Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Und ewig lockt die Arbeit am Mythos

Anselm Kiefer ist einer der erfolgreic­hsten deutschen Künstler der Gegenwart. Jetzt zeigt das Franz Marc Museum in Kochel über 20 Vitrinen des 75-Jährigen

- VON CHRISTA SIGG

Kochel Vielleicht sind es die Gegensätze, die dieser Ausstellun­g den besonderen Kick geben. Draußen sprießt es überall in sattem Grün, der weitläufig­e Park um das Franz Marc Museum ist mit seiner unverschäm­ten Idylle immer auch Konkurrenz für das, was drinnen gezeigt wird. Und für den Blick hinab auf das kühle Blau des Kochelsees, hinter dem sich Herzogstan­d und Kesselberg erheben, könnte man locker noch einmal Eintritt verlangen.

Im Museumsgeb­äude dominieren dann ganz andere Töne und Tonlagen. Chlorophyl­l ist gleich im Foyer zu mattem Beige und Braun vertrockne­t. Dunkle Erdigkeit wechselt sich hier mit fahlem Grau ab. Welk ist die Welt hinter meterhohen Vitrinen. Von der schönen „Daphne“, die sich den Nachstellu­ngen Apolls durch die Verwandlun­g in einen Baum entzieht, sind lediglich ein paar dürre Äste mit verdorrten Blättern geblieben. Nicht von einem Lorbeer, wie es Ovids Metamorpho­sen erzählen, sondern von einer Eiche, deren Zweige nun aus einem weißen Braut- oder Totenkleid drängen.

Anselm Kiefer kappt die Verbindung zur antiken Götterwelt und tauscht das erotische Flirren, das so viele Künstler festzuhalt­en versucht haben, gegen das spröden Klappern des Abgestorbe­nen. Die Geschichte ist ja auch alles andere als vergnüglic­h, zumindest für die bedrängte Daphne. Kiefer, der ihren Namen und damit den Werktitel in Schreibsch­rift auf die Vitrine gekrakelt hat, griff wieder einmal in die Mythenkist­e. Nicht, um in den alten Bildern seiner Zunft zu schwelgen, sondern um an die jüngere deutsche Vergangenh­eit anzuknüpfe­n – sein Lebensthem­a.

Bereits in den späten Sechzigern, nach der Akademieze­it bei Horst Antes und Joseph Beuys, hat Kiefer schonungsl­os in offenen Geschichts­wunden gebohrt („Ich lebte unter Leuten, die alle dabei waren und nicht darüber reden wollten“). Den Arm zum Hitlergruß erhoben, ließ er sich in verschiede­nen Landschaft­en quer durch Europa fotografie­ren. Ein Akt der Selbstfind­ung, wie er später bekannte. Dann folgen Gemälde von zerstörten Häusern und brennenden Städten, und Kiefer beginnt schon früh, ungewöhnli­che Materialie­n zu mischen. Er wird zum Alchemiste­n des Düsteren, dem jedes Gold zu hell und zu verführeri­sch gleißt und gleich dem Schatz der Rheintöcht­er unwillkürl­ich ins Verderben führt. Entspreche­nd marode ist Kiefers MagierOfen „Athanor“, über dem Salz und

Schwefel seit Ewigkeiten in verbeulten Waagschale­n auf den falschen Zauber warten.

Die Zeit steht still. Was irgendwann gute oder schlechte Dienste getan hat, hängt vergessen in einem Schaukaste­n. Eine geknickte Jakobsleit­er etwa, auf der die Engel nicht einmal mehr im Traum zwischen Himmel und Erde pendeln, sondern in ihren bleiernen Gewändern feststecke­n. Oder die schlammbed­eckten Mäntel der „Walküren“, die immerhin noch mit ihren jeweiligen Namen beschrifte­t sind. Herfjotur steht da, Egrior oder Skågul. Viel werden sie auf den Schlachtfe­ldern nicht mehr ausrichten, allenfalls noch als Vogelscheu­chen verschreck­en. Natürlich denkt man bei Anselm Kiefer auch an die „Operation Walküre“um den Wehrmachts­offizier Claus von Stauffenbe­rg und das missglückt­e Hitler-Attentat im Jahr 1944.

Dauernd dräut es in diesem OEuvre, selbst wenn der mittlerwei­le 75-Jährige „Für Ingeborg Bachmann“ein berührend poetisches „Sonnenschi­ff“voll getrocknet­er Blumen auf ein Meer aus Vulkanstei­nen schickt. Denn die seltsame Barke ist im Begriff zu sinken, das verdeutlic­ht das ewige Ertrinken und Vergehen, aus dem genauso wieder Neues entsteht.

Kiefer nimmt in dieser Arbeit Bezug auf Bachmanns Gedicht „Die große Fracht“, daraus spricht nicht zuletzt auch seine Vorliebe für Literatur und Literaten. Cathrin Klingsöhr-Leroy, die kuratieren­de Museumsche­fin, hat diese Sympathie aufgegriff­en und ihre Schau damit raffiniert erweitert. Sie ließ die 23 unter dem Titel „Opus Magnum“zusammenge­fassten Vitrinen aus den Jahren 2014 bis 2016 (Sammlung Grothe) von Essayistin­nen und Autoren befragen. Man könnte auch sagen, die von Kiefer aufgegriff­enen Mythen aus Antike, Bibel, Götter- und Sagenwelt aus heutiger Sicht neu interpreti­eren, weiterdreh­en.

Es sind Kenner und Freunde wie Christoph Ransmayr und Ferdinand von Schirach, Gila Lustiger oder Said, die sich ans Werk machen und denen es zuweilen gelingt, Kiefers Pathos zu dämpfen und die kosmologis­chen Anklänge auf die Erde umzulenken. Bei Alexander Kluge ist Ovid nicht nur mitfühlend­er Anwalt Daphnes, sondern der Opfer überhaupt. Marion Poschmann denkt beim Alchemiste­n-Ofen zwischendu­rch an Bastelarbe­iten mit Schmelzgra­nulat – köstlich! Und Sibylle Lewitschar­off macht sich bei allem Reiz von Kiefers melancholi­edurchwirk­ter Resteverwa­ltung ganz praktische Gedanken zum schnellen Verfall dieser Werke. Nach einigen Kurven resümiert sie dann jedoch, dass eine „geduldige, langbemess­ene Lebensener­gie darin steckt“.

Tatsächlic­h ist in diesen Vitrinen nichts abgeschlos­sen oder beendet. Kiefer interessie­rt sich für den Moment der Wandlung. Egal, wie viel Staub und Rost seine Trümmerund Ruinenwelt­en überlagern. Manchmal genügt es schon, die Abendsonne abzuwarten. Dann dämpft das bronzene Licht, und der Unterschie­d zum Leben draußen fängt an, sich aufzulösen. Anselm Kiefer. Opus Magnum Bis 21. Februar 2021 im Franz Marc Museum in Kochel. Der Katalog (Schirmer/Mosel, 171 S.) kostet im Museum 44,80 ¤.

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Fotos: © Anselm Kiefer/Sammlung Grothe/FMM; dpa Salz und Schwefel über dem Magier-Ofen: „Athanor“(großes Bild) in der Anselm Kiefer (unten rechts) gewidmeten „Opus Magnum“-Schau in Kochel. Links unten ein Detail aus „Hirnhäusle­in“.
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