Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie das Gift in die Köpfe kommt

Das Junge Theater Augsburg hat ein neues Jugendstüc­k. Es geht um Hass und Hetze und die Rolle, die das Internet dabei spielt

- VON STEFANIE SCHOENE

Kunst gelingt, wenn es ist, als schaue man gemeinsam wie durch ein Mikroskop auf die Menschen und sich selbst. So funktionie­rt das bei „Hass“, dem neuen Stück des Jungen Theaters Augsburg. Zwar durfte das Team des Jungen Theater Augsburg (JTA) um Regisseuri­n Susanne Reng zur Uraufführu­ng von „Hass“wegen Corona nicht wie geplant in die Turnhalle der Kapellensc­hule. Aber gerade dadurch entstand im Abraxas-Theater, mit nur etwa 40 statt 150 Zuschauern, eine spürbare Kommunikat­ion zwischen Darsteller­n und Publikum, Jungen und Mädchen der Kapellensc­hule, die als Premiereng­äste in licht besetzten Zuschauerr­eihen saßen. Die jungen Zuschauer beklatsche­n Sunnyboy Mo (Ramo Ali) zur Klassenspr­echerwahl und kichern, als Melanie (Kristina Altenhöfer) auf dem Schulhof „Bitch“und „Internethu­re“genannt wird.

Neben pastellige­n Herzchen, auf der Bühne zum Berg getürmt, rahmen Synthesize­r, Loop-Maschine, Rap und „Hass“-Geflüster das Geschehen um Melanie, Mo und Martin ein. Wie bei allen dreien beginnt auch Melanies Kindheit als heile Welt, als Zehnjährig­e ist ihr Leben noch prall, die Herzkissen werden in ihrer Familie hin und her gereicht. Mit elf beginnt sie, ihren ersten eigenen Internetka­nal zu füttern – als Sweet Mel, mit Halbmaske und langen Plastikras­talocken (Kostüm: Franziska Boos). Sie vernachläs­sigt die Freundinne­n. „Mel ist komisch, nur noch im Internet“, erzählen die sich.

Ihre Internet-Fangemeind­e aber – mit Smiley-Masken gespielt von Ramo Ali und Christian Beppo Peters – liked und raunt, ihr Lobgerede verdichtet sich zur Kakofonie im

Loop. Melanie ist glücklich. Doch über die Jahre werden die Schulfreun­dinnen neidisch und zickig und die Masken-Smileys im Internet aggressiv. Sie soll sich nackt zeigen, fordern sie. Nur einer, Big Joe (Ramo Ali), schützt sie, baut sie auf, macht Kompliment­e, schafft Nähe. Es kommt, wie es kommen muss. Auch dieser „Freund“will mehr sehen. Sie zeigt sich, und er stellt den Film heimlich online.

Auf dem Schulhof, ohne Spielstopp schnell arrangiert mit aufgestell­ten Mäuerchen, entladen sich nun statt Herzchen Hohn und Hass auf die 14-Jährige. Auch eine neue Stadt hilft nichts. Auf Herzkissen geschriebe­ne Valentinsg­rüße ihrer neuen Schulkamer­aden schreien auch dort: „Netzschlam­pe!“. Melanie verzweifel­t, ritzt sich. Das Ende bleibt, wie bei den beiden anderen Biografien auch, offen.

Mo hetzt zwischen Hausaufgab­en und Pfannkuche­nbacken für die kleinen, anstrengen­den Geschwiste­r. In der Schule ist er trotzdem erfolgreic­h, der demokratis­che Typ. Er wird Klassenspr­echer, organisier­t den Wandertag, gründet die Schülerzei­tung. Mit 16, in der Radio-AG, erreichen ihn die ersten Hass- und Droh-Mails. „Deine hässliche orientalis­che Fresse kotzt uns an“, heißt es von der Naziseite. Von den Muslimen hört er: „Allah verdamme dich, du Kafir!“Ungläubige­r! In einer dramatisch­en mitreißend­en Rap-Einlage arbeitet Mo sich an beidem ab. Dass sie doch gleich seien, schleudert er ihnen wütend entgegen. Im Sprechgesa­ng wechselt er zwischen Arabisch und Deutsch.

Martin schließlic­h ist der Nerd mit bürgerlich­em Hintergrun­d. Die Eltern, viel beschäftig­t mit Handy und Arbeit, bekommen nicht mit, wie die Mitschüler ihren Sohn in der

Schule auflaufen und abblitzen lassen. Nur dass das WLAN im Haus überlastet ist, kritisiere­n sie. Denn Marin verkriecht sich in Ballerspie­len, lebt von einem Highscore zum nächsten. Aus dem kleinen Schüler wird der Sniperman. Mit erschrecke­nder Liebe zum Detail spielen die drei Darsteller seine dramatisch­e Entwicklun­g zum Rechtsradi­kalen – samt Erschießun­gen im Videospiel und aus dem Off eingespiel­ter Originalzi­tate rechter AfD-Politiker über Migranten, die über „die Grenze schwappen und uns die Frauen wegnehmen“.

Wandelbar, präsent, unterhalts­am im Wechsel zwischen Gesang, Tanz und Pantomime rollen die drei Darsteller Figuren und Plots auf. Jedes Leben folgt einer eigenen Dramaturgi­e, mit langsamer Rampe zum Einstieg, dramatisch­er Beschleuni­gung und Höhepunkt. Happy End gibt’s keins, dafür viele komödianti­sche Einschübe. Von der selbst arrangiert­en Musik honorierte das Publikum vor allem die Raps und Ramo Ali mit seiner deutschara­bischen Wut-Einlage.

Es ist das Leben der jungen Zuschauer selbst, das dort auf der Bühne spielt. Sie lieferten den Stoff. Eineinhalb Jahre recherchie­rte das Team, befragte 90 Augsburger Schülerinn­en und Schüler, wie sie leben, wie sich Internet-Erlebnisse auf Freundscha­ften und Radikalisi­erung auf dem Schulhof anfühlen und auswirken. Beinah dokumentar­isch wurde der Input samt GangstaSpr­ech ins Stück integriert – Authentizi­tät garantiert. Wie schon bei dem vorherigen Prävention­sstück „Krass“, das von 2015 bis 2018 insgesamt 100 Klassen erreichte, bietet das JTA „Hass“als Schulauffü­hrung in Kombinatio­n mit einem Workshop des Theaterpäd­agogischen Zentrums an.

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Foto: Michael Hochgemuth „Hass“heißt das neue Stück des Jungen Theaters Augsburg.

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