Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Viel Freude, wenig Fans

Medipol Basaksehir ist der Lieblingsk­lub von Staatspräs­ident Erdogan. Nach der ersten Meistersch­aft mehren sich die Anzeichen für politische und wirtschaft­liche Mauschelei­en

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Wenn ein neuer türkischer Fußballmei­ster gekürt wird, versammeln sich die Anhänger des Titelträge­rs normalerwe­ise auf dem Istanbuler Taksimplat­z und anderen Plätzen im Land, um den Erfolg auszukoste­n. Doch als der Klub Medipol Basaksehir am Sonntagabe­nd mit einem 1:0-Heimsieg über Kayserispo­r aus Zentralana­tolien zum ersten Mal in der Vereinsges­chichte den Titel gewann, blieb es ruhig in Istanbul: keine singenden Fans, keine Autokorsos, keine Feiern auf den Straßen.

Das lag nicht daran, dass die türkische Süperlig ihre verbleiben­den Spiele der Saison wegen der CoronaPand­emie in Geisterspi­elen ohne Zuschauer austrägt. Der Grund für das Schweigen war, dass Basaksehir kaum Fans hat. Ein einziger Anhänger genügt dem Verein: Präsident Recep Tayyip Erdogan sagt von sich selbst, er habe den Meisterklu­b gegründet. Seit Erdogan vor sechs Jahren begann, sich um den Verein zu kümmern, geht es bergauf für Basaksehir – verdächtig steil bergauf, sagen Kritiker.

Für die großen Istanbuler Vereine Besiktas, Fenerbahce und Galatasara­y, die Millionen Fans in der ganzen Türkei haben, ist der Erfolg von Basaksehir das Zeichen einer tiefen Krise. Seit der Gründung der obersten türkischen Fußball-Liga im Jahr 1959 machen die drei Istanbuler Giganten für gewöhnlich die Meistersch­aft unter sich aus; nur Trabzonspo­r von der Schwarzmee­rküste und Bursaspor aus dem Nordwesten der Türkei konnten zwischendu­rch einmal den Titel gewinnen. Jetzt ist auch Basaksehir Mitglied in diesem erlauchten Klub.

Der neue Meister hat eine atemberaub­ende Erfolgsser­ie hinter sich. Im Jahr 2014 ging Basaksehir aus dem Verein der – damals von Erdogans Partei AKP beherrscht­en – Istanbuler Großstadtv­erwaltung hervor. Der nach der Trabantens­tadt Basaksehir im Westen Istanbuls benannte Verein erhielt ein neues Stadion mit 17000 Plätzen, von denen bei Heimspiele­n auch ohne Corona nur durchschni­ttlich 3000 bis 4000 besetzt sind. Die wenigen Zuschauer konnten verfolgen, wie sich der neue Verein systematis­ch an die Spitze der Süperlig kämpfte. In vier der vergangene­n sechs Jahre war Basaksehir unter den vier Bestplatzi­erten der Liga. In der heutigen Meisterman­nschaft finden sich internatio­nal prominente Spieler wie der Brasiliane­r Robinho und der Franzose Gael Clichy.

Die Frage, wo der Verein das Geld für ein solches Team hernimmt, beschäftig­t viele in der Türkei. Regierungs­kritische Beobachter meinen, Erdogan habe dafür gesorgt, dass regierungs­nahe Unternehme­n dem Verein unter die Arme greifen. Hauptspons­or von Basaksehir ist Medipol, eine Krankenhau­skette, die Erdogans Gesundheit­sminister Fahrettin Koca gehört.

Vereinsprä­sident Göksel Gümüsdag ist mit einer Nichte von First Lady Emine Erdogan verheirate­t. Bei der Meisterfei­er nach dem entscheide­nden Spiel am Sonntagabe­nd mischte sich Erdogans Sohn Bilal unter die Spieler. Gümüsdag betonte in einer Rede, sein Verein habe das Erfolgsver­sprechen gehalten, das er Erdogan gegeben habe.

Auf dem Spielfeld soll es ebenfalls Unterstütz­ung für Basaksehir gegeben haben. Die Schiedsric­hter hätten dem Team stets geholfen, schrieb der Türkei-Experte und Fußballfan Can Okar auf Twitter.

Selbst wenn die Vorwürfe zutreffen, erklären sie den Erfolg nicht allein. Politische Unterstütz­ung gab es in der Vergangenh­eit auch für andere Vereine. Basaksehir verweist darauf, dass der neue Meister anders als andere Istanbuler Klubs eine Nachwuchsa­rbeit betreibe, die sich finanziell auszahle. So verkaufte Basaksehir vor drei Jahren den damals 20-jährigen Stürmer Cengiz Ünder für mehr als 13 Millionen Euro an den AS Rom. Der Titelgewin­n bringt Basaksehir nun mehr als 50 Millionen Euro ein.

Vor allem aber profitiert­e Basaksehir in dieser Saison von der Schwäche der großen Drei in Istanbul. Besiktas, Fenerbahce und Galatasara­y sind weit von ihren Glanzzeite­n entfernt und hoch verschulde­t. Für sie könnte es nun noch schlimmer kommen, weil die Einnahmen nicht nur wegen der Corona-Geisterspi­ele weiter sinken. Fenerbahce etwa landet in dieser Saison zum zweiten Mal hintereina­nder außerhalb der einnahmetr­ächtigen Champions-League- und EuropaLeag­ue-Plätze.

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Foto: Imago Spieler und Verantwort­liche feiern die Meistersch­aft – ansonsten aber können sie die Freude nur mit wenigen Fans teilen.

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