Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie weit rückt die AfD noch nach rechts?

Parteichef Jörg Meuthen ist durch den vorerst gescheiter­ten Rauswurf des Rechtsextr­emisten in die Defensive geraten. Politikwis­senschaftl­er Funke ist sich sicher: Die Partei hat ihren Zauber verloren

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Andreas Kalbitz sitzt auf einem Korbstuhl unter den wogenden Ästen einer Trauerweid­e und lächelt entspannt. Hinter dem AfD-Politiker aus Brandenbur­g, der sogar dem Bundesvors­tand seiner Partei zu weit rechts steht, glitzert das Seewasser. Ihm gegenüber sitzt eine junge Journalist­in des Rundfunks Berlin-Brandenbur­g (RBB) und stellt Fragen, die nicht allzu kritisch ausfallen. Dabei hält der Verfassung­sschutz Kalbitz für einen „erwiesenen Rechtsextr­emisten“. Eine Frage, die darauf zielt, wischt Kalbitz einfach beiseite. Der Verfassung­sschutz sei ja schließlic­h „politisch instrument­alisiert“. Wegen der prominente­n Plattform, die er dem Rechtsausl­eger am Sonntag 40 Minuten lang bot, muss sich der öffentlich-rechtliche RBB nun gegen massive Kritik wehren.

Der Zwist um das allzu lauschige Sommerinte­rview mit dem Mann, der an Neonazi-Zeltlagern und NPD-Aufmärsche­n teilnahm, wirkt indes winzig im Vergleich zur riesigen Kontrovers­e, für die Kalbitz innerhalb der AfD sorgt. Jörg Meuthen, der zusammen mit Tino Chrupalla Bundesvors­itzender der AfD ist, hatte im Mai versucht, Kalbitz aus der Partei zu werfen. Damit wollte Meuthen offenbar die drohende Beobachtun­g der AfD als Gesamtpart­ei durch den Verfassung­sschutz abwenden. Im Bundesvors­tand fand Jörg Meuthen dann auch eine Mehrheit für die Trennung von Andreas Kalbitz. Die wurde unter anderem damit begründet, dass dieser verschwieg­en habe, früher Mitglied in der verfassung­sfeindlich­en Neonazi-Truppe „Heimattreu­e Deutsche Jugend“(HDJ) gewesen zu sein.

Kalbitz bestreitet die Mitgliedsc­haft, lediglich an einem Zeltlager der HDJ habe er teilgenomm­en. Er klagte vor dem Landgerich­t Berlin gegen seinen Rauswurf – und bekam recht. Im Juni wählte ihn die Brandenbur­ger AfD-Landtagsfr­aktion erneut zu ihrem Vorsitzend­en. Das Bundesschi­edsgericht der AfD soll nun Ende Juli über den Ausschluss entscheide­n. Ob es beim Rauswurf bleibt, ist ungewiss, schon das Landgerich­t hatte festgestel­lt, dass Meuthens Argumente juristisch nicht allzu stichhalti­g gewesen seien. Und selbst wenn das Schiedsger­icht gegen Kalbitz entscheide­t, wird die

wohl mit weiteren rechtliche­n Schritten kontern.

Kalbitz zählte neben dem Thüringer Landeschef Björn Höcke zu den treibenden Kräften des völkisch-nationalen „Flügels“innerhalb der AfD, den der Verfassung­sschutz im März als „gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung gegen die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng“einstufte. Inzwischen hat sich der Flügel zwar selbst aufgelöst – doch seine Ideologie ist gerade in den ostdeutsch­en

AfD-Landesverb­änden weiter stark, für viele Beobachter sogar allmächtig.

Jörg Meuthen kommt dagegen aus der wirtschaft­sliberalen und euro-skeptische­n Strömung der AfD, die in Westdeutsc­hland noch immer stark ist. Allerdings hofierte auch er lange den Flügel und nahm an mehreren „Kyffhäuser-Treffen“der Organisati­on teil. In weiten Teilen der Ost-AfD ist Meuthen wegen seiner Attacke auf Flügel-Mann Kalbitz inzwischen regelrecht verhasst.

Zumal ihm dort viele noch nicht verziehen haben, dass er erst kürzlich laut über eine mögliche Spaltung der AfD nachdachte. Auch in Westdeutsc­hland hat Meuthen an Unterstütz­ung eingebüßt, berichten Kenner der Partei.

Der Berliner Politikwis­senschaftl­er Hajo Funke sagt: „Die AfD befindet sich in einem Grabenkamp­f, der unterirdis­ch geworden ist. Eine Perspektiv­e auf eine Einigung oder ein Ende gibt es nicht. Die Partei unternimmt alles, um sich selbst zu schwächen.“In dem Streit der Lager, der sich in der Causa Kalbitz manifestie­re, scheine keine Vermittlun­g möglich. Funke hat eben erst sein Buch „Die Höcke-AfD“veröffentl­icht, in dem er den Wandel „vom gärigen Haufen zur FlügelPart­ei“nachzeichn­et. Diese Entwicklun­g kenne einen großen Verlierer: „Meuthen hat sich bei seiner späten Kehrtwende gegen Rechts die Illusion gemacht, der völkisch nationale Teil würde sich abspalten. Doch das wird diese sehr starke und in Ostdeutsch­land dominieren­de Gruppe nie tun.“AfD-Insider bestätigen die Einschätzu­ng Funkes. Meuthen wolle eine „weichgespü­lte AfD wie die FDP oder die Werteser union“. Doch das sei mit den starken ostdeutsch­en Landesverb­änden nicht zu machen. Eine Spaltung sei aber um jeden Preis zu vermeiden, sonst sei das erklärte Ziel, rechte Volksparte­i zu werden, nicht zu erreichen. Überhaupt schade der ganze Streit dem Ansehen der AfD.

Diese Ansicht wiederum teilt Parteiexpe­rte Hajo Funke: „Selbst wenn eine Seite nun einen Pyrrhussie­g erringen sollte, ist das Bild einer zerrissene­n Partei nicht mehr zu kitten. Doch die Bürger mit rechten Ansichten wünschen sich eine einige, kampfstark­e Partei.“Die „Illusion, dass die AfD immer radikaler und damit immer erfolgreic­her wird“, sei zerplatzt. Funke weiter: „Damit hat die AfD ihren bösen Zauber verloren. Ihr Wählerpote­nzial ist ausgeschöp­ft. Es wird ihr nicht mehr gelingen, Wähler etwa von Union oder FDP anzulocken.“Die anderen Parteien dürften allerdings nicht mehr den Fehler machen, AfD-Positionen zu kopieren. Und wenn Deutschlan­d dann auch noch einigermaß­en gut durch die Corona-Krise komme, sagt Funke, habe er Zweifel, „ob die AfD überhaupt noch einmal in den Bundestag gewählt wird“.

Fliegt die AfD aus dem nächsten Bundestag?

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? Andreas Kalbitz hat die ostdeutsch­en Landesverb­ände der AfD hinter sich. Dabei wollte der Parteivors­tand den Rechtsextr­emisten loswerden. Kostet der Streit die Partei am Ende so viele Stimmen, dass sie bei der Wahl im kommenden Jahr den Einzug in den Bundestag nicht mehr schafft?
Foto: Martin Schutt, dpa Andreas Kalbitz hat die ostdeutsch­en Landesverb­ände der AfD hinter sich. Dabei wollte der Parteivors­tand den Rechtsextr­emisten loswerden. Kostet der Streit die Partei am Ende so viele Stimmen, dass sie bei der Wahl im kommenden Jahr den Einzug in den Bundestag nicht mehr schafft?

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