Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Söders Agrarwende stößt Klöckner vor den Kopf
Bayerns Landwirtschaft soll Vorbild sein für ganz Deutschland. So hat es der Ministerpräsident verkündet. Sein Vorstoß setzt die Bundeslandwirtschaftsministerin unter Druck, die wegen des Tönnies-Skandals schwer kämpft
Berlin/München Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will sich wieder einmal neu erfinden. Nach Bienenschutz und Klimaschutz will er den Grünen ein weiteres Thema abnehmen. Bayern soll jetzt Vorbild sein bei der ökologischen Landwirtschaft. Im Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin stößt die Volte des CSU-Vorsitzenden allerdings auf wenig Gegenliebe.
Der neue Staatssekretär von Ministerin Julia Klöckner bezweifelt, dass der Freistaat ein Modell für Deutschland sein kann. „Den Eindruck zu erwecken, in Bayern wäre alles schon erledigt und die anderen 15 Bundesländer müssten jetzt nur noch nachziehen, halte ich nicht für richtig“, sagt Uwe Feiler (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Er verweist auf die bayerische Forderung nach einer lokalen Betäubung bei der Kastration von Ferkeln, die aber ab nächstem Jahr nicht mehr zulässig sei. Er bemängelt, dass vor allem zwischen Garmisch und Hof noch immer Rinder durch Ketten und Gitter im Stall fixiert würden (Anbindehaltung). „Eine ganzjährige Anbindehaltung von Rindern führt auch bei sehr gutem Management zu deutlichen Einschränkungen
im Tierverhalten“, meint der Staatssekretär.
Seine Chefin versucht gerade, dem Corona-Ausbruch beim Großschlachter Tönnies Herr zu werden und gleichzeitig die Übel in der Fleischproduktion zu mildern. Die Tiere in den Ställen sollen mehr Platz bekommen, Fleisch durch eine Abgabe teurer und Lockangebote der Supermärkte verboten werden.
Doch hinter Klöckners Agenda finden sich noch viele Prüfaufträge. Wann sich konkret etwas verbessern soll, kann die Ministerin nicht sagen. Es geht dabei eher um Jahre als Monate, weil der Umbau der Ställe nicht über Nacht zu stemmen ist. Die 47-Jährige steht unter Druck, einerseits die Fleischindustrie ökologischer zu machen, aber dabei andererseits nicht zu weit zu gehen, um Landwirte und Agrarlobby nicht zu verärgern. „Wir muten unseren Landwirten viel zu“, mahnte Feiler. Deshalb dürften sie mit den höheren Anforderungen an Umweltschutz, Tierwohl und Nachhaltigkeit nicht alleingelassen werden. Klöckner und ihre Staatssekretäre werden in den Spagat gezwungen.
Und nun kommt Söder und macht ihr die Aufgabe noch schwerer. Der Ministerpräsident schwenkt ein weiteres Mal auf grün und lässt die Bemühungen Klöckners
halbgar aussehen. Dabei blieb Söder bei seiner Ankündigung maximal im Ungefähren. Wie er beispielsweise Fleisch teurer machen will, damit Tiere nicht mehr zusammengepfercht werden müssen, ließ er offen: Seinen Vorstoß abgestimmt hat er nicht einmal mit den CSUFachpolitikern im Bundestag. „Die haben bisher nicht erkennen lassen, dass sie einen ökologischen Umbau der Landwirtschaft wollen. Da heißt es Fehlanzeige“, sagt der GrünenLandwirtschaftspolitiker Harald Ebner unserer Redaktion.
Doch Markus Söder und seine Regierung fühlen sich durch die jüngste Debatte um unhaltbare Zustände in Ställen und Ausbeutung im Schlachthof bestätigt. Die kleinteilige Struktur der Landwirtschaft im Freistaat mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 30 Hektar, so Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU), sei einst belächelt worden, gelte aber mittlerweile als zukunftsweisend.
„Es ist tatsächlich so, dass wir in Bayern die Blaupause geschrieben haben“, sagt sie. Mit 100 Millionen Euro gebe Bayern für den Ökolandbau schon jetzt mehr aus als jedes andere Bundesland. Für die Zukunft gehe es darum, auch konventionell wirtschaftende Landwirte davon zu überzeugen, noch mehr für Tierwohl und nachhaltige Landwirtschaft zu tun.
In der Kabinettssitzung am Dienstag legte sich die Staatsregierung auf grundsätzliche Ziele in der Agrarpolitik fest: „Wertschöpfungsketten auch in der Fleischverarbeitung
sollten nicht nur auf Gewinnmaximierung ausgelegt sein, sondern auch Tierwohl und Nachhaltigkeit integrieren.“Mit einer Reform der Landwirtschaftsverwaltung soll zudem dafür gesorgt werden, die Beratung der Landwirte zu verbessern und ihnen mehr Informationen an die Hand zu geben. Spezielle Fachzentren etwa für ökologischen Landbau sollen aufgelöst werden, stattdessen sollen Landwirte die Beratung künftig überall direkt vor Ort bekommen. Beschlossen wurde allerdings auch, dass Landwirtschaftsschulen geschlossen und Landwirtschaftsämter zusammengelegt werden.
Zur Wahrheit gehört zudem, dass auch im Freistaat Höfe sterben und die Bauern weniger verdienen. Im vergangenen Jahr gab es in Bayern noch 86500 Höfe und damit rund 1 Prozent weniger als im Jahr davor, wie aus dem aktuellen Agrarbericht hervorgeht. Bei Ferkelzüchtern und Milchbauern ist der Rückgang mit sechs und fünf Prozent steiler.
Weil die Preise für Fleisch, Feldfrüchte und Milch niedrig sind, verdienten die Bauern deutlich weniger. Im Schnitt erwirtschaftete ein Betrieb im Haupterwerb 2018/2019 jeweils knapp 55000 Euro Gewinn. Das sind 17 Prozent weniger als im Jahr davor.