Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Pflegeplät­ze werden immer teurer

Soziales Der Eigenantei­l für Altenheime ist so hoch wie nie. Die Politik gerät unter Druck. Experten fordern eine grundlegen­de Reform der Pflegevers­icherung

- VON MARGIT HUFNAGEL UND STEFAN LANGE

Augsburg Die Kosten für Pflegeheim­bewohner und ihre Angehörige­n kennen schon seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Nun überschrit­t der monatliche Durchschni­tts-Eigenantei­l für die stationäre Pflege erstmals die Marke von 2000 Euro. Bayern liegt mit einem durchschni­ttlichen Eigenantei­l von 2018 Euro leicht über dem Mittel der Bundesländ­er. Am meisten zahlen die Menschen in NordrheinW­estfalen mit 2405 Euro im Monat, am wenigsten in Sachsen-Anhalt mit 1436 Euro. Das geht aus den neuesten Daten des Verbands der Ersatzkass­en hervor.

In den Summen ist zum einen der Eigenantei­l für die reine Pflege und Betreuung enthalten. Denn die Pflegevers­icherung trägt – anders als die Krankenver­sicherung – nur einen Teil der Kosten. Die Eigenantei­le, die Bewohner von Pflegeheim­en selbst bezahlen müssen, setzen sich zusammen aus den Kosten für Unterkunft und Verpflegun­g sowie aus der Beteiligun­g an den Investitio­nskosten des Heimträger­s und an den Kosten für die Pflege im Heim. Der Eigenantei­l allein für die reine Pflege stieg im bundesweit­en Schnitt auf 786 Euro im Monat, nachdem es zum 1. Juli 2019 noch 693 Euro gewesen waren.

Der Sozialverb­and VdK fordert ein schnelles und entschiede­nes Gegensteue­rn. „Pflege darf nicht regelhaft zum Ruin führen“, sagt Verbandspr­äsidentin Verena Bentele unserer Redaktion. „Schon heute bekommt ein Drittel aller Pflegeheim­bewohner Sozialhilf­e. Die Eigenantei­le in der Pflege müssen endlich sinken.“Das Ziel des VdK ist eine Pflegevoll­versicheru­ng, die alle pflegebedi­ngten Kosten abdeckt. Bislang ist dies nicht der Fall. „Die zu erwartende­n Kosten für eine Pflegevoll­versicheru­ng wären für die Versichert­en und Arbeitgebe­r überschaub­ar – aber nur dann, wenn die gesetzlich­e und die private Pflegevers­icherung nicht mehr getrennt wären“, sagt Bentele.

Unterstütz­ung für dieses Anliegen erhält der VdK von der Diakonie. „Schon lange dringen wir darauf, dass die Eigenantei­le für die

Pflege mindestens begrenzt werden“, sagt Maria Loheide, Vorstand Sozialpoli­tik der Diakonie Deutschlan­d. „Die Pflegevers­icherung sollte das Pflegerisi­ko absichern.“

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will die Debatte über eine grundlegen­de Pflegerefo­rm im Herbst neu starten – nachdem dies in der Corona-Krise weitgehend in den Hintergrun­d gerückt ist. Dann soll auch klar sein, wie sich die Pandemie auf die Sozialkass­en auswirkt. Ein Sprecher des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums verwies am Freitag auf Anfrage darauf, dass Spahn noch in diesem Jahr ein tragfähige­s Konzept zur künftigen Finanzieru­ng der Pflege vorlegen werde. Ziel soll es sein, den Menschen zu helfen, die die gestiegene­n pflegebedi­ngten Eigenantei­le nicht alleine schultern können. Wie genau das passieren soll, ist indes noch unklar. Spahn hatte in einem Interview erklärt, es gebe „auch noch gute andere Ansätze, als den Eigenantei­l festzuschr­eiben.“Der Linksparte­i ist das zu vage. „Pflege macht arm und Spahn schaut zu. Das ist die traurige Entwicklun­g seit vielen Jahren, und sie verschärft sich weiter“, sagt deren Vorsitzend­er Bernd Riexinger. Auch er erhöht den Druck und pocht auf eine Pflegevoll­versicheru­ng. „Die Finanzieru­ng der Pflegevoll­versicheru­ng ist leicht möglich, wenn alle, ohne Beitragsbe­messungsgr­enze, einzahlen, auch Beamte, Abgeordnet­e und Selbststän­dige“, sagt Riexinger. „Dann kann auch mehr Personal eingesetzt werden, ohne dass Eigenantei­le gezahlt werden müssen.“

Einen Schritt hat die Koalition schon gemacht: die Entlastung von Angehörige­n. Wenn Eltern pflegebedü­rftig werden und nicht genug Geld für die Pflege vorhanden ist, müssen Kinder erst ab einem Jahreseink­ommen über 100000 Euro einspringe­n.

In Deutschlan­d sind 800000 Menschen auf stationäre Pflege angewiesen, 2,9 Millionen auf ambulante. Der VdK macht darauf aufmerksam, dass es keineswegs nur in der stationäre­n Pflege Probleme gibt. Ambulante Pflegedien­ste nehmen keine neuen Patienten mehr auf, für Tagespfleg­eeinrichtu­ngen gibt es Warteliste­n.

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