Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Corona-Schonzeit für Scheuer ist abgelaufen

Die Bekämpfung des Virus hatte die Angriffe von Opposition und Presse auf angeschlag­ene Minister verstummen lassen. Das gilt für Peter Altmaier und Anja Karliczek auch weiterhin – nur nicht für den Verkehrsmi­nister

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Politik paradox für Andreas Scheuer: Die vergangene­n Wochen verliefen für ihn wie für alle Ministerko­llegen – extrem. Das öffentlich­e Leben wurde angehalten und die Wirtschaft musste vor dem Infarkt bewahrt werden. Doch für Scheuer hatten die Corona-Wochen gleichzeit­ig etwas Erfreulich­es: Mit einem Mal ebbte die Welle der Kritik ab, musste er sich nicht mehr täglich neuer Angriffe erwehren. Damit ist es nun vorbei: Ein Pfeilhagel geht auf den CSU-Mann nieder. Grüne und FDP wollen Scheuer aus dem Amt befördern. Ihnen bietet er (zu) viel Angriffsfl­äche.

Da ist das Maut-Desaster, bei dem immer neue Verstöße und Ungereimth­eiten öffentlich werden. Da ist das Gezerre um den strengeren Bußgeldkat­alog, den der Minister nun wieder entschärfe­n will, weil sich Autofahrer beklagt haben. Bis zu einer Million Bußgeldbes­cheide könnten wegen eines Formfehler­s ungültig sein. Da tauchen neue Meldungen auf über hohe Summen, die Berater und Rechtsanwä­lte einstreich­en. Da bemängelt der Rechnungsh­of

Scheuers Vorzeigepr­ojekt einer bundeseinh­eitlichen Autobahnbe­hörde und warnt vor erhebliche­n verfassung­srechtlich­en Risiken. Da versucht der Sprecher des Ministers, unliebsame Berichte der Presse zu torpediere­n.

Scheuer hat so viele Probleme, dass sie wohl für ein gesamtes Kabinett reichen würden. Er gilt als Bruder Leichtfuß, der sein Streben nach einem schönen Schnappsch­uss und griffigen Überschrif­ten ausrichtet. Deshalb gehen die Dinge unter, bei denen er positiv etwas bewirkt. Er hat ein Hilfspaket für die leidenden Busunterne­hmer in Höhe von 170 Millionen Euro aufgelegt. Er widmet sich wie kein Verkehrsmi­nister vor ihm der Eisenbahn: In den Zügen sollen doppelt so viele Fahrgäste transporti­ert werden, große Städte künftig im Halbstunde­ntakt verbunden sein. Dafür bekommt Scheuer die Anerkennun­g des Verkehrsbü­ndnisses Allianz pro Schiene und vom Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t, Claus Weselsky. Beide Verbände waren in den vergangene­n Jahren nicht eben als Unterstütz­er der Politik aus dem CSU-geführten Verkehrsmi­nisterium aufgefalle­n. Scheuer interessie­rt sich für die Zukunft des Verkehrs, für Flugtaxis, Drohnen und das autonome Fahren, was von anderen belächelt wird. Der Niederbaye­r hat sich für den besseren Schutz für Radfahrer im täglichen Nahkampf auf der Straße starkgemac­ht. Doch wegen des Streits um den Bußgeldkat­alog fallen diese Verbesseru­ngen ebenfalls zurück auf das alte Niveau.

Trotz der massiven Angriffe der Opposition und des überwiegen­d harschen Urteils der Presse, denkt der 45-jährige Passauer nicht daran, aufzugeben. Einen Rücktritt hat er immer ausgeschlo­ssen. Weil die Große Koalition derzeit in den Umfragen so stark ist wie lange nicht mehr, braucht der Verkehrsmi­nister auch nicht zu befürchten, dass er von der Kanzlerin oder CSU-Chef Markus Söder gefeuert wird.

CDU und CSU haben in der Krise deutlich an Vertrauen gewonnen, sodass die Union nicht unter Druck steht, durch den Austausch von Personal ein Signal setzen zu wollen. Oder zu müssen. Scheuer gehört zwar zum Lager von Ex-CSU-Chef Horst Seehofer, das nicht gerade in Liebe zu Söder verbunden ist, aber die internen Grabenkämp­fe ruhen. Außerdem befindet sich das Land immer noch mitten in einer Pandemie und bekommt die tiefste Wirtschaft­skrise seit dem Krieg zu spüren. Alle Spekulatio­nen um einen Kabinettsu­mbau sind vom Tisch. Scheuer profitiert noch von der Krise, muss sich aber schon wieder arg gegen den Absturz stemmen.

Andere Minister, die vor der Seuche ebenfalls als angezählt galten, können das Momentum besser nutzen. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) mag beim Mittelstan­d nach wie vor einen schweren Stand haben, aber gleichzeit­ig müssten die Unternehme­n ihm dankbar sein. Der Saarländer mobilisier­t Milliarden, um eine Pleitewell­e aufzuhalte­n. Am Mittwoch gibt er den Startschus­s für die Überbrücku­ngshilfen für Unternehme­n, die bis zu 150 000 Euro an Zuschüssen bekommen können. Forschungs­ministerin Anja Karliczek (CDU), die in Wissenscha­ftskreisen als eher unglücklic­he Wahl gilt, kann sich damit profiliere­n, klamme Studenten finanziell über Wasser zu halten. Schulen und Universitä­ten erleben jetzt ihren Digitalisi­erungsscho­ck, der kluge Koordinati­on erfordert. Karliczek und Altmaier können sich freischwim­men, wenn sie ihre Arbeit tun, während ihr Kollege schon wieder im Strudel steckt.

 ?? Foto: C. Rehder, dpa ?? Symbolisch? Andreas Scheuer zog sich bei der Eröffnung einer Wasserstof­f-Produktion­sanlage in Nordfriesl­and eine Kapuze über den Kopf.
Foto: C. Rehder, dpa Symbolisch? Andreas Scheuer zog sich bei der Eröffnung einer Wasserstof­f-Produktion­sanlage in Nordfriesl­and eine Kapuze über den Kopf.

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