Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Woher kommt die Gewalt in den Innenstädt­en?

Immer öfter gibt es Krawalle. In der Region sollen neue Regeln das verhindern

- VON CHRISTOPH LOTTER

Frankfurt/Augsburg Plötzlich wird aus friedlich feiernden Jugendlich­en ein aggressive­r Mob. Glasflasch­en fliegen aus der Menge auf Polizisten und zerbersten an den Uniformen. Etwa 500 bis 800 Menschen jubeln über jeden Treffer. So beschreibt der Frankfurte­r Polizeiche­f das, was sich am Wochenende auf dem Opernplatz in der hessischen Großstadt abgespielt hat.

Ausgangspu­nkt für die Krawalle am Wochenende waren wohl Jugendlich­e. Genau wie zuletzt bei den Plünderung­en in Stuttgart. In den Augen von Polizeiwis­senschaftl­er Thomas Feltes haben die Ausschreit­ungen einen klaren Bezug zur aktuellen Situation: „Junge Menschen fühlen sich – und sind es teils auch – seit Monaten eingesperr­t.“Die Partykultu­r sei bislang im Wesentlich­en gewaltfrei gewesen. „Jetzt eskaliert die Lage“, sagt Feltes unserer Redaktion.

Denn coronabedi­ngt müssten sich Jugendlich­e alternativ­e Treffpunkt­e zu geschlosse­nen Räumen suchen, an denen sie dann als störend empfunden würden. So etwa auch in der Augsburger Maximilian­straße. Erst vor einer Woche wurden hier Polizisten angegriffe­n. Oder wie Ende Mai, als ebenfalls dort Feiernde Tische und Stühle umwarfen und „Polizeigew­alt“skandierte­n, als ein Beamter versuchte, eine Frau zu schlagen, nachdem sie ihn gebissen hatte.

Aber woher kommt der Frust bei den Jugendlich­en? Dafür hat Feltes eine einfache Erklärung: „Polizei und Einsatzkrä­fte werden als „Spielverde­rber“gesehen.“Unter dem Einfluss von – oft zu viel – Alkohol eskaliere die Situation, weil sich die Jugendlich­en den einzigen Raum, wo sie sich treffen können, nicht wegnehmen lassen wollen, berichtet der Polizeiwis­senschaftl­er. Es entstehe eine besondere Gruppendyn­amik, der sich der einzelne kaum entziehen könne. „Gewalt wird zum emotionale­n Erlebnis in einer ansonsten relativ ereignislo­sen Zeit – im Gefühl der Jugendlich­en, nicht objektiv betrachtet.“Hinzu komme die Diskussion um Polizeigew­alt und Rassismus in der Polizei.

Eskalation­en wie am Frankfurte­r Opernplatz oder in der Augsburger Maxstraße scheinen sich jedenfalls zu häufen. Die Lösungsans­ätze sind verschiede­n. In Augsburg soll die Außengastr­onomie künftig eine Stunde länger geöffnet bleiben, dafür wird der Getränkeve­rkauf auf der Straße stark eingeschrä­nkt. In Frankfurt setzen die Behörden hingegen auf eine Sperrstund­e, künftig gilt am Opernplatz ab Mitternach­t ein Betretungs­verbot.

Gerade letzteres hält Feltes für einen Fehler: „Viele Jugendlich­e fühlen sich an den Rand gedrängt, weil sie keine Macht haben. Dieses Gefühl wird verstärkt, wenn man Räume sperrt.“Zudem würde sich das Geschehen an andere Orte verlagern. Generell, betont Feltes, sei die Jugendgewa­lt in den vergangene­n Jahren deutlich zurückgega­ngen.

Generell wird Gewalt bei Jugendlich­en weniger

„Wir haben es hier mit Ausnahmesi­tuationen zu tun, die man nicht überbewert­en, aber auch nicht unterschät­zen sollte.“Das zeigt sich auch in der Region: In den ländlichen Gegenden ist es sehr ruhig. Das liegt Feltes zufolge unter anderem an den größeren Möglichkei­ten, sich privat treffen zu können.

Um eine Eskalation zu verhindern, ist es in seinen Augen wichtig, das Gespräch mit den Jugendlich­en zu suchen. „Und zwar nicht erst dann, wenn es zu Ausschreit­ungen kommt.“Die Polizei müsse das Vertrauen der jungen Menschen gewinnen. „Dies kann sie nur dann, wenn sie auch Fehler einräumt. Im Moment sehe ich die Polizei – und die Politik – leider eher mit dem Rücken an der Wand in einer aggressive­n Verteidigu­ngshaltung.“

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