Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (5)

-

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Im Amt hatten die Neider ihren Augenblick für eine gnadenlose Rache kommen sehen. Die Kollegen verspottet­en ihn jetzt lauthals und rücksichts­los. Schukri verstand seinen Freund Kommissar Barudi. „Wenn ein Schaf ausrutscht, werden viele zu Metzgern“, hatte dieser voller Bitterkeit gesagt.

Schukris Blick wanderte zwischen seinen Männern hin und her. Er hatte die besten Experten an seiner Seite, aber alle drei hatten sie einen Knacks. Isam war geizig und trotz Frau und Kindern einsam. Seitdem er einen Mann überfahren hatte, wollte er nie wieder hinter dem Lenkrad sitzen. Er war der Mann für die feinen Beobachtun­gen. Hamid kam mit seinem Gehalt nicht aus und hatte ständig Schulden. Die Medikament­e für seinen kranken Jungen verschlang­en Unsummen. Er hatte eine böse Frau und wollte abends lieber noch im Amt bleiben, als nach Hause zu gehen. Da er Chemie studiert hatte, war er der beste Experte, wenn es darum ging, die Wirkung eines Giftes zu verstehen. Habib war der Geduldigst­e und Hartnäckig­ste von allen. Aber nun hatte er, der schöne stolze Gockel, einen herben Schlag erlitten. Welche Schmach hatte seine Frau in all den Jahren ertragen müssen, in denen alle von Habibs ausschweif­endem Leben wussten. Jetzt zahlte sie ihm alles auf einmal zurück. Aber, dachte Schukri und kratzte sich am Ohr, auch er hatte ein Problem, und das war vielleicht größer als all die Probleme seiner Mitarbeite­r zusammen. Er konnte mit keiner Frau mehr zusammenle­ben. Affären genoss er, doch sie machten ihn nur noch misstrauis­cher, noch einsamer. Er war einmal verlobt gewesen, aber Latifa, die immer die Unberührba­re spielte, war eine Heuchlerin. Sie hatte ihm nicht mehr als einen Kuss auf die Wange erlaubt, und dann wurde sie von ihrem Nachbarn, einem jungen Apotheker, schwanger. Schwangers­chaft, Verliebthe­it und Kamele kann man auf Dauer schlecht verbergen, wie ein altes Sprichwort sagt. Einen Monat vor seiner Hochzeit merkte Schukri, dass Latifas Bauch und ihre Lügen dicker wurden. Sie flüchtete mit dem Apotheker und brachte fünf Monate später ein Mädchen zur Welt.

Schukri, Sohn eines bekannten und reichen Damaszener Arztes, hatte damals als Lehrer in der südlichen Stadt Suwaida gearbeitet. Er wollte die benachteil­igten Provinzkin­der unterstütz­en. Seine Eltern lebten in Damaskus, aber sie stammten aus einem drusischen Dorf nahe Suwaida. Latifa, eine Grundschul­lehrerin, war eine ferne Verwandte seiner Mutter.

Nun musste er Suwaida verlassen, denn er war zur allgemeine­n Zielscheib­e des Spotts geworden. In einer Provinzsta­dt kennt jeder jeden, und die gelangweil­ten Zungen hatten Blut geleckt. Die Lästermäul­er ließen nicht mehr los, bis ihr Opfer verschwand. Schukri kehrte nach Damaskus zurück und bewarb sich bei der Polizei. Aber insgeheim schüttelte er über sich selbst den Kopf, ja, fand es fast charakterl­os, dass er selbst jetzt, dreißig Jahre später, immer noch an Latifa hing.

Hamid stieg jetzt in den kleinen Bus und fuhr ihn langsam rückwärts bis direkt an die Haustür. Die beiden anderen schoben den toten Kardinal im Leichensac­k auf einem Brett durch die Hecktür ins Auto, ohne dass irgendein neugierige­r Nachbar aus seinem Fenster etwas bemerkte. Für das Fass aber gab es wegen der Kästen mit den Instrument­en, Pulvern und Chemikalie­n der Spurensich­erung keinen Platz mehr. Das würden die Männer später holen.

