Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Mit Corona endet eine Epoche“
Bayerns Grüne haben am Krisenmanagement der Staatsregierung wenig auszusetzen. Sie fordern aber für die Zukunft eine sozialere, nachhaltigere und demokratischere Politik
München Der Kampf gegen das Coronavirus müsse entschlossen fortgesetzt werden, aber in der Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik müsse es einen grundsätzlichen Wandel geben. Das ist die Kernbotschaft des Parteitags der bayerischen Grünen, der am Wochenende erstmals nicht in einer Halle, sondern komplett digital im Internet über die Bühne ging – weitgehend ohne technische Komplikationen, aber eben auch ohne das klassische Parteitagsgefühl.
Grünen-Landeschefin Eva Lettenbauer, die wie alle anderen Redner in eine Kamera statt direkt zu den rund 130 Delegierten hatte sprechen müssen, zeigte sich hinterher dennoch zufrieden. „Das ist selbstverständlich kein Ersatz für einen echten Parteitag, aber es ist die einzige Möglichkeit, Beschlüsse zu fassen und die Debatte voranzutreiben“, sagte sie im Gespräch mit unserer Redaktion.
Auch ihr Co-Landesvorsitzender, Eike Hallitzky, der am Rande bestätigte, dass er sich nach bald sechs Jahren im Amt beim nächsten großen Parteitag nicht mehr zur Wahl stellen wird, nannte das virtuelle Treffen „inhaltlich gelungen“. Die Grünen hätten deutlich gemacht, dass es zu ihrem Selbstverständnis gehöre, konstruktive Vorschläge zu machen. Sie stünden in der CoronaPolitik inhaltlich nicht diametral zur CSU, aber sie fordern, die Krise als
Chance zu einem grundsätzlichen Politikwechsel zu nutzen.
Was er sich darunter vorstellt, hatte Hallitzky in einer programmatischen Rede dargelegt. „Mit der Corona-Pandemie endet eine Epoche viel zu sorglosen Umgangs mit unseren Lebensgrundlagen und mit den sozialen Widersprüchen in unserem Land“, sagte er. Jetzt gehe es darum, mit ganzer Kraft den Übergang in eine sozial-ökologische Zukunft zu gestalten. Dazu brauche es einen „starken, gerechten und vorsorgenden Sozialstaat“, eine „nachhaltige Wirtschaft“und „mehr demokratische Teilhabe“. Ein entsprechender Antrag des Landesvorstands wurde einmütig verabschiedet.
Kritik an der Corona-Politik der
CSU klang bei Hallitzky nur beim Stichwort Demokratie durch. Der Ort für demokratische Entscheidungen müsse der bayerische Landtag sein und nicht das „Küchenkabinett“von Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Etwas angriffslustiger zeigten sich andere aus der Führungsriege der bayerischen Grünen. Katharina Schulze, Fraktionschefin im Landtag, warf Söder vor, falsche Schwerpunkte gesetzt zu haben. Die Grünen hätten sich in der Krise schnell zentralen Themen wie der Situation der Familien und Frauen zugewandt, während Söder noch ausgiebig über Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga philosophiert habe. Der Chef der Bundestagsfraktion, Toni Hofreiter, warf der Bundesregierung vor, trotz milliardenschwerer Hilfsprogramme ausgerechnet die Schwächsten im Staat vernachlässigt zu haben. „Es ist beschämend“, so Hofreiter, „dass bei so viel Geld für die Ärmsten der Armen nicht einmal ein temporärer Aufschlag möglich war“. Und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth nahm den CSUPolitiker und Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, ins Visier. Er habe dafür plädiert, in der Corona-Krise die Klimapolitik „Das ist falsch“, hintanzustellen. sagte Roth.
Einen deutlichen Kontrapunkt zur CSU setzten die Grünen mit ihrem Leitantrag zur Zukunft des Waldes in Bayern. Die Initiativen der Staatsregierung reichen ihrer Ansicht nach längst nicht aus, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen. „Unser Wald darf nicht Opfer der Klimakatastrophe sein. Machen wir ihn vielmehr zum Rettungsanker für den Klimaschutz“, sagte Lettenbauer. Um das zu erreichen, müssten Bayerns Wälder komplett zu stabilen Mischwäldern umgebaut werden. Der Staatsforst müsse komplett auf ökologische Bewirtschaftung umstellen. Und es müssten deutlich mehr Försterinnen und Förster eingestellt werden, um die rund 700000 Waldbesitzer in Bayern besser zu beraten und ein baumfreundliches und tiergerechtes Wildtiermanagement zu etablieren.
Nahezu alle Beschlüsse wurden beim Parteitag einstimmig oder mit überwältigender Mehrheit gefasst.
Kosten für Parteitage steigen wegen Corona immens
Kontrovers debattiert wurde einzig die Frage des Alpentransits über den Brenner. Doch auch hier setzte sich eine große Mehrheit gegen jene Delegierten durch, die die Interessen der Anwohner entlang der Zulaufstrecken zum Brenner vertreten.
Trotz Einigkeit in politischen Grundsatzfragen sehen die Grünen ihrem nächsten großen Parteitag mit Sorge entgegen – und zwar wegen der immensen Kosten. Der digitale kleine Parteitag, so Hallitzky, habe rund 20000 Euro gekostet – also etwa genau so viel wie in einer Halle. Für einen richtigen großen Parteitag aber bräuchte es eine große Halle, um die Corona-Abstandsregeln einhalten zu können. Die Kosten dafür schätzt er auf rund 100000 Euro. Für eine Partei wie die Grünen wäre das ein existenzielles Problem. „So viel Geld hat kein Mensch.“