Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bei Roschmann geht es hoch hinaus
Ein Streifzug durch das höchste Gebäude der Stadt gewährt Ein- und Ausblicke in und vom Turm. Hinter den Glasfassaden residiert bald auch Showa Denko aus Meitingen
Gersthofen Wenn früher in Gersthofen ein mehr oder weniger talentierter Nachwuchsfußballer eine Fensterscheibe eingeschossen hatte, führte der Weg in aller Regel in die Glaserei Roschmann in der Alpenstraße. 1952 war Xaver Roschmann, der den Betrieb von seinem Vater Anton übernommen hatte, aus Nördlingen nach Gersthofen übergesiedelt. 1972 übernahm mit Dieter Roschmann die dritte Generation den kleinen Handwerksbetrieb. Ende der 80er-Jahre spezialisierte sich Dieter Roschmann auf Fassadenund Dachkonstruktionen aus Stahl und Glas. Die umfassenden Kenntnisse des Werkstoffs Glas kamen ihm dabei zugute und waren ein Erfolgsgarant.
Rund 50 Jahre später steht Dieter Roschmanns Tochter Carolin auf dem Dach des höchsten Gebäudes der Stadt Gersthofen. Der 43 Meter hohe Glasturm beherbergt seit Anfang des Jahres den neuen Firmensitz der Roschmann-Group in der Daimlerstraße. „Wir sind schon stolz auf unseren RoschmannTower“, sagt die 33-Jährige, die für Marketing und Kommunikation im Unternehmen zuständig ist. Nachdem ihr Vater in den 70er-Jahren den Standort ausgebaut und verstärkt auf Isolierglasproduktionen gesetzt hatte, ist aus dem Einmannbetrieb unter seiner Regie die weltweit operierende RoschmannGroup mit Tochterfirmen in Frankreich und den USA geworden. Rund 300 Mitarbeiter, davon rund 200 in Gersthofen, erwirtschafteten 2019 einen Jahresumsatz von 91 Millionen Euro.
„Die Alpen kann man heute leider nicht sehen“, entschuldigt sich Carolin Roschmann, dass der Blick auf das grandiose Panorama nur die Silhouette von Augsburg freigibt. Zum Jahreswechsel verfolgte sie vom zwölften Stock aus mit glänzenden Augen das Silvester-Feuerwerk in der Umgebung. Während der frische Sommerwind ihr Haar zerzaust, erzählt Carolin Roschmann, wie sie schon vor vielen Jahren als Schülerin in der elften Klasse in einem Referat über die Vision ihres Vaters, einen Turm aus Glas zu bauen, schrieb. Nun ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. „Sozusagen als Abschiedsgeschenk“, lacht die junge Frau. Dieter Roschmann, 68, verabschiedete sich vor zwei Jahren aus dem Unternehmen. Die knapp einjährige Bauzeit des Turmes begleitete er noch persönlich.
In Rekordzeit ist dieser Kubus der den Kuka-Turm als höchstes Gebäude der Stadt abgelöst hat. Die Architektur ist großzügig, das zeigt schon die weitläufige Eingangshalle. Zwei Treppenhäuser, die von 40 Meter langen Stahlseilkonstruktionen begrenzt werden, und zwei Aufzüge führen nach oben in die Büroräume, in denen durch Betonkernaktivierung trotz der Sonneneinstrahlung ein angenehmes Raumklima herrscht.
Hier lassen die Roschmann-Mitarbeiter Visionen Wirklichkeit werentstanden, den. Wie zum Beispiel für The Grand Egyptian Museum in Kairo, in dem man noch in diesem Jahr durch Glasfassaden aus Gersthofen auf die Pyramiden von Gizeh blicken kann. Überhaupt sind Roschmann-Fassaden bei Museen in aller Welt gefragt.
Das Museum of the Bible in Washington (Eröffnet 2017) stellt ein zusammengeklapptes Buch dar, das Lucas Museum of Narrative Art in Los Angeles, das ab 2022 zum Mekka für Star-Wars-Fans werden soll, wird einem Raumschiff gleichen. „Die Lösungen, die wir realisieren, kommen nicht von der Stange“, lacht Carolin Roschmann.
Mit einem Kran kam als letztes Puzzleteil die Brücke, die zwischen den Turm und die rund 10000 Quadratmeter große neue Fertigungshalle mit drei Schiffen millimetergenau eingefügt wurde. Erst vor wenigen Tagen sind die Schriftzüge an den Fenstern der obersten drei Stockwerke, die nach einem Mieter suchten, entfernt worden. Das bisher in Meitingen angesiedelte Unternehmen Showa Denko hat dort eine neue Heimat gefunden (wir berichteten). Dass Roschmann die „Filetstücke“der obersten drei Stockwerke nicht für sich selbst in Anspruch nehmen wollte, hat einen einfachen Grund: „Wir wollen so nah wie möglich an der Produktion bleiben. Deshalb sollten Arbeitsvorbereitung und Logistik direkten Zugang zur Halle haben“, erklärt Carolin Roschmann, die aus ihrem Büro im achten Stock auch so wunderbare Sonnenaufgänge genießen kann.
Während die Seminarräume bereits fertig sind, wurden das geplante Restaurant im Erdgeschoss und der Sportraum im Untergeschoss für die Mitarbeiter durch Corona ausgebremst. Das Unternehmen selbst war vom Lockdown bisher kaum betroffen. „Mal abwarten, wie es uns im Nachgang trifft. Alle europäischen Projekte, wie zum Beispiel das Parlamentsgebäude in Wien, sind mit kurzen Unterbrechungen weitergelaufen“, berichtet die Marketingchefin, dass keine Kurzarbeit angeordnet hätte werden müssen. Dabei geht ihr Blick vom Dach des höchsten Gersthofer Gebäudes Richtung Horizont, wo sich die Autobahn A8 den Berg hinaufschlängelt.