Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bitte, bitte wieder Party!
Die Clubs sind zu, Festivals abgesagt. Doch der Drang zum Feiern bleibt. Wie vergnügen sich junge Leute in Corona-Zeiten? Eine Geschichte übers Improvisieren auf Parkbänken, über illegale Raves in München und über die Gelassenheit auf dem Land
München/Bamberg Die Einladung zur Party ist schmucklos. Der Standort ist mit einem rosafarbenen Kreuz markiert, darunter die lakonische Bemerkung: „Saufen ab Mittag. Nachts Rave bis Polizei.“
Denn wirklich legal ist die Sache nicht. Die Feier ist nicht angemeldet. Dass es laut wird, steht fest. Wie viele kommen werden, nicht. Alles läuft über Mund-zu-MundPropaganda.
Für den Reporter gibt es auf dieser Tanzparty mit elektronischer Musik – kurz: Rave – ein paar festgelegte Spielregeln: Keine Fotos, keine echten Namen, kein genauer Ort sollen in der Zeitung stehen.
Es ist Samstagabend, die Isarauen mitten in München. Das Wasserrauschen verschluckt die Elektrobeats. Man muss schon direkt auf der etwas abseits gelegenen Lichtung stehen, um zu realisieren, dass hier eine Party gefeiert wird. Etwa 40 Menschen in Kleingruppen, der Kleidungsstil maximal leger.
Unter einem mächtigen Baum hat Veranstalter Alex – Anfang 30, Mütze, lange, rosa Socken – die Box, eine kleine Lichterkette und einen Holztisch aufgebaut. Darauf rote Bierbecher und eine Bowle. „Jetzt geht’s los!“, grölt ein Raver mit Sonnenbrille und Hawaii-Kette.
Geht es wieder los, das Feiern, so richtig wie früher? Wo doch all die Diskotheken und Clubs seit Mitte März geschlossen sind und der Festival-Sommer eh tot ist. Deutschland freut sich allerorten über Lockerungen, aber das Nacht- und Partyleben ist faktisch noch im Lockdown. Fragt sich: Wie feiern junge Leute jetzt?
Zwei Nächte in Bayern sollen Antworten liefern. Es wird – das vorab – viel Alkohol fließen. Das Abstandsgebot wird in den Hintergrund rücken und die Pandemie weit weg erscheinen. Und doch immer präsent sein.
Bamberg, eine Woche zuvor. Tobias Diemer, 25, hat an diesem Wochenende zwei befreundete Französinnen zu Gast. Zum Abendessen mit den beiden hat der Politikstudent ein fränkisches Lokal in der Altstadt ausgewählt. Eine authentische Bamberg-Erfahrung soll es an diesem Abend werden, unter etwas anderen Umständen.
Erste Runde Rauchbier, zweimal die Frankenplatte, Qualmerquote 100 Prozent. Noch mehr als über die Konsistenz der Kartoffelknödel und die Mächtigkeit des Schäuferls wundern sich die beiden Gäste über die deutschen Covid-19-Vorschriften. Über die Bedienung, die harsch losfränkelt, als ein Gast ohne Mundschutz zum Platz läuft („Der Herrrrr, Maskenpflicht hammer!“). Über die Desinfektionsspender am Eingang. Über das Kontaktformular. So bürokratisch, so deutsch. „Aber irgendwie richtig“, findet Léna aus Lille.
Zu diesem Zeitpunkt herrscht die Maskenpflicht in Frankreich nur in öffentlichen Verkehrsmitteln. Damit
ist es seit diesem Montag auch vorbei. Wegen steigender Infektionszahlen hat die Regierung ihre Regeln verschärft. Die Angst vor einer zweiten Welle ist omnipräsent. In Paris wie in Bamberg, dieser Bier- und Studentenstadt, in der es zwar nur zwei Clubs gibt, aber unzählige Kneipen und „Keller“(fränkisch für Biergarten). Und die Gewohnheit, ein Stehbier in der Sandstraße zu trinken.
Während des Corona-Lockdowns stiegen viele Bars und Cafés zusätzlich auf Straßenausschank um. Fotos von Gassen voller Menschen donnerten durchs Netz. Das Kopfsteinpflaster erkannte man schon kaum mehr, so dicht standen die Leute aufeinander. Bambergs Ausgehkultur hat etwas vom Sommermärchen, wirkt aber reichlich deplatziert in einem Albtraumsommer.
Anfang Juli reagierte die Stadt. Ab 20 Uhr darf an Wochenenden und vor Feiertagen kein Helles to go mehr im Kern der Altstadt ausgeschenkt werden. Ein Verstoß kann mit bis zu 25 000 Euro bestraft werden. Ein Verweilverbot „zum Zwecke des Alkoholgenusses“, in Bamberg schon seit den 70ern in Kraft, aber nie wirklich verfolgt, wird plötzlich strikter umgesetzt.
