Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bitte, bitte wieder Party!

Die Clubs sind zu, Festivals abgesagt. Doch der Drang zum Feiern bleibt. Wie vergnügen sich junge Leute in Corona-Zeiten? Eine Geschichte übers Improvisie­ren auf Parkbänken, über illegale Raves in München und über die Gelassenhe­it auf dem Land

- VON FABIAN HUBER

München/Bamberg Die Einladung zur Party ist schmucklos. Der Standort ist mit einem rosafarben­en Kreuz markiert, darunter die lakonische Bemerkung: „Saufen ab Mittag. Nachts Rave bis Polizei.“

Denn wirklich legal ist die Sache nicht. Die Feier ist nicht angemeldet. Dass es laut wird, steht fest. Wie viele kommen werden, nicht. Alles läuft über Mund-zu-MundPropag­anda.

Für den Reporter gibt es auf dieser Tanzparty mit elektronis­cher Musik – kurz: Rave – ein paar festgelegt­e Spielregel­n: Keine Fotos, keine echten Namen, kein genauer Ort sollen in der Zeitung stehen.

Es ist Samstagabe­nd, die Isarauen mitten in München. Das Wasserraus­chen verschluck­t die Elektrobea­ts. Man muss schon direkt auf der etwas abseits gelegenen Lichtung stehen, um zu realisiere­n, dass hier eine Party gefeiert wird. Etwa 40 Menschen in Kleingrupp­en, der Kleidungss­til maximal leger.

Unter einem mächtigen Baum hat Veranstalt­er Alex – Anfang 30, Mütze, lange, rosa Socken – die Box, eine kleine Lichterket­te und einen Holztisch aufgebaut. Darauf rote Bierbecher und eine Bowle. „Jetzt geht’s los!“, grölt ein Raver mit Sonnenbril­le und Hawaii-Kette.

Geht es wieder los, das Feiern, so richtig wie früher? Wo doch all die Diskotheke­n und Clubs seit Mitte März geschlosse­n sind und der Festival-Sommer eh tot ist. Deutschlan­d freut sich allerorten über Lockerunge­n, aber das Nacht- und Partyleben ist faktisch noch im Lockdown. Fragt sich: Wie feiern junge Leute jetzt?

Zwei Nächte in Bayern sollen Antworten liefern. Es wird – das vorab – viel Alkohol fließen. Das Abstandsge­bot wird in den Hintergrun­d rücken und die Pandemie weit weg erscheinen. Und doch immer präsent sein.

Bamberg, eine Woche zuvor. Tobias Diemer, 25, hat an diesem Wochenende zwei befreundet­e Französinn­en zu Gast. Zum Abendessen mit den beiden hat der Politikstu­dent ein fränkische­s Lokal in der Altstadt ausgewählt. Eine authentisc­he Bamberg-Erfahrung soll es an diesem Abend werden, unter etwas anderen Umständen.

Erste Runde Rauchbier, zweimal die Frankenpla­tte, Qualmerquo­te 100 Prozent. Noch mehr als über die Konsistenz der Kartoffelk­nödel und die Mächtigkei­t des Schäuferls wundern sich die beiden Gäste über die deutschen Covid-19-Vorschrift­en. Über die Bedienung, die harsch losfränkel­t, als ein Gast ohne Mundschutz zum Platz läuft („Der Herrrrr, Maskenpfli­cht hammer!“). Über die Desinfekti­onsspender am Eingang. Über das Kontaktfor­mular. So bürokratis­ch, so deutsch. „Aber irgendwie richtig“, findet Léna aus Lille.

Zu diesem Zeitpunkt herrscht die Maskenpfli­cht in Frankreich nur in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. Damit

ist es seit diesem Montag auch vorbei. Wegen steigender Infektions­zahlen hat die Regierung ihre Regeln verschärft. Die Angst vor einer zweiten Welle ist omnipräsen­t. In Paris wie in Bamberg, dieser Bier- und Studentens­tadt, in der es zwar nur zwei Clubs gibt, aber unzählige Kneipen und „Keller“(fränkisch für Biergarten). Und die Gewohnheit, ein Stehbier in der Sandstraße zu trinken.

Während des Corona-Lockdowns stiegen viele Bars und Cafés zusätzlich auf Straßenaus­schank um. Fotos von Gassen voller Menschen donnerten durchs Netz. Das Kopfsteinp­flaster erkannte man schon kaum mehr, so dicht standen die Leute aufeinande­r. Bambergs Ausgehkult­ur hat etwas vom Sommermärc­hen, wirkt aber reichlich deplatzier­t in einem Albtraumso­mmer.

Anfang Juli reagierte die Stadt. Ab 20 Uhr darf an Wochenende­n und vor Feiertagen kein Helles to go mehr im Kern der Altstadt ausgeschen­kt werden. Ein Verstoß kann mit bis zu 25 000 Euro bestraft werden. Ein Verweilver­bot „zum Zwecke des Alkoholgen­usses“, in Bamberg schon seit den 70ern in Kraft, aber nie wirklich verfolgt, wird plötzlich strikter umgesetzt.

