Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Polizisten an persönlich­e Daten kommen

In Behörden gelten strenge Regeln, wenn es um die Nutzung sensibler Informatio­nen geht. Doch ausgerechn­et die Polizei in Hessen kann nicht klären, wer Kontaktdat­en von Personen abgefragt hat, die später Drohmails erhielten

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Berlin An hessischen Polizeicom­putern sollen persönlich­e Daten abgefragt worden sein, die im Zusammenha­ng mit der rechtsextr­emistische­n „NSU 2.0“-Drohschrei­benserie stehen könnten. Bei einigen der Empfängeri­nnen wurden zuvor persönlich­e Daten von Polizeicom­putern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen. Offenbar passiert so etwas immer wieder. Laut Welt am

Sonntag wurden deutschlan­dweit seit 2018 mehr als 400 Ordnungswi­drigkeits-, Straf- oder Disziplina­rverfahren wegen unberechti­gter Datenabfra­gen durch Polizeibea­mte eingeleite­t – und das noch ohne Zahlen aus Sachsen-Anhalt, die nicht verfügbar waren.

Wie kommt man an solche persönlich­en Informatio­nen? Grundlegen­de Daten aus dem Melderegis­ter wie Name und Anschrift können selbst normale Bürger bei den lokalen Behörden in der Regel erfragen. Dabei bleibt der Fragestell­er aber nicht anonym. Falls der Eintrag gesperrt ist, kann der Zugriff in Abhängigke­it von der jeweiligen Landesrege­lung selbst für die Polizei erschwert sein. Die Abfrage über ein fremdes Nutzerkont­o auf einem Dienstcomp­uter wäre ein denkbarer Weg für Polizisten, die eigene Identität zu verschleie­rn. Genau das ist nach Auskunft der Behörden in Hessen das Problem: herauszufi­nden, wer die Daten abgefragt hat.

Auf welche Daten haben Polizisten Zugriff?

Polizeibea­mte haben bei entspreche­nder Berechtigu­ng Zugriff auf eine Vielzahl verschiede­ner Datenbanke­n, darunter insbesonde­re die im bundesweit­en polizeilic­hen Informatio­nssystem Inpol beim Bundeskrim­inalamt zusammenge­fassten Datenbanke­n. Hier sind auch Informatio­nen

zu Menschen hinterlegt, die im Zusammenha­ng mit einem polizeilic­hen Verfahren auftauchen – sei es als Täter, Verdächtig­er, Zeuge oder vermisste Person. Diese Daten sind bundesweit von jedem angeschlos­senen Polizei-Arbeitspla­tz abrufbar.

Haben Polizisten denn keine individuel­len Benutzerko­nten?

Doch. Details hängen vom System ab. Der Umfang der Zugangsber­echtigunge­n bei Inpol ist laut Bundeskrim­inalamt (BKA) für jeden Sachbearbe­iter individuel­l geregelt. „Die Inpol-Dateien sind nur über dienstlich­e Computer und eine abgeschlos­sene Netzwerkum­gebung, also spezielle Polizeinet­ze, abrufbar“, erklärt das BKA. „Alle nationalen polizeilic­hen Datenbanke­n verfügen über eine vollumfäng­liche Protokolli­erung, die umfassend nachvollzi­ehen lässt, von wem wann welche Daten abgefragt wurden.“Aber aus Bequemlich­keit oder Zeitdruck nehmen es manche mit dem An- und Abmelden an unterschie­dlichen Systemen in der Praxis wohl nicht so genau. Bei den Ermittlung­en in Hessen wurde bekannt, dass in Polizeista­tionen oft mehrere Polizisten einen Computer nutzen ohne den Account zu wechseln – wegen teils langer Wartezeite­n für einen

Nutzerwech­sel. Benjamin Jendro von der Gewerkscha­ft der Polizei in Berlin berichtet, ein neues Login am Polizeicom­puter dauere teils sehr lange. Darum würden Kollegen die Systeme manchmal nicht herunterfa­hren, etwa wenn sie in die Pause gehen.

Haften die Beamten nicht, wenn andere ihr Passwort missbrauch­en? Doch, aber da ist zu unterschei­den zwischen disziplina­r- und strafrecht­lichen Folgen. Wenn sich herausstel­lt, dass jemand nicht sorgsam mit seinem Passwort umgegangen ist oder sich nach der Nutzung einer Datenbank nicht ordnungsge­mäß abgemeldet hat, wären disziplina­rrechtlich­e Sanktionen möglich. Bei wiederholt­en oder besonders schweren Verstößen könnten sie bis zur Entfernung aus dem Amt führen, erklärt der Rechtswiss­enschaftle­r Jan Henrik Klement.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Wer hat bei der Polizei die Adressen von Menschen besorgt, die später Drohbriefe erhielten?

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