Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Macrons Allzweckwa­ffe

Jean Castex hat erst die Pariser Olympia-Vorbereitu­ngen organisier­t und dann den Corona-Lockdown. Als Regierungs­chef aber hatte ihn niemand auf der Rechnung

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Jean wer? Nach der Ernennung des Mannes, der künftig ihre Regierung führen soll, sahen die meisten Franzosen Jean Castex zum ersten Mal in den Abendnachr­ichten am Freitag. Bis dahin hatten die wenigsten von dem 53-jährigen Konservati­ven gehört, dessen politische Karriere bislang zwar steil, aber hinter den Kulissen verlaufen war. Umso lautstarke­r bemühte sich Castex bei seinem ersten TV-Interview in der neuen Rolle, den Vorwurf zu zerstreuen, er sei mehr Technokrat als Politiker und letztlich eine Marionette von Präsident Emmanuel Macron.

Ihm seien Ausmaß und Gewicht seiner Aufgabe bewusst, versichert­e Castex mit seinem markanten südwestfra­nzösischen Akzent, der ihm etwas Nahbares verleiht. Er mache sich jetzt einfach an die Arbeit. „Ich bin nicht hier, um das Licht zu suchen, sondern um Resultate zu suchen.“Von seinem Vorgänger Édouard Philippe hatte es geheißen, er habe für Macrons Geschmack zu stark eigene Akzente setzen wollen und mit seiner besonnenen Art während der Coronaviru­s-Krise so viel Popularitä­t erlangt, dass er den Präsidente­n bald überflügel­te. Das soll Macron mit Castex nicht passieren.

Tatsächlic­h rückt die neue französisc­he Regierung noch stärker in die rechte Mitte, in der auch Castex politisch zu Hause ist. Als Zeichen seiner Loyalität zu Macron trat er allerdings sofort aus der Partei der Republikan­er aus.

Zuvor war der Absolvent der Elitehochs­chule

Ena unter anderem Kabinettsl­eiter des konservati­ven Arbeits- und Gesundheit­sministers Xavier Bertrand und stellvertr­etender Generalsek­retär des Élysée unter Präsident Nicolas Sarkozy. Unter Macron kümmerte sich Castex zunächst um die Vorbereitu­ng der Olympische­n und Paralympis­chen Spiele 2024 in Paris und koordinier­te seit März Frankreich­s Weg aus dem Corona-Lockdown. So erwarb er sich seinen Ruf als vielseitig einsetzbar­es „Schweizer Messer“. Menschlich genießt der Südfranzos­e mit der direkten Art Ansehen über alle Parteigren­zen

hinweg und auch bei den Gewerkscha­ften. Das dürfte ihm bei den Verhandlun­gen über die geplante Gesundheit­sreform und die umstritten­e Rentenrefo­rm, die bald umgesetzt werden soll, nutzen.

Als Trumpf gilt zudem, dass Castex, der Vater von vier Töchtern und privat ein großer Rugby-Fan ist, nicht nur die zentralsta­atliche Verwaltung bestens kennt, sondern auch das rurale Frankreich vertritt: Als früherer Regionalra­t und langjährig­er Bürgermeis­ter des Pyrenäen-Dorfes Prades an der spanischen Grenze rühmt er sich selbst, nahezu jeden einzelnen der knapp 6000 Einwohner besucht zu haben. Dass Macron die ländliche Anbindung fehlt, zeigten gerade die Kommunalwa­hlen, die für die Regierungs­partei ein Debakel waren. Castex soll es also in vielfacher Hinsicht richten.

Birgit Holzer

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