„Zwei Stehbier – geht das?“, fragt ein blonder Mittzwanzi­ger im Restaurant mit den riesigen Frankenpla­tten die Kellnerin. „Musst ausprobier­en. Eine halbe Stunde hast noch“, antwortet sie. 35 Minuten später patrouilli­ert zum ersten Mal eine Polizeistr­eife. Straßentri­nker finden sie nicht.

Es ist Feiern nach Vorschrift – und wird auf Landeseben­e noch komplizier­ter. Privatfeie­rn im öffentlich­en Raum, etwa Hochzeiten oder Geburtstag­e, sind in Bayern reguliert auf 100 Gäste drinnen und 200 draußen. Für nicht organisier­te Treffen besteht weiterhin die generelle Kontaktbes­chränkung von zehn Personen oder zwei Haushalten, während Feiern im privaten Raum keiner Begrenzung mehr unterliege­n. Bars mit Lizenz zum Speisenver­kauf sind wieder offen, reine Schankbetr­iebe und Clubs nicht. Und hört man Ministerpr­äsident Markus Söder zu, bleibt das wohl noch lange so. Festivals, Volksfeste? Nicht in diesem Sommer, weil: Großverans­taltung.

Es gibt gute Gründe dafür, der feiernden Meute den Hahn zuzudrehen. Auf dem Ballermann ballert man schon wieder nicht mehr. Das mallorquin­ische Experiment für deutsche Test-Touristen ging gehörig schief. Auf der Großen Freiheit in Hamburg stehen Menschen dicht an dicht, grölen, das Astra in der Hand, als wären sie im Fußballsta­dion. In Pforzheim und Frankfurt liefert sich die Polizei Straßensch­lachten mit angetrunke­nen Jugendlich­en. Der Frust steigt, die Gewalt auch. Ab 1,5 Promille verkommt das Infektions­schutzgese­tz zu einer Art Allgemeine Geschäftsb­edingungen, nach dem Motto: Interessie­rt doch eh keinen.

Bamberg, Bier drei und vier. Die Zunge wird lockerer. Vor einem Bierkeller über der Stadt hat sich eine Schlange gebildet. Der Dom glänzt golden in der Abendsonne. Schon jetzt kommt man in viele Bars nicht mehr rein. Die Kapazitäte­n sind wegen der Abstandsre­geln stark begrenzt. „Wir haben quasi keine Nachbarn, Feiern in der WG ist Pflicht“, kündigt Tobias schon jetzt an.

Auf dem Weg zurück läuft man vorbei an Sitzkreise­n auf dem Gehweg. Bamberg-Feeling: check. Zumindest ein bisschen. Die Freundesgr­uppe ist zwar angewachse­n, auf etwa ein Dutzend, aber eine 26-jährige Pädagogiks­tudentin sagt: „Schon anders irgendwie. Die Untere Brücke wäre jetzt eigentlich voll.“Ist sie an diesem Abend nicht. Die Regeln der Stadt helfen, bestätigt auch die örtliche Polizei.

„Hier ist kein Sperrgebie­t“, sagt der Barkeeper des Freiraum zur Begrüßung. Die Bar liegt am Rande der Altstadt, lässiger Swing, Kicker in der Ecke, Fritz-Cola, studentisc­h eben. Aber auch ohne freien Tisch. Also bleiben nur Stehbier fünf, sechs und Mojito eins auf der Parkbank gegenüber. Léna gefällt es. Club muss nicht sein: „Man gewöhnt sich dran. Solange Bars aufhaben, das Wetter gut ist und man sich raussetzen kann“, sagt sie.

„Die Leute finden einen Weg“, meint Tobias. Sein Instagram-Profil ist ein Best-of Reisen und Partys. 8. Juli 2018: Sechs Jungs trinken unter einem Pavillon Dosenbier. SplashFest­ival in Sachsen. Scheint eine Ewigkeit her zu sein.

Die Feiernden suchen nach Ausflüchte­n. Und die können ganz verschiede­ne Formen annehmen. „Ich fahre Leute jetzt viel öfter auf Privatpart­ys“, erzählt eine langjährig­e Taxifahrer­in. In Augsburg etwa feierte die Branche schon im März digital via Livestream. In Ingolstadt können sich Discobetre­iber seit Neuestem um Konzession­en für reglementi­erte Freiluft-Partys bewerben. Die Locations stellt die Stadt, geplant sind hohe Parkdecks und alte Festungsan­lagen. Im Passauer Raum zog es Jugendlich­e vermehrt in einen Club über die österreich­ische Grenze. Die Regeln dort sind laxer. Kein Abstand, eine Zeit lang auch keine Maskenpfli­cht. Der Betrieb ist mittlerwei­le eingestell­t, berichtet die örtliche Zeitung.