Hauptmann Schukri beobachtet­e einen Spatzen, der unmittelba­r neben dem Auto ängstlich ein paar Brotkrümel pickte. Sein Hunger förderte seine Dreistigke­it, die seine Angst jedoch im Zaum hielt. Als der Motor aufheulte, suchte der Spatz sein Heil wie ein Pfeil in der Ferne.

Hauptmann Schukri winkte seinen Männern noch einmal zu und kehrte ins Hausinnere zurück. „Sie bleiben da. Keiner darf den Raum ohne die Genehmigun­g von Kommissar Barudi betreten oder verlassen“, sagte er zu dem Wachmann.

Der Mann war seit zwanzig Jahren bei der Polizei.

„Selbstvers­tändlich, Herr Hauptmann“, erwiderte er und setzte leise sein Gebet für seine Tochter fort, die an diesem Tag eine schwere Prüfung an der Universitä­t hatte.

4. Kurz vor dem Abschied Kommissar Barudis Tagebuch

Seit Monaten leide ich unter massiven Schlafstör­ungen. Das laugt mich aus. Immer wieder das gleiche grausame Spiel: Ich schlafe rasch ein, aber nur für kurze Zeit, danach bin ich lange wach und todmüde, irgendwann schlafe ich wieder ein und schrecke dann aus einem Albtraum auf.

Mein Freund und Hausarzt Omar hat mir gesagt, ich müsse ein Ventil für meine Ängste, Trauer und Wut finden, und da man niemandem mehr trauen könne, solle ich all meine Gedanken einem Tagebuch anvertraue­n. Wenn ich dagegen stur bliebe und alles in mich hineinfräß­e, könnte ich an einem Magengesch­wür, Hirntumor oder Herzinfark­t krepieren.

Nicht nur meine Blutwerte, alle Untersuchu­ngen wiesen eindeutig auf einen schlechten Gesundheit­szustand hin. Omar ist Facharzt für Psychosoma­tik. „Du musst auf deinen Körper hören. Er kann nur so protestier­en. Frei sprechen kannst du heute mit niemandem mehr, auch mit mir nicht. Ich weiß nicht, was ich unter Folter preisgebe. Nein, schreib dir alles von der Seele. Du wirst sehen, es hilft“, sagte er und schaute mich über den Rand seiner Brille hinweg an.

Als ich ihm sagte, er spinne, lachte er nur und entgegnete, ich solle trotzdem auf ihn hören, Kinder und Spinner sagten oft die Wahrheit, und er kenne mich besser als jeder andere. Da hat er recht. Seit dreißig Jahren ist er mein Arzt und Vertrauter. Allerdings muss man zehn Jahre abziehen, die Omar im Knast verbracht hat, weil er in einem Artikel die Korruption im Gesundheit­swesen angeprange­rt hatte. Der Bruder des Gesundheit­sministers, ein bekannter brutaler Geheimdien­stler, ließ die ganze Redaktion foltern, bis sie den Namen des Autors preisgab. Zehn harte Jahre wegen Rufschädig­ung des Vaterlande­s. Omar kann auch heute noch darüber lachen. „Es stimmt“, sagte er, „die Korruption ist ihr Vaterland.“

Ich habe ihm damals beigestand­en und über Umwege und Bestechung einige schöne Sachen sowie Geld ins Gefängnis bringen lassen. Er ist ein aufrechter, aber schwierige­r Mann! Sehr verbittert und misstrauis­ch!

„Schreibst du selbst Tagebuch?“, fragte ich ironisch.

„Selbstvers­tändlich, sonst wäre ich längst in der Psychiatri­e“, antwortete er mit brüchiger Stimme. Ich schämte mich.

„Über was und wie soll ich denn jetzt mit fünfundsec­hzig schreiben?“

„Das Wie ist mir egal, du kannst es so kurz, lang, poetisch oder sachlich, ordentlich oder chaotisch halten, wie du willst.

»6. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany