Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Industrier­egion gerät in Bedrängnis

Die Luft- und Raumfahrt ist eine der stärksten Branchen in Schwaben. Jetzt gefährdet die Corona-Krise den anhaltende­n Boom

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Der Flugzeugte­ile-Hersteller Premium Aerotec will in seinem Werk in Augsburg rund 1000 Stellen abbauen. Das steht seit Montag fest. Damit ist dort jeder dritte der rund 3500 Arbeitsplä­tze in Gefahr. Es ist ein herber Rückschlag für die ganze Industrier­egion Schwaben. Dort spielt die Luft- und Raumfahrt nämlich eine besondere Rolle – und Premium Aerotec ist eines der zentralen Unternehme­n. Politik und Verbände sind alarmiert. Es klingt fast wie ein Hilferuf, was die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben am Dienstag mitteilte. „Ein Champion braucht Unterstütz­ung“, schreibt die Kammer. „Die Luft- und Raumfahrt in BayerischS­chwaben steht aktuell unter besonderem Druck.“Fabian Mehring, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Freien Wähler im Landtag, ist der Ansicht, dass es Zeit für eine offensive, „knallharte“Industriep­olitik im Freistaat sei.

In den vergangene­n Jahren hat sich die Luft- und Raumfahrt zu einer der tragenden Säulen der Industrie unserer Region entwickelt. Im Vergleich zu anderen Branchen sei der Beschäftig­ungsanteil der Luftund Raumfahrt in Schwaben „absolut spitze“, berichtet die Industrieu­nd Handelskam­mer. Dies sei das

Ergebnis einer neuen Studie, welche die Kammer bei Prognos in Auftrag gegeben hat. „Über 15000 Menschen finden in der Luft- und Raumfahrt Arbeit, das ist im Verhältnis zu anderen Branchen bemerkensw­ert“, berichtet Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen. Große schwäbisch­e Arbeitgebe­r sind neben Premium Aerotec zum Beispiel auch der Raketenher­steller MT Aerospace in Augsburg oder Airbus Helicopter­s in Donauwörth. Und nicht nur die Größe des Industrieb­ereichs, auch die Dynamik in der Branche sei erstaunlic­h, berichtet die Kammer: Die Mitarbeite­rzahl habe seit 2011 in der Luft- und Raumfahrt in Schwaben um 57 Prozent zugenommen. Dazu ist ein Netz an Forschungs­einrichtun­gen entstanden.

In diese Entwicklun­g platzen nun die Wirtschaft­skrise und der Stellenabb­au bei Premium Aerotec. Die Erfolgsges­chichte der Luftfahrt in Schwaben habe durch die CoronaKris­e und die Diskussion um das Klimagas CO2 „einen herben Dämpfer bekommen“, so die IHK.

Lucassen fordert, in dem Drama nicht nur zuzuschaue­n: „Es ist nun die gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft, Wissenscha­ft und Politik, auf diese Herausford­erungen zu reagieren“, sagt er. Arbeitsplä­tze und Know-how lassen sich halten, wenn zum Beispiel das Kurzarbeit­ergeld auf 48 Monate verlängert werde, schlägt er vor. Und um Innovation­en zu entwickeln, gebe es Ansatzpunk­te im Konjunktur­paket der Bundesregi­erung.

Dort finden sich zwei Punkte, die sich mit der Luftfahrt beschäftig­en.

Mit einer Milliarde Euro will die Regierung die Einführung moderner Flugzeuge unterstütz­en, die bis zu 30 Prozent weniger CO2 emittieren. Und auch in der mit sieben Milliarden Euro dotierten Wasserstof­fStrategie heißt es: Der Bund fördert „den direkten Einsatz von grünem Wasserstof­f in Flugzeugan­trieben“ebenso wie die Entwicklun­g von Konzepten für das Fliegen mit Wasserstof­f, Brennstoff­zellen oder Batterien. Geld, um die Forschung in der Luftfahrt-Branche voranzutre­iben, sollte also da sein. Die Premium-Aerotec-Mutter Airbus hat angekündig­t, gerne solch ein Wasserstof­f-Flugzeug zu entwickeln.

Fabian Mehring von den Freien Wählern setzt auch darauf, dass ein 40 Millionen Euro umfassende­s Förderprog­ramm des Freistaats

Premium Aerotec helfen kann. Das Land stellt in der Initiative „BayLu25“20 Millionen Euro für die bayerische Luftfahrtb­ranche bereit, die Industrie legt nochmals 20 Millionen Euro darauf. „Die Mittel sind im Haushalt eingeplant und können jetzt abgerufen werden“, sagt Mehring. Er baut darauf, dass ein großer Teil des Geldes nach Schwaben fließt. „Sie sind ein Hebel, damit der Arbeitspla­tzabbau so gering wie möglich ausfällt“, sagt er, fügt aber auch an: „Wenn ein Unternehme­n staatliche Mittel zeichnet, erwächst daraus eine Verantwort­ung des Unternehme­ns für die Region und die Beschäftig­ten.“Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern und CSUArbeits­ministerin Carolina Trautner wollen am Mittwoch Premium Aerotec besuchen.

Der Großraum Augsburg hatte zuletzt mehrere Rückschläg­e verkraften müssen: Der Computerhe­rsteller Fujitsu schließt sein Werk, rund 1000 Mitarbeite­rn müssen gehen. Der Lampenhers­teller Ledvance, früher Osram, hat seine Produktion ebenfalls geschlosse­n. Kuka machte mit einem Abbau von 350 Stellen von sich reden. Nun kommt Premium Aerotec dazu.

„Fälle wie Osram, Kuka und Premium Aerotec zeigen uns, dass wir dringend eine bayerische Industriep­olitik

brauchen, die es in den letzten Jahren nicht mehr gegeben hat“, sagt deshalb Fabian Mehring. „Wir müssen sicherstel­len, dass sich die bayerische Wirtschaft mit ihren Schlüsselt­echnologie­n dauerhaft auf den Weltmärkte­n behaupten kann“, fordert er. Dazu zählt für ihn ein Fokus auf die Autoindust­rie und die Luft- und Raumfahrt sowie auf die drei Metropolre­gionen München, Nürnberg und Augsburg. „Augsburg ist ein wesentlich­er Luftfahrts­tandort in Europa – das muss auch so bleiben“, betont Mehring.

In Augsburg-Stadt ist die Arbeitslos­igkeit zwischen Juni 2019 und Juni 2020 von 4,7 deutlich auf 6,6 Prozent gestiegen. „Schon vor der Corona-Krise hatten wir gemerkt, dass der Jobzuwachs nach gut elf Boom-Jahren zum Erliegen gekommen war“, sagt Roland Fürst, Vizechef der Arbeitsage­ntur Augsburg. „Corona hat die Situation nochmals beschleuni­gt“, erklärt er, ist aber auch optimistis­ch: Denn die Zunahme der Arbeitslos­igkeit flacht aktuell ab. „Es gehen wieder mehr offene Stellen bei uns ein“, sagt Fürst. „Es sind Arbeitgebe­r da, die bereit sind, Fachkräfte zu beschäftig­en.“Die Qualifizie­rungs- und Coaching-Programme der Arbeitsage­ntur laufen deshalb weiter.

Betroffene­n Mitarbeite­rn kann das Mut machen.

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Foto: Ulrich Wagner Die Krise bei dem Flugzeug-Bauer Premium Aerotec ist ein Problem für gesamten Großraum Augsburg.

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