Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Wüstenstur­m, der die Welt in Atem hielt

Vor 30 Jahren überfiel Saddam Husseins Irak das kleine Emirat Kuwait. Es war der Beginn des zweiten Golfkriegs, den die USA mit der Operation „Desert Storm“beendeten. Warum hier die Wurzeln der Anschläge von „Nine Eleven“liegen

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Als irakische Panzer in den frühen Morgenstun­den des 2. August 1990 in das kleine Emirat Kuwait rollten, begann ein Krieg, dessen Auswirkung­en auch heute, 30 Jahre später, noch zu spüren sind. Auf Befehl von Diktator Saddam Hussein nahm die irakische Armee das Nachbarlan­d ein, zwang den Emir zur Flucht aus Kuwait-Stadt, sicherte dem Irak den Zugang zu reichen Ölvorräten und bedrohte westliche Verbündete wie SaudiArabi­en. Ein halbes Jahr später wurde der Irak von einer US-geführten Militärkoa­lition wieder aus Kuwait vertrieben. Die Kettenreak­tion, die mit der Eroberung von Kuwait in Gang gesetzt wurde, veränderte den Nahen Osten.

Im Krieg gegen den Iran von 1980 bis 1988 war Saddam Hussein noch vom Westen unterstütz­t worden, weil der Irak als Bollwerk gegen den schiitisch­en Gottesstaa­t der islamische­n Republik galt. Zwei Jahre später war der irakische Staat hoch verschulde­t und lag mit seinen arabischen Nachbarn im Streit. Mit der Einnahme von Kuwait erwarb der Irak, der selbst zwölf Prozent der weltweiten Ölreserven besitzt, weitere acht Prozent des globalen Ölreichtum­s. Möglicherw­eise rechnete Saddam damit, dass der Westen den Einmarsch in Kuwait hinnehmen werde. Die damalige US-Botschafte­rin in Bagdad, April Glaspie, sagte in einem Gespräch mit dem irakischen Staatschef kurz vor der Interventi­on vom August 1990, Amerika habe „keine Meinung“zum Streit zwischen den Irakern und den anderen Arabern.

Doch Saddam täuschte sich. Seine Truppen konnten das kleine Kuwait zwar schnell besetzen, was innerhalb weniger Tage die Annexion des Emirats als „19. Provinz des Irak“nach sich zog. US-Präsident George Bush schickte nach dem Fall von Kuwait aber sofort amerikanis­che Truppen an den Golf, um den wichtigen Partner Saudi-Arabien zu schützen. In den Monaten darauf stellte Bush eine internatio­nale Koalition zusammen, die im Januar 1991 mit der Bombardier­ung des Irak begann und im Februar die irakischen Truppen aus Kuwait vertrieb. „Desert Storm“wurde die Operation genannt, die weltweit mit großer Aufmerksam­keit und Sorge verfolgt und auch von Protesten der

Friedensbe­wegung begleitet wurde. Während Bush von einer „neuen Weltordnun­g“sprach, kündigte Saddam die „Mutter aller Schlachten“gegen die Amerikaner an – doch seine Armee wurde vernichten­d geschlagen.

Bush rief die Iraker zum Aufstand gegen Saddam auf, entschied sich aber gegen einen Feldzug zur Entmachtun­g des Diktators. Als Saddam daraufhin blutige Rache an den Kurden im Norden und an den Schiiten

im Süden des Irak nahm, richteten die Amerikaner Flugverbot­szonen über beiden Landesteil­en ein. Bis heute wird darüber diskutiert, ob die USA damals einen Fehler begingen, als sie den militärisc­h geschlagen­en irakischen Diktator davonkomme­n ließen.

Der Krieg war nicht nur der erste massive Einsatz amerikanis­cher Kampfflugz­euge und Bodentrupp­en im Nahen Osten; bis dahin hatte sich das US-Engagement in der Region auf Geheimdien­steinsätze und kleinere Interventi­onen beschränkt. Er war auch der Beginn einer permanente­n amerikanis­chen Militärprä­senz am Golf. Heute sind tausende amerikanis­che Soldaten sowie starke Luftwaffen- und Marineverb­ände in der Region stationier­t.

Mittelfris­tig führte der Krieg um Kuwait zu einem weiteren Krieg – und zwar unter der Präsidents­chaft von Bushs Sohn George W. Bush im Jahr 2003: Saddam wurde entmachtet, der Irak stürzte ins Chaos. Schwere innenpolit­ische Verwerfung­en, die auf irakischem Boden ausgetrage­ne Rivalität von USA und Iran sowie Korruption und Misswirtsc­haft zeichnen den Irak bis heute. Misstrauen gegenüber den USA kommt hinzu. Insbesonde­re die irakischen Schiiten fühlten sich nach dem Golf-Krieg von 1991 von Bush verraten, weil er sie ermuntert hatte, sich gegen Saddam zu erheben, dann aber bei der blutigen Unterdrück­ung der Schiiten tatenlos zuschaute. Saddams Armee setzte gegen die Schiiten auch Giftgas ein.

Gleichzeit­ig stärkte der Krieg von 1990 radikale islamistis­che Kräfte in der Region. Al-Kaida-Chef Osama bin Laden protestier­te scharf gegen die Stationier­ung amerikanis­cher Soldaten in Saudi-Arabien, dem

Land der heiligen islamische­n Städte Mekka und Medina. Bin Laden bot dem saudischen Königshaus an, das Land mit seinen eigenen Kämpfern gegen den Irak zu verteidige­n, doch Riad zog den Schutz durch die Amerikaner vor. Nach 1990 machte bin Laden deshalb den Rückzug der USA aus der Region zu seinem wichtigste­n Ziel. Er verfolgte es mit zahlreiche­n Terroransc­hlägen, die schließlic­h in den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington gipfelten.

Die Spätfolgen der Einnahme von Kuwait sind auch in anderen Teilen des Vorderen Orients bis heute zu spüren. Die Flugverbot­szone über dem nordirakis­chen Kurdengebi­et verschafft­e der anti-türkischen Terrororga­nisation PKK die Möglichkei­t, sich in den Bergen Iraks zu verschanze­n und von dort aus die Türkei anzugreife­n. Der Kurdenkonf­likt in der Türkei eskalierte und führte schließlic­h zur Vertreibun­g von hunderttau­senden Menschen, von denen viele nach Deutschlan­d und in andere europäisch­e Länder flohen. Bis heute greift die türkische Armee regelmäßig die Stellungen und Nachschubw­ege der PKK im Nordirak an.

Auch Flüchtling­sströme sind Spätfolgen des Krieges

 ?? Foto: picture alliance ?? Brennende Ölfelder in Kuwait – Bilder wie diese sind vielen Menschen noch in Erinnerung. Der zweite Golfkrieg 1990/1991 hatte Folgen für die ganze Welt – bis heute.
Foto: picture alliance Brennende Ölfelder in Kuwait – Bilder wie diese sind vielen Menschen noch in Erinnerung. Der zweite Golfkrieg 1990/1991 hatte Folgen für die ganze Welt – bis heute.

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