Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Ich hörte nur noch Schreie im Bus“
Das Verbrechen in einem Linienbus in Obergünzburg bestürzt Menschen weit über das Allgäu hinaus. Busfahrer Marco Deniffel schildert das Drama aus seiner Sicht
Obergünzburg Es sind Szenen, die Marco Deniffel nie mehr vergessen wird. Im Linienbus, den der 31-jährige Busfahrer am Montagmittag von Kempten in seinen Heimatort Obergünzburg (Ostallgäu) steuert, wird eine Frau niedergestochen. Wenig später erliegt sie, wie berichtet, ihren schweren Stichverletzungen in einer Klinik. „Ich bin fassungslos und schockiert. Dass so etwas in meinem Linienbus passiert, macht mich sprachlos“, sagt Marco Deniffel im Gespräch mit unserer Redaktion. Nach einer Großfahndung wird der mutmaßliche Täter schnell von der Polizei gestellt. Es handelt sich um einen afghanischen Staatsangehörigen, der seine getrennt von ihm lebende und ebenfalls aus Afghanistan stammende Frau tötete.
Nichts deutet auf ein Verbrechen hin, als der Obergünzburger Fahrer routinemäßig seinen Linienbus um 12.40 Uhr an der Zentralen Umsteigestelle in Kempten startet. Wie zur Mittagszeit üblich, steigen vor allem Schüler zu. Auch das spätere Gewaltopfer, die 27 Jahre alte Frau, betritt den Bus zusammen mit einer Die beiden Frauen nehmen in der zweiten Reihe hinter dem Busfahrer Platz. Marco Deniffel kennt sie vom Sehen. Sie leben in seiner Heimatgemeinde, fahren öfter Bus.
Gleiches gilt für den 37-jährigen Mann, der wenige Minuten später an der Haltestelle Kaufbeurer Straße/Edison-Straße zusteigt und sich auf einen der hinteren Sitzplätze setzt. Wie alle im Bus trägt auch der neue Passagier die in Corona-Zeiten vorgeschriebene Maske. „Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht erkennen“, sagt Deniffel.
Kurz vor Obergünzburg dann die Eskalation, die der Busfahrer aus seiner Sicht schildert: „Der Mann steht auf, läuft auf die beiden Frauen zu und beginnt, eine davon zu attackieren. Ich hörte nur noch Schreie im Bus.“Beim Blick in den Rückspiegel glaubt er zunächst, dass der Mann die Frau schlägt. Erst später erkennt er das Messer. Sofort schaltet er das Warnblinklicht an, stoppt den Bus am Straßenrand wenige Meter vor dem Ortsschild. Er habe die Fahrerkabine aufgerissen, sei nach hinten gestürmt und habe sich auf den Angreifer gestürzt, sagt Deniffel. Im Schwitzkasten habe er den 37-Jährigen nach draußen gezerrt. Das Messer fällt auf den Boden. Damit ist eine mögliche weitere Eskalation gebannt. Der mutmaßliche Täter flüchtet auf eine nahe gelegene Weide.
Im Bus versuchen Fahrer und Passagiere mit vereinten Kräften, die stark blutende Frau in eine stabile Seitenlage zu bringen. Schüler haben bereits per Handy Polizei und Rettungskräfte verständigt. Als der Busfahrer die hintere Türe öffnet, stürmen einige von ihnen schreckensbleich nach draußen. Autofahrer eilen herbei und bieten ihre Hilfe an. Kurze Zeit später treffen Notarzt, Rettungskräfte und Polizei ein. Nach einer Reanimation wird die schwer verletzte Frau in die Klinik gefahren, erliegt dort aber ihren Verletzungen. Der mutmaßliche Täter wird gestellt.
Im Ort war die getötete 27-Jährige als freundlich bekannt. Sie lebte von ihrem Mann, dem mutmaßlichen Mörder, getrennt.
Jetzt, nach der Bluttat, werden immer mehr Details bekannt: Während der Tat waren im Bus vier erFreundin. wachsene Personen – der Busfahrer, der Angreifer, das Opfer und dessen Freundin – sowie zehn Kinder und Jugendliche im Alter von elf bis 18 Jahren. Diese wurden nach Angaben von Polizeisprecher Holger Stabik zunächst vor Ort und abends noch einmal vom zentralen psychologischen Dienst der Polizei betreut.
Das Opfer und der Angreifer haben vier gemeinsame Kinder: „Das Jugendamt hat sich der Kinder angenommen“, sagt Stabik gegenüber unserer Redaktion. Wie lange die Familie schon in Deutschland lebt, dazu will er keine Angaben machen. „Wir versuchen aktuell, die familiären Hintergründe durch die Ermittlungen zu beleuchten.“
Den Ablauf der Tat exakt nachvollziehen kann die Polizei noch nicht. „Auch, weil es recht widersprüchliche Angaben der Zeugen gibt“, sagt Sprecher Holger Stabik. Vonseiten der Staatsanwaltschaft heißt es, dass der Mann die 27-Jährige plötzlich angegriffen und mehrfach mit dem Küchenmesser zugestochen habe. „Ein Streit oder Wortgefecht hat nach derzeitigen Erkenntnissen nicht unvermittelt vor der Tat stattgefunden“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Dienstag.
Im Schwitzkasten zerrt er den Täter aus dem Bus