Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein wenig Urwald erleben
Seit 50 Jahren dürfen sich im Nationalpark Bayerischer Wald Pflanzen und Tiere ausbreiten. Welche Arten dort leben und welche großen Pläne es für die Zukunft gibt
Grafenau Seit 113 Jahren war der Raue Flachkäfer im Bayerischen Wald nicht mehr gesichtet worden, er galt dort als ausgestorben. Im Herbst 2019 entdeckt der Wissenschaftler Jörg Müller in einem Fichtenstumpf ein Exemplar der kleinen Krabbler. Ein Urwaldrelikt. Damit die Käferart überleben kann, braucht sie vor allem reichlich Totholz mit Baumschwämmen. Davon gibt es im Bayerischen Wald genug. Der Nationalpark ist ein Waldschutzgebiet, in dem sich zahlreiche seltene Tierarten tummeln. Vor 50 Jahren ist der damals erste deutsche Nationalpark gegründet worden.
Hier sollte sich die Natur ihrer Natur entsprechend entwickeln können. Das Ziel, das die Gründerväter vor Augen hatten, sei erreicht worden, sagt Direktor Franz Leibl. Der Wald habe sich immer mehr in Richtung Urwald entwickelt. Inzwischen seien etwa 11000 Tier-, Pilz- und Pflanzenarten im Bayerischen Wald nachgewiesen worden – darunter alleine 16 UrwaldreliktKäferarten. Auch Fledermäuse, Rotwild, Luchse und Biber fühlen sich in dem Areal wohl – ebenso der gefürchtete Buchdrucker, eine Borkenkäferart. Nach einem massenhaften Befall durch den Borkenkäfer in den 90er Jahren hat sich der Wald im Nationalpark erholt und deutlich verjüngt. Die abgestorbenen Bäume dienen seltenen Arten als Lebensraum. Wissenschaftler Müller, der stellvertretender Leiter des Nationalparks ist und Professor an der Uni Würzburg, zeigt auf Baumstümpfe, auf denen sich Pilze ausgebreitet haben. Etwa drei Wochen nachdem der Buchdrucker da war, ist ein Baum tot, erklärt er. „Dann kommt der Pilz.“Im Nationalpark profitierten alleine 200 Pilzarten von Totholz. Oder eben der Raue Flachkäfer. In den Randzonen des Nationalparks würden vom Buchdrucker befallene Fichten aber entfernt, um eine Ausbreitung auf angrenzende Wälder zu vermeiden.
Es geht aber nicht nur um kleine Lebewesen – sondern auch um große. Tiere wie Wolf und Elch können Besucher im Freigehege sehen. Das sei ein Kompromiss, damit die Menschen die Tiere ein Stück weit erleben könnten, sagt Rangerin Christine Schopf. Der Nationalpark hat neben den Themen Naturschutz und
Forschung auch einen Bildungsauftrag. Seit 27 Jahren arbeitet Schopf bei der Nationalparkwacht und ist in dem Gelände unterwegs, um Fragen zu beantworten und auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Hinweisschilder hielten die Menschen nicht unbedingt davon ab, die Wanderwege zu verlassen oder verbotenerweise ein Campingzelt aufzuschlagen, erzählt sie.
Wegen der Corona-Pandemie wurde der geplante Festakt zur 50-Jahr-Feier abgesagt. Im kommenden Jahr soll er aber nachgeholt werden, sagt Direktor Leibl. Eine Erweiterung des Nationalparks wäre ein schönes Geschenk. Im Gespräch sind rund 600 Hektar Staatswald an der Grenze zum tschechischen Nationalpark Sumava, die dem Nationalpark zugeordnet werden könnten. Mit der Erweiterung könnte der größte deutsche Waldnationalpark geschaffen werden, sagt Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber. Ute Wessels, dpa