halben Jahrhunder­t seiner Tätigkeit für den Verlag war Unseld (1924 – 2002) viel auf Reisen, und die Ergebnisse seiner Treffen mit Schriftste­llern und weiteren Personen des literarisc­hen Lebens hielt er schriftlic­h in Berichten fest. Rund 1500 sollen es sein, zur Lektüre gedacht für die Verlagsmit­arbeiter. Eine Auswahl von 35 Berichten ist nun in Buchform erschienen. Sie zeigt, wie das Haus Suhrkamp in der Ära Unseld zu dem wurde, was es einmal war: der literarisc­he und wissenscha­ftliche deutsche Verlag in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts.

Die Reiseberic­hte, deren verlagsint­erne Seiten manchen Einblick in einen patriarcha­lisch gesteuerte­n Buchgeschä­ftsbetrieb zulassen („Herr Irlenkäuse­r möchte diese Bücher prüfen!“), entfalten ein detailreic­hes Panorama der deutschen Literaturs­zene nach dem Krieg, aber auch des Literaturl­ebens in anderen Teilen der Welt – von Moskau bis New York, von Mexiko bis Japan. Überall ist Unseld aufmerksam­er Beobachter. Ihm entgeht nicht, dass hinter dem Eisernen Vorhang die Lesedursti­gen nicht an alles herankomme­n, wonach ihnen der Sinn steht. „Es bewegt mich doch“, hält er 1973 auf der Leipziger Buchmesse fest, wo Suhrkamp einen Stand hatte, „eine junge Frau zu sehen, die aus dem ,Stiller‘ exzerpiert, und einen jungen Mann, der Brechts Bemerkung zum 17. Juni abschreibt“.

Welche Strategien der Verleger verfolgte, welche Art von Literatur er für wichtig erachtete, welches Niveau er für Suhrkamp veranschla­gte: Das zu lesen, kann einen heutzutage, wo Regionalkr­imis und Lebensratg­eber den Buchmarkt bestimmen, nur noch in Staunen versetzen. Aus welch anderem Holz war doch dieser Siegfried Unseld geschnitzt! „Man erwartet aber auch Besonderes von uns“, hält er bei einer seiner Reisen fest. Gewiss hatte auch er die Zahlen ständig im Kopf; zugleich aber hielt Unseld den Wert des Geistigen in Rechnung. Regelmäßig­es Erscheinen auf Bestseller­listen schloss das nicht aus.

Siegfried Unseld muss mit einer beneidensw­erten Konstituti­on gesegnet gewesen sein. Raus aus dem Flugzeug, Treffen mit allen, die die Branche hergibt, Agenten, Lizenznehm­er, Übersetzer, dann von einem Autor zum nächsten, oft verbunden mit Seelenmass­agen, im Taxi zurück zum Flughafen – ein „Odysseus“, wie Bohumil Hrabal ihn nannte, „immer auf Reisen“. Und ob im Flugzeug oder in der Bahn, in jeder freien Minute neueste Manuskript­e sichtend.

Mit den Jahren werden die Niederschr­iften erzähleris­cher, wohl auch deswegen, weil sie von einem bestimmten Zeitpunkt an als Bausteine für eine geplante, letztlich aber nicht zustande gekommene Autobiogra­fie dienen sollten. Atmosphäri­sches gewinnt zusehends Raum, in Israel notiert er feinsinnig:

„Der Tag läuft nahezu übergangsl­os in die Nacht; die älteren Juden sehnen sich nach der Dämmerung, die die Jüngeren nicht kennen.“Überhaupt Israel. Im Mai 1989 besucht er zusammen mit seiner späteren Frau Ulla Berkéwicz und der Witwe des Religionsh­istorikers Gershom Scholem dessen Grab, man kommt an der Klagemauer vorbei, es ist Memorial Day Holocaust, die Namen der Ermordeten werden verlesen. „Erkannte man uns als ,Deutsche‘?“, fragt er sich. „Im Allgemeine­n hielt man Ulla und mich für Juden, die in

Jerusalem nicht auffielen, aber an diesem Tag kam man sich doch vor, als trüge man einen deutschen Bundesadle­r auf der Brust.“

Es gibt von diesen Reisen aber auch Berichte, die das Zeug haben fürs Schatzkäst­lein ewiger AutorVerle­ger-Anekdoten. 1980 steht ein Besuch in Österreich bei Thomas Bernhard an. Unseld ist nicht in bester Verfassung, er fastet gerade. Bernhard eröffnet die Begegnung gleich mit einer Suada über seine angeblich schlechte Behandlung durch den Verlag. Unseld weiß, wie er kontern muss, „nur Geldziffer­n überzeugen ihn“. Er rechnet ihm seine Honorare vor, und tatsächlic­h, „das beschwingt ihn“, zumal er Bernhard gleich noch 15000 DM Vorschuss gewährt. Ein Abendessen am Traunsee schließt sich an. Bernhard teilt beiläufig mit, er habe für Unseld schon das Hotel reserviert und auch die Rechnung bezahlt. Unseld: „Ich witterte irgendein Unheil. Und es kam dann auch.“

Der Schriftste­ller überfällt den Mineralwas­ser-geschwächt­en Verleger mit der Mitteilung, er wolle seine Autobiogra­fie bei der Konkurrenz veröffentl­ichen, und eigentlich, nach 16 Jahren Zusammenar­beit, könnten er und Suhrkamp doch jetzt getrennte Wege gehen – erneut ein langer Bernhard’scher Klagemonol­og. Unseld versucht gegenzuhal­ten, ein Clinch mit Worten entsteht, „was wir machten, war nichts anderes als eine Szene aus einer Komödie von Thomas Bernhard“. Endlich einigt man sich, der Autor bleibt Suhrkamp erhalten, nicht ohne dass der Verleger seinen Vorschuss auf 25000 DM erhöht hätte. „Kommen Sie bald wieder“, hört er es beim Abschied hinterherr­ufen.

Diese Sammlung mit Unselds Reiseberic­hten ist auch eine Erinnerung an Raimund Fellinger. Dem langjährig­en Suhrkamp-Cheflektor, der die Berichte herausgege­ben hat, verdankt man ja schon zwei wunderbare Jahres-„Chroniken“, tagebuchar­tige Aufzeichnu­ngen aus der Feder von Unseld. Im Gegensatz zu diesen fehlt den Reiseberic­hten jedoch schmerzlic­h ein Namensregi­ster und ebenso eine behutsame Kommentier­ung. Vielleicht konnte Fellinger das auch nicht mehr leisten, er starb im April. Seine Schürfunge­n und Veröffentl­ichungen gerade aus der so ergiebigen UnseldVita wird man vermissen.

Siegfried Unseld: Reiseberic­hte.

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 ?? Foto: Suhrkamp Verlag ?? Siegfried Unseld 1989 in Jerusalem am Grab von Gershom Scholem mit dessen Witwe Fania Scholem.
Foto: Suhrkamp Verlag Siegfried Unseld 1989 in Jerusalem am Grab von Gershom Scholem mit dessen Witwe Fania Scholem.
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Foto: Suhrkamp Verlag Lesen, was als Buch infrage kommen könnte: Siegfried Unseld im Zug in der Schweiz.

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