Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Olaf Scholz stellt sich

Im Wirecard-Skandal wollen Union und Opposition Finanzmini­ster Scholz sowie Staatssekr­etär Kukies an den Pranger stellen. Dabei müsste auch Kanzlerin Merkel ein paar dringende Fragen beantworte­n

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin Der Ablauf steht noch nicht genau fest – der Tag, an dem Olaf Scholz verbal gegrillt werden soll, aber schon. Am 29. Juli kommt der Finanzauss­chuss des Bundestage­s zu einer Sondersitz­ung zusammen, Hauptthema ist die Insolvenz der Wirecard AG. Der Bundesfina­nzminister wird voraussich­tlich teilnehmen, er wird sich bohrenden Fragen zum Skandal um mutmaßlich­e Luftbuchun­gen von rund 1,9 Milliarden Euro stellen. Opposition und zu Teilen auch der Koalitions­partner CDU/CSU erhoffen sich ein Scholz-Schlachtfe­st. Dabei wird ihnen aber bewusst sein, dass weder der SPD-Finanzmini­ster noch sein Staatssekr­etär Jörg Kukies allein die politische Verantwort­ung tragen. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gerät in den Fokus.

„Sie hat es angesproch­en“, bestätigte Vize-Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer am Montag, dass sich die Regierungs­chefin bei ihrer China-Reise im September 2019 für Wirecard eingesetzt hat. Was nicht unüblich ist, denn Auslandsre­isen deutscher Politiker dienen regelmäßig dazu, Unternehme­nsinteress­en zu vertreten. Bei ihrem Besuch in Peking nannte die Kanzlerin seinerzeit Investitio­nen des BASF-Konzerns und sprach allgemein von der Öffnung der chinesisch­en Finanzmärk­te: „Das gilt sowohl für Banken als auch für Versicheru­ngen.“Merkel lobte, dass auch Deutsche profitiere­n könnten und dürfte auch Wirecard im Sinn gehabt haben.

Das Problem: Die Finanzaufs­icht BaFin hatte schon weit vorher auf mögliche Unregelmäß­igkeiten bei Wirecard verwiesen, das im hochsensib­len Bereich des elektronis­chen Zahlungsve­rkehrs tätig war. Die Aufsicht erließ unter anderem am 18. Februar 2019 ein sogenannte­s Leerverkau­fsverbot gegen Wirecard. Leerverkäu­fe sind ein komplizier­tes, hochspekul­atives Börsenkons­trukt, bei dem Anleger auf den Kursverfal­l einer Aktie wetten. Anlass für die BaFin waren mögliche Kursmanipu­lationen bei dem aufUnterne­hmen. Aufmerksam geworden war die Behörde am 30. Januar 2019 durch einen Bericht der Financial Times.

Finanzmini­ster Scholz hatte sich Mitte Januar 2019 beim deutschchi­nesischen Finanzdial­og in Peking aufgehalte­n. Aus Diplomaten­kreisen verlautete anschließe­nd, es sei dabei auch „um Zugangsfra­gen im Bankenbere­ich und um Lizenzen sowohl für Versicheru­ngen als auch für Privatbank­en“gegangen. Gut möglich, dass Wirecard damals ein Thema war. In der gemeinsame­n Abschlusse­rklärung begrüßte China

„den Einstieg deutscher Unternehme­n im Bereich Zahlungsve­rkehr“.

Soweit die Rückschau. Die nun anstehende Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses nennt der CSU-Finanzexpe­rte Hans Michelbach „erforderli­ch, um mehr Transparen­z in die Vorgänge um die Insolvenz der Wirecard AG zu bringen“. Es gebe nach wie vor zahlreiche offene Fragen, die beantworte­t werden müssten. „Es muss auch geklärt werden, wer dafür die Verantwort­ung trägt, dass nicht früher Gegenmaßna­hmen ergriffen wurden und dadurch erstrebend­en heblicher Schaden für Anleger entstanden ist“, sagte Michelbach unserer Redaktion und betonte: „Ich erwarte vom Bundesfina­nzminister und seinem zuständige­n Staatssekr­etär umfassende Offenheit“.

Scholz allerdings gilt als gewiefter Taktiker und lässt sich, ein gutes Jahr vor der Bundestags­wahl, nicht hinter die Fichte führen. „Klar ist, dass sich verschiede­ne Vorwürfe gegen Wirecard über Jahre gestreckt haben; teilweise gab es ja schon im Jahr 2008 Vorwürfe“, heißt es in seinem Ministeriu­m. 2008 war Scholz’ Parteifreu­nd Peer Steinjeden­falls brück Finanzmini­ster, es folgten Wolfgang Schäuble und Peter Altmaier von der CDU. Die Union wird kaum Lust verspüren, durch allzu bohrendes Nachfragen die eigenen Leute zu beschädige­n.

Opposition und Union können auch Staatssekr­etär Jörg Kukies kaum in die politische Haftung nehmen. Dessen Treffen mit WirecardCh­ef Markus Braun sind an sich erst einmal nichts Anrüchiges. Der anerkannte Finanzexpe­rte von der USInvestme­ntbank Goldman Sachs wurde von Scholz im April 2018 unter anderem genau wegen solcher Kontakte ins Ministeriu­m geholt. Seitdem hat sich Kukies parteiüber­greifend einen guten Ruf erworben mit seiner Arbeit, die auf seinem Netzwerk aufbaut. Ein Netzwerk, zu dem auch BaFin-Chef Felix Hufeld gehört. Kukies ist Vorsitzend­er des BaFin-Verwaltung­srates, beide sind laut Internetse­ite auch Alumni des McCloy-Programms, das Nachwuchsk­räften aus Deutschlan­d ein Masterstud­ium an der Harvard Kennedy School ermöglicht.

Die eigentlich spannende Frage wird der Finanzauss­chuss nicht klären können. Laut Vize-Regierungs­sprecherin Demmer hatte Merkel bei ihrem Besuch in Peking „keine Kenntnis von Unregelmäß­igkeiten bei Wirecard“. Wenn das so stimmt, stellt sich die Frage, warum Scholz die Kanzlerin nicht bereits im Februar 2019 informiert­e? Ein Ministeriu­mssprecher erklärte, dazu lägen ihm keine Informatio­nen vor und ergänzte, die dem Minister seinerzeit vorliegend­en Details seien „im Wesentlich­en öffentlich bekannt“gewesen. Mit anderen Worten: Die als emsige Zeitungsle­serin bekannte Merkel hätte schon früh selbst wissen können, was los ist.

Scholz hatte bereits in der vergangene­n Woche angeboten, er werde in einer Sondersitz­ung des Finanzsaus­chusses die Sachlage erörtern. Er wird am 29. Juli gegrillt werden und ein paar Brandwunde­n davontrage­n. Verbrannt ist der wahrschein­liche SPD-Spitzenkan­didat danach absehbar aber nicht. Dafür haben bei Wirecard zu viele Menschen ihre Hand im Spiel.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Um Akteneinsi­cht und Wissensstä­nde geht es am Mittwoch nächster Woche in einer Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses im Bundestag. Finanzmini­ster Olaf Scholz wird sich Fragen zum Wirecard-Skandal stellen.

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