„Zwei Stehbier – geht das?“, fragt ein blonder Mittzwanziger im Restaurant mit den riesigen Frankenplatten die Kellnerin. „Musst ausprobieren. Eine halbe Stunde hast noch“, antwortet sie. 35 Minuten später patrouilliert zum ersten Mal eine Polizeistreife. Straßentrinker finden sie nicht.
Es ist Feiern nach Vorschrift – und wird auf Landesebene noch komplizierter. Privatfeiern im öffentlichen Raum, etwa Hochzeiten oder Geburtstage, sind in Bayern reguliert auf 100 Gäste drinnen und 200 draußen. Für nicht organisierte Treffen besteht weiterhin die generelle Kontaktbeschränkung von zehn Personen oder zwei Haushalten, während Feiern im privaten Raum keiner Begrenzung mehr unterliegen. Bars mit Lizenz zum Speisenverkauf sind wieder offen, reine Schankbetriebe und Clubs nicht. Und hört man Ministerpräsident Markus Söder zu, bleibt das wohl noch lange so. Festivals, Volksfeste? Nicht in diesem Sommer, weil: Großveranstaltung.
Es gibt gute Gründe dafür, der feiernden Meute den Hahn zuzudrehen. Auf dem Ballermann ballert man schon wieder nicht mehr. Das mallorquinische Experiment für deutsche Test-Touristen ging gehörig schief. Auf der Großen Freiheit in Hamburg stehen Menschen dicht an dicht, grölen, das Astra in der Hand, als wären sie im Fußballstadion. In Pforzheim und Frankfurt liefert sich die Polizei Straßenschlachten mit angetrunkenen Jugendlichen. Der Frust steigt, die Gewalt auch. Ab 1,5 Promille verkommt das Infektionsschutzgesetz zu einer Art Allgemeine Geschäftsbedingungen, nach dem Motto: Interessiert doch eh keinen.
Bamberg, Bier drei und vier. Die Zunge wird lockerer. Vor einem Bierkeller über der Stadt hat sich eine Schlange gebildet. Der Dom glänzt golden in der Abendsonne. Schon jetzt kommt man in viele Bars nicht mehr rein. Die Kapazitäten sind wegen der Abstandsregeln stark begrenzt. „Wir haben quasi keine Nachbarn, Feiern in der WG ist Pflicht“, kündigt Tobias schon jetzt an.
Auf dem Weg zurück läuft man vorbei an Sitzkreisen auf dem Gehweg. Bamberg-Feeling: check. Zumindest ein bisschen. Die Freundesgruppe ist zwar angewachsen, auf etwa ein Dutzend, aber eine 26-jährige Pädagogikstudentin sagt: „Schon anders irgendwie. Die Untere Brücke wäre jetzt eigentlich voll.“Ist sie an diesem Abend nicht. Die Regeln der Stadt helfen, bestätigt auch die örtliche Polizei.
„Hier ist kein Sperrgebiet“, sagt der Barkeeper des Freiraum zur Begrüßung. Die Bar liegt am Rande der Altstadt, lässiger Swing, Kicker in der Ecke, Fritz-Cola, studentisch eben. Aber auch ohne freien Tisch. Also bleiben nur Stehbier fünf, sechs und Mojito eins auf der Parkbank gegenüber. Léna gefällt es. Club muss nicht sein: „Man gewöhnt sich dran. Solange Bars aufhaben, das Wetter gut ist und man sich raussetzen kann“, sagt sie.
„Die Leute finden einen Weg“, meint Tobias. Sein Instagram-Profil ist ein Best-of Reisen und Partys. 8. Juli 2018: Sechs Jungs trinken unter einem Pavillon Dosenbier. SplashFestival in Sachsen. Scheint eine Ewigkeit her zu sein.
Die Feiernden suchen nach Ausflüchten. Und die können ganz verschiedene Formen annehmen. „Ich fahre Leute jetzt viel öfter auf Privatpartys“, erzählt eine langjährige Taxifahrerin. In Augsburg etwa feierte die Branche schon im März digital via Livestream. In Ingolstadt können sich Discobetreiber seit Neuestem um Konzessionen für reglementierte Freiluft-Partys bewerben. Die Locations stellt die Stadt, geplant sind hohe Parkdecks und alte Festungsanlagen. Im Passauer Raum zog es Jugendliche vermehrt in einen Club über die österreichische Grenze. Die Regeln dort sind laxer. Kein Abstand, eine Zeit lang auch keine Maskenpflicht. Der Betrieb ist mittlerweile eingestellt, berichtet die örtliche Zeitung.
