Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Warum ein Impfstoff nicht reichen wird
Weltweit arbeiten Labore daran, ein Medikament gegen das Coronavirus zu entwickeln. Doch eigentlich ist es gar nicht so wichtig, welches Unternehmen das erste ist
Augsburg Angebot und Nachfrage sind die Grundpfeiler jeder Ökonomie. Und nun schafft es ein Produkt, diese beiden Pole in ein nie da gewesenes Ungleichgewicht zu bringen: der Corona-Impfstoff. Nachfrage: mindestens fünf bis sechs Milliarden Impfdosen. Angebot: null.
Die Nachfrage könnte sogar noch deutlich höher sein. Je nachdem, wie viele Dosen verabreicht werden müssen, um den Empfänger zu schützen. Und es ist auch unsicher, wie lange ein Impfstoff schützen könnte und inwiefern bereits Infizierte sich nach ihrer Genesung neuanstecken können.
Klar ist: Wird ein funktionierender Impfstoff gefunden, müssten ihn sich etwa fünf Milliarden Menschen verabreichen lassen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Deshalb arbeiten weltweit über 150 Unternehmen daran, ihren Impfstoff möglichst schnell auf den Markt zu bringen. Die ersten Impfstoffe dürften erst 2021 verfügbar sein, schätzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, welcher Impfstoff als erster zugelassen wird. Das eigentliche Ziel ist es, zeitnah möglichst viele Impfstoffe auf den Markt zu bringen.
Der Grund ist ein wirtschaftlicher. Er hängt mit dem Konzept von Angebot und Nachfrage zusammen. Für ein einziges Unternehmen ist die Nachfrage schlicht zu hoch. „Es gibt Stand heute niemanden, der die Produktionskapazitäten hätte, um in realistischen Zeiträumen den Weltbedarf zu decken“, sagt Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller.
Das Problem: In der Regel kann so ein Impfstoff nur vom Originalproduzent erzeugt werden. Nur eine Art Bauanleitung an andere Unternehmen weiterzugeben, ist schwierig oder gar unmöglich. „Die Herstellung ist äußerst anspruchsvoll. Seine Wirksamkeit und Verträglichkeit hängen von Details des Produktionsverfahrens ab“, sagt Hömke. Der Originalhersteller könne im Rahmen von Kooperationen andere Unternehmen schulen, den Impfstoff herzustellen. „Allein auf Basis einer Blaupause wäre die identische Herstellung des Impfstoffs durch ein anderes Unternehmen aber nicht möglich.“
Viele der forschenden Hersteller nehmen deshalb Abkürzungen auf dem Weg zur Produktion. „Eine Reihe von Firmen erweitern gerade ihre Kapazitäten, indem sie zusätzliche Anlagen bauen“, sagt Hömke. Ihre Corona-Impfstoffe sind aber erst in der Erprobung. Ob sie am Ende eine Zulassung erhalten, ist unklar. „Das ist natürlich ein wirtschaftliches Risiko.“Andere versuchen Partner für die Produktion zu finden. Ein prominentes Beispiel für eine solche Kooperation erregte kürzlich auf Twitter viel Aufmerksamkeit. Tesla-Chef Elon Musk hatte dort verkündet, Anlagen für das Tübinger Unternehmen Curevac zur Verfügung zu stellen.
Zudem versucht die Regierung nachzuhelfen. „Wir wollen jetzt freie Kapazitäten zur ImpfstoffProduktion sichern und auch zusätzliche schaffen“, sagte Forschungsministerin Anja Karliczek im Mai. Mit 750 Millionen Euro sollen die Hersteller unterstützt werden. Das soll helfen, die Materialien zu beschaffen und den Impfstoff abzufüllen.
Wenn Hilfsgelder fließen, Unternehmen kooperieren und früh ihre Produktion hochfahren, kann das sicherlich die Herstellung beschleunigen. „Aber auch damit hat niemand alleine die Kapazität, die Welt zu versorgen“, sagt Rolf Hömke vom Verband forschender Arzneimittelhersteller.
Aber wie das so ist bei hoher Nachfrage und niedrigem Angebot: Das, was da ist, will man sich schnell reservieren. Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande haben deshalb kürzlich einen ersten Vertrag über mindestens 300 Millionen Impfdosen gegen das Coronavirus geschlossen.
Vertragspartner ist das Pharmaunternehmen AstraZeneca, das zu den führenden Entwicklern gehört. Dieses nannte eine Größenordnung von „bis zu 400 Millionen Dosen“. Profitieren sollen alle EUStaaten, die dabei sein wollen. Aufgeteilt wird nach Bevölkerungsgröße. AstraZeneca soll schon ähnliche Vereinbarungen mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten geschlossen haben.
Dass Deutschland deshalb zu kurz kommt, ist eher unwahrscheinlich. „In Ländern wie in Deutschland wird es mit Sicherheit dann so sein, dass es eine ganze Variationsbreite von Impfstoffen geben wird, die vielleicht nächstes Jahr um diese Zeit auch verfügbar sind“, erklärte der Virologe Christian Drosten in seinem Corona-Podcast im Mai.
Bis dahin bleibt es aber wohl erst mal beim historischen Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage.