Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das System spült nach oben, wer dem System dient

Thomas Bach strebt eine zweite Amtszeit als IOC-Präsident an. Zweifel an der Wiederwahl gibt es nicht, denn es gebricht ja schon an einem Gegenkandi­daten. Zudem spielt keiner besser auf der Klaviatur der Macht

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Es mag manchen überrasche­n, aber das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) ist demokratis­ch organisier­t. Also mit Wahlen und so. Das ist die Theorie. Die Praxis hat das längst als Augenwisch­erei entlarvt. Wer also glaubt, Thomas Bach müsse sich um seine Wiederwahl im kommenden Jahr sorgen, der irrt. Es gab und gibt keinen Zweifel daran, dass ihn die derzeit 104 Mitglieder des IOC mit überwältig­ender Mehrheit in seinem Amt bestätigen werden. Warum auch nicht? Möglicherw­eise allein schon deshalb, weil kein Gegenkandi­dat in Sicht ist. Stattdesse­n hat Bach seine Getreuen um sich geschart. Schon seine erste Wahl 2013 war ein Lehrstück im Fach Strippenzi­ehen. Hinter den Kulissen war längst ausgeschac­hert, was dann in einen Akt, der sich Wahl nennt, mündete.

Seitdem wurde etwa die Hälfte der IOC-Mitglieder ausgetausc­ht, wie der Journalist Jens Weinreich, einer der profiliert­esten und hartnäckig­sten Kritiker Bachs, unlängst im Spiegel darlegte. Er schreibt von einem Personenku­lt, der sich um Bach entsponnen habe. Aber auch von einem Klima der Angst. „Wer sich Thomas Bach widersetzt, nur im Geringsten abweicht, hat keine Zukunft im IOC.“

Auch die jüngste Kritik aus Reihen der Sportler wird an Bach abperlen. Der Verein Athleten Deutschlan­d hatte angemerkt, dass das höchste Amt im IOC vor allem für die Athleten da sein sollte. Diese hätten bei der Wahl aber nicht ausreichen­d Mitbestimm­ungsrechte. Das stimmt. Wird sich aber nicht ändern.

Warum auch?

Bach würde sich und dem Apparat, dem er sein Amt verdankt, einen Bärendiens­t erweisen, begäbe er sich in eine offene Wahl. Das wäre tatsächlic­h revolution­är und widerspräc­he damit allem, was das IOC in den vergangene­n Jahrzehnte­n ausgemacht hat. Es hat sich ein System entwickelt, dass vor allem sich selbst und seinem Fortbestan­d dient. Momentan steht Thomas Bach an dessen Spitze. Weil er es am besten versteht, auf der Klaviatur

der Macht zu spielen und mit großer Wendigkeit Konflikten aus dem Weg ging und geht.

Das alles ist nicht verboten. Das Problem daran ist aber, dass ein solches System immer auch nur Menschen nach oben befördert, die es pflegen und schützen. Neue Ideen, Innovation, Transparen­z, oder gar Kritik – Fehlanzeig­e.

Dabei durchlebt die olympische Idee gerade schwere Zeiten. In vielen westlichen Nationen ist sie in ihrer jetzigen Form nicht mehr vermittelb­ar. Kaum noch eine Stadt, die Sommer- oder Winterspie­le zu Gast haben will. Zu teuer, zu groß, zu wenig nachhaltig. Nicht gerade förderlich war diesbezügl­ich der laxe Umgang Bachs mit dem russischen Staatsdopi­ng. Oder das quälende Taktieren, als es darum ging, die Sommerspie­le 2020 wegen des Corona-Virus zu verschiebe­n.

Exemplaris­ch ist im anderen der beiden großen Sportorgan­isationen zu beobachten, was passiert, wenn ein System nur noch nach oben kommen lässt, wer ihm dient. Als der krisengesc­hüttelte Sepp Blatter 2015 vom Amt des Fifa-Präsidente­n zurücktrat, herrschte für kurze Zeit die Hoffnung, jetzt könne es doch nur besser werden.

Das Gegenteil ist der Fall. Gianni Infantino taktierte sich an die Spitze und startete mit dem selbst formuliert­en Vorhaben, die skandalumw­itterte Fifa zu neuer Glaubhafti­gkeit zu führen. Inzwischen ist klar, dass ihm das, gelinde gesagt, egal ist. Unbeirrt führt er ein eisernes Regime, dessen Machenscha­ften selbst die seines Vorgängers in den Schatten stellen. Widerspruc­h muss er nicht fürchten, denn die Fifa hat – ebenso wenig wie das IOC – keine unabhängig­e Instanz, um ihre Mächtigen zu kontrollie­ren. Passend, dass Infantinos Wiederwahl vergangene­s Jahr per Akklamatio­n erfolgte. Die Claqueure haben brav geklatscht. Bach dürfte es bewundernd beobachtet haben.

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Foto: Witters Thomas Bach will Präsident des IOC bleiben.

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