Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Woher kommt die Gewalt in den Innenstädten?
Immer öfter gibt es Krawalle. In der Region sollen neue Regeln das verhindern
Frankfurt/Augsburg Plötzlich wird aus friedlich feiernden Jugendlichen ein aggressiver Mob. Glasflaschen fliegen aus der Menge auf Polizisten und zerbersten an den Uniformen. Etwa 500 bis 800 Menschen jubeln über jeden Treffer. So beschreibt der Frankfurter Polizeichef das, was sich am Wochenende auf dem Opernplatz in der hessischen Großstadt abgespielt hat.
Ausgangspunkt für die Krawalle am Wochenende waren wohl Jugendliche. Genau wie zuletzt bei den Plünderungen in Stuttgart. In den Augen von Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes haben die Ausschreitungen einen klaren Bezug zur aktuellen Situation: „Junge Menschen fühlen sich – und sind es teils auch – seit Monaten eingesperrt.“Die Partykultur sei bislang im Wesentlichen gewaltfrei gewesen. „Jetzt eskaliert die Lage“, sagt Feltes unserer Redaktion.
Denn coronabedingt müssten sich Jugendliche alternative Treffpunkte zu geschlossenen Räumen suchen, an denen sie dann als störend empfunden würden. So etwa auch in der Augsburger Maximilianstraße. Erst vor einer Woche wurden hier Polizisten angegriffen. Oder wie Ende Mai, als ebenfalls dort Feiernde Tische und Stühle umwarfen und „Polizeigewalt“skandierten, als ein Beamter versuchte, eine Frau zu schlagen, nachdem sie ihn gebissen hatte.
Aber woher kommt der Frust bei den Jugendlichen? Dafür hat Feltes eine einfache Erklärung: „Polizei und Einsatzkräfte werden als „Spielverderber“gesehen.“Unter dem Einfluss von – oft zu viel – Alkohol eskaliere die Situation, weil sich die Jugendlichen den einzigen Raum, wo sie sich treffen können, nicht wegnehmen lassen wollen, berichtet der Polizeiwissenschaftler. Es entstehe eine besondere Gruppendynamik, der sich der einzelne kaum entziehen könne. „Gewalt wird zum emotionalen Erlebnis in einer ansonsten relativ ereignislosen Zeit – im Gefühl der Jugendlichen, nicht objektiv betrachtet.“Hinzu komme die Diskussion um Polizeigewalt und Rassismus in der Polizei.
Eskalationen wie am Frankfurter Opernplatz oder in der Augsburger Maxstraße scheinen sich jedenfalls zu häufen. Die Lösungsansätze sind verschieden. In Augsburg soll die Außengastronomie künftig eine Stunde länger geöffnet bleiben, dafür wird der Getränkeverkauf auf der Straße stark eingeschränkt. In Frankfurt setzen die Behörden hingegen auf eine Sperrstunde, künftig gilt am Opernplatz ab Mitternacht ein Betretungsverbot.
Gerade letzteres hält Feltes für einen Fehler: „Viele Jugendliche fühlen sich an den Rand gedrängt, weil sie keine Macht haben. Dieses Gefühl wird verstärkt, wenn man Räume sperrt.“Zudem würde sich das Geschehen an andere Orte verlagern. Generell, betont Feltes, sei die Jugendgewalt in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen.
Generell wird Gewalt bei Jugendlichen weniger
„Wir haben es hier mit Ausnahmesituationen zu tun, die man nicht überbewerten, aber auch nicht unterschätzen sollte.“Das zeigt sich auch in der Region: In den ländlichen Gegenden ist es sehr ruhig. Das liegt Feltes zufolge unter anderem an den größeren Möglichkeiten, sich privat treffen zu können.
Um eine Eskalation zu verhindern, ist es in seinen Augen wichtig, das Gespräch mit den Jugendlichen zu suchen. „Und zwar nicht erst dann, wenn es zu Ausschreitungen kommt.“Die Polizei müsse das Vertrauen der jungen Menschen gewinnen. „Dies kann sie nur dann, wenn sie auch Fehler einräumt. Im Moment sehe ich die Polizei – und die Politik – leider eher mit dem Rücken an der Wand in einer aggressiven Verteidigungshaltung.“