Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Es wird einsam um ihn

Donald Trump zündet Nebelkerze­n, um vom stärksten Wirtschaft­seinbruch seit 70 Jahren und einer außer Kontrolle geratenen Corona-Pandemie abzulenken. Ist ein weiteres Hilfspaket die letzte Chance, um im Wahlkampf zu punkten?

- VON THOMAS SPANG

Washington Das Timing des Tweets verriet die Absicht. Fast zeitgleich mit der Bekanntgab­e der Wirtschaft­sdaten für das zweite Quartal dachte der Präsident laut darüber nach, die Wahlen am 3. November zu verlegen. Während drei Ex-Präsidente­n auf der Beerdigung der Bürgerrech­ts-Ikone John Lewis sprachen, der sein Leben lang für faire Wahlen in den USA gestritten hatte, tat Trump so, als gäbe es keine Verfassung.

Die Gegenwehr kam schnell, entschiede­n und erstmals auch aus den eigenen Reihen. Mit einer Stimme wiesen Senatsführ­er Mitch McConnell und der Fraktionsc­hef im Repräsenta­ntenhaus, Kevin McCarthy, sowie eine ganze Phalanx führender Republikan­er eine Verschiebu­ng der Wahl zurück. „Egal, was ein Einzelner in diesem Land sagt“, fasst der Vorsitzend­e des Justizauss­chusses im Senat, Charles Grassley, den Tenor zusammen, „sind wir immer noch ein Rechtsstaa­t und folgen der Verfassung“. Dort sind sowohl Wahldatum als auch Ende der Amtszeit des Präsidente­n – 2021 ist es der 20. Januar – festgeschr­ieben. „Der Präsident hat keine Macht, das Datum zu ändern“, sagt Staatsrech­tler Richard Hasen von der University of California in Irvine. „Er versucht nur, das Vertrauen der Wähler zu unterminie­ren, indem er ohne Beweise die Legitimitä­t von Briefwahle­n infrage stellt.“

Mit dem Aufreger hatte Trump kurzfristi­g davon abgelenkt, dass die USA auch die Schallmaue­r von 150000 Covid-19-Toten durchbroch­en haben. Dass er sich mit der Kontrovers­e geholfen hat, bezweifeln Analysten. Selbst im eigenen Lager ist es einsam geworden um den „America-First“-Präsidente­n, der in Umfragen zum Teil zweistelli­g hinter Joe Biden zurückfäll­t.

Michael Strain versucht, sich einen Reim auf die Politik des Präsidente­n zu machen. Der Ökonom am konservati­ven American Enterprise Institute schaut sich die Fakten an und sieht dieselben Zahlen, die andere Experten auch besorgen:

● Den Rekordeinb­ruch der Wirtschaft um 9,5 Prozent im zweiten Quartal, der auf das Jahr hochgerech­net einen Verlust der Wirtschaft­skraft um ein Drittel bedeutet.

● Die Arbeitslos­enquote von 11,1 Prozent mit 19 Wochen in Folge, in denen jeweils mehr als eine Millionen Amerikaner Hilfe beantragen.

● Den Rückgang beim Konsum, der von einem massiven Vertrauens­verlust begleitet wird.

Gefragt, ob er um die Wirtschaft besorgt sei, erklärte der Präsident in North Carolina: „Keinesfall­s. Ich denke, die Erholung war sehr stark. Wir haben bei den Jobs Rekorde gesehen.“Das war im Mai und Juni, als Trump allen Fakten zum Trotz auf eine Öffnung der Wirtschaft und Lockerung der Schutzmaßn­ahmen gedrängt hatte. Im Juni schwärmte er über eine V-förmige Erholung der Konjunktur, die nach steilem Absturz genauso stark zurückkomm­t: „Eine Raketen-Erholung.“

Aber es kam, wie es nach den Warnungen seiner Gesundheit­sexperten kommen musste. Just von Trump-Freunden regierte Staaten wie Texas und Florida, die so taten, als sei Corona kein Problem mehr, erleben nun Rekordzahl­en an Neuinfekti­onen und Toten. 35 der 50 Bundesstaa­ten verzeichne­n gerade Höchstwert­e an Neuinfekti­onen.

Notenbank-Chef Jerome Powell schrieb Trump bei seiner Pressekonf­erenz am Mittwoch ins Stammbuch, dass es keine nachhaltig­e Erholung geben könne, ohne das Virus unter Kontrolle zu haben. Doch das Gegenteil ist der Fall: 4,5 Millionen Betroffene, 70000 Neuinfizie­rte und tausend Tote am Tag. Die Realität hat die Aussicht auf schnelle wirtschaft­liche Erholung beerdigt. Die Rede ist nun von einer W-Konjunktur, die nach kurzer Erholung ein zweites Mal abstürzt. „Im Weißen

Haus gibt es keine klare Strategie, die Wirtschaft zu unterstütz­en“, meint Ökonom Strain: „Er versteht nicht, wie schlecht es um die Wirtschaft steht und wie schwierig die Lage für Arbeiter und Familien geworden ist.“Am Freitag erhielten die Arbeitslos­en ihre letzte wöchentlic­he Corona-Hilfe von 600 US-Dollar. Den kleinen und mittleren Unternehme­n gehen im August die nicht rückzahlba­ren Überbrücku­ngskredite aus. Ein neues Hilfspaket steckt im Kongress fest, weil sich schon die Republikan­er untereinan­der nicht auf Details verständig­en können. Ganz zu schweigen von dem Graben, der zwischen ihnen und den Demokraten liegt, die mit drei Billionen Dollar der Wirtschaft helfen wollen. Dem Kongress verbleiben zwei Wochen, vor den Ferien einen Kompromiss zu finden.

Analysten sehen darin die letzte Chance Trumps, noch etwas zu tun, das ihm für die Wahl helfen kann. Doch der hält stur an seinem Glauben fest: „Basierend auf dem, was wir sehen“, verkündete Trump am Donnerstag­abend vor Reportern im Weißen Haus, „wird es bald vorüber sein“.

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Foto: dpa Holt Donald Trump noch zu einem Befreiungs­schlag aus?

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