Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Drogendealer will für BND gearbeitet haben
Einer der größten Rauschgifthändler Augsburgs steht seit Wochen vor Gericht. Dann überrascht der 40-Jährige mit einer ungewöhnlichen Aussage. Das hilft ihm aber nicht: Er wird zu einer längeren Haftstrafe verurteilt
Richard S. (Name geändert) ist ein Mann, der einem nicht groß auffiele, würde man ihm auf der Straße begegnen. In Augsburg, wo er laut Anklage der Staatsanwaltschaft einer der größten Drogendealer der Stadt werden wollte, war er im Milieu auch unter dem Tarnnamen „Marvin“bekannt. Der 40-Jährige hatte sich hier 2018 ein Geschäft im Schwabencenter gekauft und soll hinter der Fassade einen regelrechten Drogenring aufgezogen haben. Es geht in seinem Fall um enorme Mengen Rauschgift, mehrere Kilogramm Heroin etwa. Der Prozess gegen den Mann, der seit Oktober 2018 in U-Haft sitzt, lief bereits seit Wochen, als der Angeklagte zuletzt eine überraschende Aussage tätigte, warum er den Drogenhandel betrieben habe: Er sei V-Mann des deutschen Auslandsgeheimdienstes gewesen. Es half ihm nicht: Am Freitag erhielt er eine langjährige Haftstrafe.
Richard S. schilderte in einem Verhandlungstag in dieser Woche, es sei bei seinem Job als V-Mann etwa um die Aufklärung von Strukturen des Drogenhandels aus dem Ausland gegangen. Eine wilde Geschichte, die umso wilder wäre, sollte sie auch nur ansatzweise stimmen. Der Angeklagte sagte auch, er habe sich regelmäßig mit einem V-MannFührer des Bundesnachrichtendienstes (BND) abgesprochen, und gab vor Gericht auch einen Namen zu Protokoll, unter dem er den Geheimdienstmann gekannt habe. Diesen vielleicht, vielleicht aber auch nicht existierenden Mann wollte die Verteidigung als Zeugen laden. Viel dabei herum kam allerdings nicht: Der Bundesnachrichtendienst gab in einer kurzen Stellungnahme, die Staatsanwältin Saskia Eberle verlas, zu Protokoll, den Angeklagten nicht zu kennen.
Die Staatsanwältin machte deutlich, dass sie die komplette BNDGeschichte für wenig glaubhaft erachte. Weitere Ermittlungen in diese Richtung seien „entbehrlich“, die entsprechenden Anträge der Verteidigung dienten aus Sicht der Staatsanwaltschaft ausschließlich der Verschleppung des Verfahrens. Zwar erinnerte sich ein Zeuge, im Geschäft im Schwabencenter mal einen Anruf von einem Mann bekommen zu haben, der sich als Mitarbeiter des BND vorgestellt habe und Richard S. sprechen wollte. Dies führte aber auch nicht weit – außer zu einem skeptischen Stirnrunzeln der Vorsitzenden Richterin Maiko Hartmann, zumal sich der Zeuge ansonsten an nicht mehr viel erinnerte. Der Anrufer, fragte sie, habe sich also direkt als Mitarbeiter des Geheimdienstes zu erkennen gegeben? Ja, sagte der Zeuge, so sei es gewesen.
Die 14. Strafkammer des Landgerichts lehnte schließlich mehrere Beweisanträge der Verteidiger Mathias Grasel und Nina Atallah ab. Die Frage, ob der Angeklagte für den BND gearbeitet habe, war letztlich nicht viel mehr als ein Kuriosum eines an Außergewöhnlichkeiten ohnehin nicht gerade armen Verfahrens. Der Ton zwischen den Verfahrensbeteiligten wurde zuletzt rauer; der Prozess zog sich hin. Zuletzt stellte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht, der allerdings abgelehnt wurde.
Seit Mai dieses Jahres lief der Prozess gegen den 40-Jährigen. Richard S. war ein ungewöhnlicher Angeklagter. Das Bild des smarten Kriminellen ist ein Klischee, das mit der Realität meist nicht viel gemein hat, der 40-Jährige aber ist eloquent und intelligent. Laut Anklage hatte Richard S. zunächst ab April 2018 größere Mengen Drogen über das Darknet gekauft und zu höherem Preis im Stadtgebiet weiterveräußert. Später soll er direkte Bezugsquellen in den Niederlanden gehabt haben. Richard S. hatte diese Vorwürfe gegen ihn weitgehend eingeräumt, später im Prozess aber seine Aussage dahingehend abgeändert, dass er seine Drogen immer in Deutschland bezogen habe. Angaben zu Hintermännern und Lieferanten machte er konkret nicht. Seinem Wunsch nach einer Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm kam die Staatsanwaltschaft nicht nach.
Zu zwei besonders großen und bereits in die Wege geleiteten Deals, dem Kauf von zwei Kilogramm Kokain und 5000 Ecstasy-Tabletten, kam es laut Anklage nicht mehr – zu dem Zeitpunkt der Abwicklung sei Richard S. bereits festgenommen worden. Die Ermittler hatten einen regelrechten Drogenring gesprengt; im Februar 2019 saßen acht Personen in Untersuchungshaft, die teils auch die Drogenszene am Oberhauser Bahnhof mit Stoff versorgt haben sollen. Nach seiner Festnahme packte Richard S. aus; die Staatsanwaltschaft führte aufgrund der Erkenntnisse des Verfahrens gegen ihn insgesamt 27 weitere Verfahren gegen mutmaßliche Abnehmer. In 14 Fällen davon mussten die Angeklagten später ins Gefängnis, einer von ihnen erhielt eine Haftstrafe von neun Jahren.
Ganz so viel wurde es am Ende für Richard S. nicht. Die 14. Strafkammer verurteilte ihn am Freitag zu acht Jahren und vier Monaten Haft. Verteidiger Mathias Grasel hatte auf eine Haftstrafe nicht über fünf Jahre plädiert, auch wegen der umfangreichen Aussage seines Mandanten. Staatsanwältin Eberle forderte eine Haftstrafe von zehneinhalb Jahren für den Angeklagten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.