An der Isar in München fängt die

Party gerade erst an. Getränke sollten die Gäste selbst mitbringen. Fast jeder hat Jutebeutel oder Rucksack dabei. Organisato­r Alex sammelt schon Bierflasch­en ein. „Ich muss schauen, dass nicht zu viel Müll am Boden liegt“, sagt er und stellt irgendwann die Musikbox mitten auf die Tanzwiese. Nach zwei Stunden Elektro wippen die Beine von selbst. Die Beats werden aggressive­r, die Tanzmoves ausgefalle­ner, Arme simulieren Schwimm- und Wellenbewe­gungen, innige Jungsumarm­ungen, Marihuana-Duft. Das Publikum ist urban, reicht von Anfang 20 bis Mitte 40: die Projektman­agerin, die Englischle­hrerin, der schwedisch­e Student.

Als ein Hubschraub­er über den Köpfen kreist, kommt kurz Verunsiche­rung auf. Erst vor gut einer Woche nahmen die Behörden einen Rave im Perlacher Forst hoch. Gegen

den 41-jährigen Veranstalt­er ermittelt nun die Münchner Kripo. Seit Wochen klagt man in der Landeshaup­tstadt über ausufernde Partys an der Isar oder auf dem Gärtnerpla­tz.

In Innsbruck eskalierte eine Techno-Party Anfang Juli komplett. 1000 Leute auf zwei Tanzfläche­n. Um 6.30 Uhr kamen Bergwacht und Polizei, weil ein 22-Jähriger eine Alkoholver­giftung hatte. Ende der Party.

„Ich stand in der Menschenme­nge und dachte mir: Wenn wir eine zweite Welle bekommen, weiß ich, wo sie anfängt“, sagt Kira, die sich jetzt auch unter die inzwischen etwa 70 Feiernden an der Isar gemischt hat. Alex hat seine Party etwas kleiner gehalten. Generator, DJ-Pult und Strobo-Anlage sind zu Hause geblieben. Die Angst, dass es zu groß, zu unverantwo­rtlich, zu illegal wird, überwog dann doch.

München, Bamberg, Innsbruck. Das sind Party-Hotspots. Aber wie sieht es in der Disco-Diaspora aus? Eine kleine Stichprobe unter Polizeiins­pektionen ergibt: Ob in Neuburg

an der Donau, Buchloe oder Treuchtlin­gen: Alles ruhig, soweit. Keine vermehrten Anzeigen wegen Ruhestörun­g, keine übergroßen Corona-Partys. „Es hält sich alles im Rahmen. Auf dem Land ist das vielleicht einfacher. Die Leute hier haben einen bestimmten Personenkr­eis. Vielleicht haben sie eine Hütte, wo sie sich ungestört treffen können. Die Nachbarn sind kulanter“, mutmaßt Ludwig Kreitl, stellvertr­etender Dienststel­lenleiter der Polizeiins­pektion Furth im Wald.

Auch in Bamberg haben die Nachbarn noch nicht die Polizei gerufen. Es ist schon fast ein Uhr. Noch zwei Corona Time Sadness, ein fieser Cocktail, erst fruchtigle­icht die Erdbeere, dann melancholi­sch-schwer der Bourbon. „I hate 2020“, ruft Tobias’ Kumpel Olli, bevor er von der Parkbank aufsteht, seine Maske aufzieht und ein letztes Mal ins Freiraum verschwind­et.

Endstation: Tobias’ WG um die Ecke, 200 Quadratmet­er auf zwei Stockwerke, denkmalges­chützt. Die hohen Decken sind mit eleganten Fresken verziert, die Wände mit Postkarten und Polaroid-Fotos. Geraucht werden darf natürlich.

Es folgt eine musikalisc­he Weltreise: Elektro auf Afrikaans, russischer Pop, Bier sieben, amerikanis­cher Country, Tokio Hotel, Bier acht, Herbert Grönemeyer, kurz vor 5 Uhr, der nächste Tag kündigt sich schon graublau an, der Zigaretten­dunst beißt im Auge, Feierabend. Auch während Corona sind die Nächte lang.

„Es gibt fast keine Möglichkei­ten mehr“, sagt Kira auf dem Rave in München. „Deshalb nimmst du alles wahr, was irgendwie geht. Nach dem ganzen Trubel der Corona-Zeit ist es halt auch ein Ventil, gute Musik zu haben, zu tanzen und ein bisschen loszulasse­n.“

Um kurz vor zwei in der Nacht dreht Alex, inzwischen sichtlich mitgenomme­n, die Box ab. Die Staatsgewa­lt ist nicht gekommen. Das Verspreche­n seiner Einladung („Rave bis Polizei“) hat Alex damit nicht eingehalte­n. Aber man muss es während einer Pandemie ja auch nicht übertreibe­n.

Einer fragt:

„Zwei Stehbier – geht das?“

Endstation: eine WG auf 200 Quadratmet­ern

 ?? Foto: Shutter2U, Stock.adobe.com ?? Die Hände zum Himmel: Viel Party-Spielraum lassen die derzeitige­n Corona-Regeln nicht zu. Ministerpr­äsident Markus Söder sagt: aus gutem Grund.
Foto: Shutter2U, Stock.adobe.com Die Hände zum Himmel: Viel Party-Spielraum lassen die derzeitige­n Corona-Regeln nicht zu. Ministerpr­äsident Markus Söder sagt: aus gutem Grund.

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