An der Isar in München fängt die
Party gerade erst an. Getränke sollten die Gäste selbst mitbringen. Fast jeder hat Jutebeutel oder Rucksack dabei. Organisator Alex sammelt schon Bierflaschen ein. „Ich muss schauen, dass nicht zu viel Müll am Boden liegt“, sagt er und stellt irgendwann die Musikbox mitten auf die Tanzwiese. Nach zwei Stunden Elektro wippen die Beine von selbst. Die Beats werden aggressiver, die Tanzmoves ausgefallener, Arme simulieren Schwimm- und Wellenbewegungen, innige Jungsumarmungen, Marihuana-Duft. Das Publikum ist urban, reicht von Anfang 20 bis Mitte 40: die Projektmanagerin, die Englischlehrerin, der schwedische Student.
Als ein Hubschrauber über den Köpfen kreist, kommt kurz Verunsicherung auf. Erst vor gut einer Woche nahmen die Behörden einen Rave im Perlacher Forst hoch. Gegen
den 41-jährigen Veranstalter ermittelt nun die Münchner Kripo. Seit Wochen klagt man in der Landeshauptstadt über ausufernde Partys an der Isar oder auf dem Gärtnerplatz.
In Innsbruck eskalierte eine Techno-Party Anfang Juli komplett. 1000 Leute auf zwei Tanzflächen. Um 6.30 Uhr kamen Bergwacht und Polizei, weil ein 22-Jähriger eine Alkoholvergiftung hatte. Ende der Party.
„Ich stand in der Menschenmenge und dachte mir: Wenn wir eine zweite Welle bekommen, weiß ich, wo sie anfängt“, sagt Kira, die sich jetzt auch unter die inzwischen etwa 70 Feiernden an der Isar gemischt hat. Alex hat seine Party etwas kleiner gehalten. Generator, DJ-Pult und Strobo-Anlage sind zu Hause geblieben. Die Angst, dass es zu groß, zu unverantwortlich, zu illegal wird, überwog dann doch.
München, Bamberg, Innsbruck. Das sind Party-Hotspots. Aber wie sieht es in der Disco-Diaspora aus? Eine kleine Stichprobe unter Polizeiinspektionen ergibt: Ob in Neuburg
an der Donau, Buchloe oder Treuchtlingen: Alles ruhig, soweit. Keine vermehrten Anzeigen wegen Ruhestörung, keine übergroßen Corona-Partys. „Es hält sich alles im Rahmen. Auf dem Land ist das vielleicht einfacher. Die Leute hier haben einen bestimmten Personenkreis. Vielleicht haben sie eine Hütte, wo sie sich ungestört treffen können. Die Nachbarn sind kulanter“, mutmaßt Ludwig Kreitl, stellvertretender Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Furth im Wald.
Auch in Bamberg haben die Nachbarn noch nicht die Polizei gerufen. Es ist schon fast ein Uhr. Noch zwei Corona Time Sadness, ein fieser Cocktail, erst fruchtigleicht die Erdbeere, dann melancholisch-schwer der Bourbon. „I hate 2020“, ruft Tobias’ Kumpel Olli, bevor er von der Parkbank aufsteht, seine Maske aufzieht und ein letztes Mal ins Freiraum verschwindet.
Endstation: Tobias’ WG um die Ecke, 200 Quadratmeter auf zwei Stockwerke, denkmalgeschützt. Die hohen Decken sind mit eleganten Fresken verziert, die Wände mit Postkarten und Polaroid-Fotos. Geraucht werden darf natürlich.
Es folgt eine musikalische Weltreise: Elektro auf Afrikaans, russischer Pop, Bier sieben, amerikanischer Country, Tokio Hotel, Bier acht, Herbert Grönemeyer, kurz vor 5 Uhr, der nächste Tag kündigt sich schon graublau an, der Zigarettendunst beißt im Auge, Feierabend. Auch während Corona sind die Nächte lang.
„Es gibt fast keine Möglichkeiten mehr“, sagt Kira auf dem Rave in München. „Deshalb nimmst du alles wahr, was irgendwie geht. Nach dem ganzen Trubel der Corona-Zeit ist es halt auch ein Ventil, gute Musik zu haben, zu tanzen und ein bisschen loszulassen.“
Um kurz vor zwei in der Nacht dreht Alex, inzwischen sichtlich mitgenommen, die Box ab. Die Staatsgewalt ist nicht gekommen. Das Versprechen seiner Einladung („Rave bis Polizei“) hat Alex damit nicht eingehalten. Aber man muss es während einer Pandemie ja auch nicht übertreiben.
Einer fragt:
„Zwei Stehbier – geht das?“
Endstation: eine WG auf 200 Quadratmetern