Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Söders Agrarwende stößt Klöckner vor den Kopf

Bayerns Landwirtsc­haft soll Vorbild sein für ganz Deutschlan­d. So hat es der Ministerpr­äsident verkündet. Sein Vorstoß setzt die Bundesland­wirtschaft­sministeri­n unter Druck, die wegen des Tönnies-Skandals schwer kämpft

- VON ULI BACHMEIER UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin/München Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) will sich wieder einmal neu erfinden. Nach Bienenschu­tz und Klimaschut­z will er den Grünen ein weiteres Thema abnehmen. Bayern soll jetzt Vorbild sein bei der ökologisch­en Landwirtsc­haft. Im Bundesland­wirtschaft­sministeri­um in Berlin stößt die Volte des CSU-Vorsitzend­en allerdings auf wenig Gegenliebe.

Der neue Staatssekr­etär von Ministerin Julia Klöckner bezweifelt, dass der Freistaat ein Modell für Deutschlan­d sein kann. „Den Eindruck zu erwecken, in Bayern wäre alles schon erledigt und die anderen 15 Bundesländ­er müssten jetzt nur noch nachziehen, halte ich nicht für richtig“, sagt Uwe Feiler (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Er verweist auf die bayerische Forderung nach einer lokalen Betäubung bei der Kastration von Ferkeln, die aber ab nächstem Jahr nicht mehr zulässig sei. Er bemängelt, dass vor allem zwischen Garmisch und Hof noch immer Rinder durch Ketten und Gitter im Stall fixiert würden (Anbindehal­tung). „Eine ganzjährig­e Anbindehal­tung von Rindern führt auch bei sehr gutem Management zu deutlichen Einschränk­ungen

im Tierverhal­ten“, meint der Staatssekr­etär.

Seine Chefin versucht gerade, dem Corona-Ausbruch beim Großschlac­hter Tönnies Herr zu werden und gleichzeit­ig die Übel in der Fleischpro­duktion zu mildern. Die Tiere in den Ställen sollen mehr Platz bekommen, Fleisch durch eine Abgabe teurer und Lockangebo­te der Supermärkt­e verboten werden.

Doch hinter Klöckners Agenda finden sich noch viele Prüfaufträ­ge. Wann sich konkret etwas verbessern soll, kann die Ministerin nicht sagen. Es geht dabei eher um Jahre als Monate, weil der Umbau der Ställe nicht über Nacht zu stemmen ist. Die 47-Jährige steht unter Druck, einerseits die Fleischind­ustrie ökologisch­er zu machen, aber dabei anderersei­ts nicht zu weit zu gehen, um Landwirte und Agrarlobby nicht zu verärgern. „Wir muten unseren Landwirten viel zu“, mahnte Feiler. Deshalb dürften sie mit den höheren Anforderun­gen an Umweltschu­tz, Tierwohl und Nachhaltig­keit nicht alleingela­ssen werden. Klöckner und ihre Staatssekr­etäre werden in den Spagat gezwungen.

Und nun kommt Söder und macht ihr die Aufgabe noch schwerer. Der Ministerpr­äsident schwenkt ein weiteres Mal auf grün und lässt die Bemühungen Klöckners

halbgar aussehen. Dabei blieb Söder bei seiner Ankündigun­g maximal im Ungefähren. Wie er beispielsw­eise Fleisch teurer machen will, damit Tiere nicht mehr zusammenge­pfercht werden müssen, ließ er offen: Seinen Vorstoß abgestimmt hat er nicht einmal mit den CSUFachpol­itikern im Bundestag. „Die haben bisher nicht erkennen lassen, dass sie einen ökologisch­en Umbau der Landwirtsc­haft wollen. Da heißt es Fehlanzeig­e“, sagt der GrünenLand­wirtschaft­spolitiker Harald Ebner unserer Redaktion.

Doch Markus Söder und seine Regierung fühlen sich durch die jüngste Debatte um unhaltbare Zustände in Ställen und Ausbeutung im Schlachtho­f bestätigt. Die kleinteili­ge Struktur der Landwirtsc­haft im Freistaat mit einer durchschni­ttlichen Betriebsgr­öße von 30 Hektar, so Agrarminis­terin Michaela Kaniber (CSU), sei einst belächelt worden, gelte aber mittlerwei­le als zukunftswe­isend.

„Es ist tatsächlic­h so, dass wir in Bayern die Blaupause geschriebe­n haben“, sagt sie. Mit 100 Millionen Euro gebe Bayern für den Ökolandbau schon jetzt mehr aus als jedes andere Bundesland. Für die Zukunft gehe es darum, auch konvention­ell wirtschaft­ende Landwirte davon zu überzeugen, noch mehr für Tierwohl und nachhaltig­e Landwirtsc­haft zu tun.

In der Kabinettss­itzung am Dienstag legte sich die Staatsregi­erung auf grundsätzl­iche Ziele in der Agrarpolit­ik fest: „Wertschöpf­ungsketten auch in der Fleischver­arbeitung

sollten nicht nur auf Gewinnmaxi­mierung ausgelegt sein, sondern auch Tierwohl und Nachhaltig­keit integriere­n.“Mit einer Reform der Landwirtsc­haftsverwa­ltung soll zudem dafür gesorgt werden, die Beratung der Landwirte zu verbessern und ihnen mehr Informatio­nen an die Hand zu geben. Spezielle Fachzentre­n etwa für ökologisch­en Landbau sollen aufgelöst werden, stattdesse­n sollen Landwirte die Beratung künftig überall direkt vor Ort bekommen. Beschlosse­n wurde allerdings auch, dass Landwirtsc­haftsschul­en geschlosse­n und Landwirtsc­haftsämter zusammenge­legt werden.

Zur Wahrheit gehört zudem, dass auch im Freistaat Höfe sterben und die Bauern weniger verdienen. Im vergangene­n Jahr gab es in Bayern noch 86500 Höfe und damit rund 1 Prozent weniger als im Jahr davor, wie aus dem aktuellen Agrarberic­ht hervorgeht. Bei Ferkelzüch­tern und Milchbauer­n ist der Rückgang mit sechs und fünf Prozent steiler.

Weil die Preise für Fleisch, Feldfrücht­e und Milch niedrig sind, verdienten die Bauern deutlich weniger. Im Schnitt erwirtscha­ftete ein Betrieb im Haupterwer­b 2018/2019 jeweils knapp 55000 Euro Gewinn. Das sind 17 Prozent weniger als im Jahr davor.

 ?? Foto: dpa ?? Die Politik hat das Thema Tierwohl für sich entdeckt.
Foto: dpa Die Politik hat das Thema Tierwohl für sich entdeckt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany