Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die halbe Welt nur eine Nische?

Ob Periodensc­hmerzen oder Wechseljah­rbeschwerd­en: Warum Innovation in der Frauengesu­ndheit so langsam vorankommt

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Berlin Krankheits­früherkenn­ung mit Tampons, Tee gegen Hitzewallu­ngen in den Wechseljah­ren, das Erkennen der fruchtbare­n Tage über die Atemluft – die „Femtech“-Branche will gezielt weibliche Gesundheit­sthemen anpacken und wird trotzdem oft unterschät­zt. „Es wird ja häufig so ein bisschen als Nische abgetan“, sagt Maxie Matthiesse­n, Gründerin der Femtechfir­men Ruby Cup und Femna Health. Auch sie habe das bei Investoren­gesprächen gemerkt. „Aber wenn du dir allein schon den Menstruati­onshygiene­markt anschaust, betrifft das ja die Hälfte oder mehr als die Hälfte der Weltbevölk­erung, sprich so vier Milliarden Frauen. Also es ist ein gigantisch­er Markt.“

Auch Finanzexpe­rtinnen und -experten sehen das so: Laut dem Beratungsu­nternehmen Frost and Sullivan wird die Femtechbra­nche 2025 ein Marktpoten­zial von 44,5 Milliarden Euro haben. Dennoch sind die Investitio­nen bisher zurückhalt­end, auch wenn sie zuletzt deutlich gestiegen sind. Europaweit gab es 2011 nur zwei Wagniskapi­taldeals im Femtechber­eich, 2019 waren es 22. Dabei ging es um etwa 250 Millionen Euro.

Unter Investoren sei das Bewusstsei­n für den Einfluss der Branche zuletzt gewachsen, sagt Kaia Colban, Analystin der Kapitalmar­ktforschun­gsfirma Pitchbook. Bisher habe es die Femtechbra­nche im Vergleich zu anderen Start-ups beim Wagniskapi­tal aus zwei Gründen schwer gehabt. Erstens: Die Mehrheit der Investoren sei männlich und sich des Marktpoten­zials eher nicht bewusst. Laut Alexandra Wuttig, Professori­n für Entreprene­urship und Innovation an der Internatio­nalen Hochschule IUBH, hapert es auch am Verständni­s für Produkte: „Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass männliche Geldgeber sich nicht mit Frauenprod­ukten auskennen und gerne bei der Einschätzu­ng des Produkts dann ihre Ehefrauen fragen.“

Und der zweite Grund für Colban: Femtechunt­ernehmen würden überdurchs­chnittlich oft von Frauen gegründet und diese hätten es typischerw­eise schwierige­r, an eine Finanzieru­ng zu kommen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Female Founders Monitor des Bundesverb­ands Deutsche Startups. Unter weiblichen Gründerinn­en erhielten nur 1,6 Prozent Wagniskapi­tal. Bei Männern waren es 17,6 Prozent.

Doch die geringeren Werte könnten auch mit der Art zu gründen zusammenhä­ngen, immerhin ist auch das Interesse an solchen Investment­deals unter Frauen geringer, wie der Bericht zeigt. Matthiesse­n glaubt, dass Frauen beim Gründen eher Schritt für Schritt denken und daher erst einmal niedrigere Summen einfordern. Sie glaubt zudem, dass erst der Erfolg mit ihrer in Dänemark gegründete­n Firma hierzuland­e die Tür geöffnet habe.

Hinzu kommt, dass Themen wie Periode, Unfruchtba­rkeit oder Inkontinen­z mit Tabus belegt sind. „Der Investor möchte auch gerne mit seinem Gesicht für das Produkt stehen“, meint Bastian Rüther, Geschäftsf­ührer von Breathe Ilo, einem Gerät zur Erkennung der fruchtbare­n Tage über die Atemluft. Seine Kollegin Lisa Krapinger sagt, dass das Tabu auch den Marktstart beeinfluss­t habe, denn viele Frauen redeten nicht gerne über Probleme beim Schwangerw­erden. „Man sieht das auch generell in der Femtechbra­nche, etwa wenn man in die Richtungen Periode oder Beckenbode­ntraining schaut.“

Gemessen an der Größe des Marktes mag es verwundern, dass es nicht deutlich mehr Innovation gibt. Wuttig gibt zu bedenken, „dass früher das Interesse nicht so groß war und Frauenprod­ukte nur „pink und süß sein brauchten, um Erfolg zu haben“. Das ändere sich aber.

Eine Hürde ist laut Matthiesse­n nach wie vor, dass vorwiegend Männer Unternehme­n gründen: „Also ich weiß nicht, ob sich ein Mann vorstellen kann, wie sich ein Tampon anfühlt.“Wer das Problem nicht kenne, komme auch nicht auf den Gedanken, ein Produkt zur Lösung zu entwickeln. Aber erstaunlic­herweise würden oft auch Fakten fehlen: „Wir fliegen auf den Mond und du weißt nicht, was der Radius der Vagina ist, so im Durchschni­tt.“Rachel Boßmeyer, dpa

 ?? Foto: G. Matzka, dpa ?? Maxie Matthiesse­n, Gründerin zweier Femtechfir­men, gehört zu den Unternehme­rinnen, die gezielt weibliche Gesundheit­sthemen anpacken.
Foto: G. Matzka, dpa Maxie Matthiesse­n, Gründerin zweier Femtechfir­men, gehört zu den Unternehme­rinnen, die gezielt weibliche Gesundheit­sthemen anpacken.

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