Augsburger Allgemeine (Land Nord)
SPD wirft Sarrazin raus
Urteil Oberstes Schiedsgericht bestätigt Parteiausschluss des umstrittenen Buchautors. Der will vor dem Landgericht weiterkämpfen. Der Streit begann vor mehr als einem Jahrzehnt mit dem berüchtigten „Kopftuchmädchen-Interview“
Berlin Die SPD schließt Thilo Sarrazin, dem sie islamfeindliche und rassistische Thesen vorwirft, aus ihren Reihen aus. Dieser habe „erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt“, so die Begründung. Doch der umstrittene Autor will weiter für seinen Verbleib in der Partei kämpfen und vor dem Landgericht Berlin Berufung einlegen. „Dies war kein offenes, ehrliches und faires Verfahren“, sagt er nach dem Urteil.
Sechs Stunden zuvor, am Freitagvormittag, geht Sarrazin schweigend und mit Mundschutz in den Hans-Jochen-Vogel-Saal des WillyBrandt-Hauses, der SPD-Bundeszentrale in Berlin. Sechs Stunden wird die Verhandlung dauern, bei der es darum geht, ob seine brisanten Bücher, vor allem sein jüngstes, parteischädigend sind und seinen Ausschluss rechtfertigen. Sie tragen Titel wie „Deutschland schafft sich ab“, „Der neue Tugendterror“oder „Feindliche Übernahme“. Darin, so der Vorwurf der SPD, verbreite Sarrazin Gedankengut, das den Grundsätzen der Partei zutiefst widerspricht.
Schon seit Jahren läuft der Versuch, den Störenfried aus der Partei zu werfen. Doch der umstrittene Autor wehrt sich mit Klauen und Zähnen, sodass der Fall schließlich beim Bundesschiedsgericht, der höchsten Instanz der Partei, landet. Am Nachmittag fällt die Entscheidung. Das Bundesschiedsgericht bestätigt den Parteiausschluss, den zuvor Schiedsgerichte auf Kreis- und Landesebene getroffen hatten. Die Kontroverse um Sarrazin, seit 1973 SPD-Mitglied, reicht bis ins Jahr 2009 zurück. Der heute 75-Jährige ist gerade als Berliner Finanzsenator ausgeschieden. Er war also das, was in anderen Bundesländern Finanzminister heißt; sieben Jahre lang verfolgte er einen rigiden Sparkurs in der klammen Hauptstadt. Im Vorstand der Deutschen Bundesbank findet er eine Anschluss-Tätigkeit, die ihn, wie er später einräumt, nicht allzu sehr fordert. Sein Wochenpensum ist bereits dienstagmittags erledigt, so kann er sich ausführlich anderen Dingen widmen – etwa der Migrationspolitik.
Ein Interview, das er 2009 der Kulturzeitschrift Lettre International gibt, sorgt schließlich für bundesweite Aufregung. Sarrazin behauptet darin, große Teile der arabischen und türkischen Einwanderer seien weder integrationswillig noch integrationsfähig. Besonders ein Satz Sarrazins empört gerade die Parteifreunde in der SPD: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“
Seit damals läuft der Versuch, Sarrazin aus der SPD auszuschließen – zunächst erfolglos. Sarrazin provoziert immer weiter. Nachdem er 2010 behauptet, der gesamtdeutsche Intelligenzdurchschnitt sinke durch die Zuwanderung schlecht ausgebildeter Migranten, legt ihm auch der damalige Parteichef Sigmar Gabriel den Austritt nahe. Kurz darauf erscheint das Buch „Deutschland schafft sich ab“, in dem Sarrazin vor Zuwanderung aus überwiegend islamisch geprägten Ländern warnt. Es steht insgesamt 21 Wochen lang an der Spitze der SpiegelBestsellerliste und sorgt für eine beispiellose Kontroverse. Die SPD verstärkt ihre Anstrengungen, Sarrazin auszuschließen, doch ein weiteres Parteiordnungsverfahren endet mit einer gütlichen Einigung. Aufgrund des Wirbels um sein Buch gibt Sarrazin allerdings seinen Posten im
Bundesbankvorstand auf. Auch die Veröffentlichung seiner Bücher „Deutschland braucht den Euro nicht“und „Der neue Tugendterror“wird von medialem Wirbel und heftiger Kritik aus der SPD begleitet. 2018 schließlich erscheint der Band „Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Wieder gehen die Meinungen weit auseinander. Sarrazin will ein „wissenschaftliches Sachbuch“geschrieben haben, für SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil enthält es „rassistische Thesen“. Nach dem Urteil am Freitagnachmittag zeigt sich Klingbeil erleichtert: „Das Kapitel Thilo Sarrazin ist für uns beendet.“
Nicht alle in der SPD sind überzeugt, dass es richtig war, mehr als zehn Jahre lang für den Rauswurf des Ex-Finanzsenators zu kämpfen. Die bessere Strategie, sagt hinter vorgehaltener Hand ein hochrangiges Parteimitglied, wäre, frei nach Karl Valentin, „nicht mal ignorieren“gewesen. Denn der Wirbel kurble den Verkauf der umstrittenen Bücher nur noch an.
Auch Meinungsforscher Manfred Güllner sagt: „Die SPD beschäftigt sich nun seit vielen Jahren mit Thilo Sarrazin und es bleibt dabei, dass sie sich damit keinen Gefallen tut.“Das jahrelange Verfahren zeige nur das große Problem der SPD auf, „dass sie sich am allerliebsten mit sich selbst beschäftigt“. Der Forsa-Chef weiter: „Sarrazin vertritt sicherlich krasse Positionen, solche Ränder müsste eine breit aufgestellte Sozialdemokratie aber aushalten.“