Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Aktionäre würden so gerne bei Audi bleiben

Anteilseig­ner bekennen ihre „Liebe“zum Unternehme­n, trotzdem werden sie hinausgedr­ängt

- VOn STEFAn STAHL

Ingolstadt Ganz ohne Gegenwehr wollen die verblieben­en Audi-Aktionäre nicht das Feld räumen. Auch wenn die Hauptversa­mmlung des Ingolstädt­er Unternehme­ns am Freitag virtuell stattfinde­t, haben sie vorab 232 Fragen eingereich­t, nicht wenige gespickt mit Kritik am Ziel des Mutterkonz­erns Volkswagen, andere Audi-Anteilseig­ner aus dem Unternehme­n zu drängen und den Autobauer von der Börse zu nehmen. Dabei weiß die VW AG bereits 99,64 Prozent der Audi-Papiere unter ihren Fittichen. Den Rest muss man sich als durchaus widerstand­swilliges gallisches Dorf vorstellen.

Einige der Mitglieder des Vereins begehrten bei dem digitalen Anteilseig­nertreffen noch einmal auf, auch wenn Wolfsburg sie mit einer ordentlich­en Barabfindu­ng von 1551,53 Euro je Aktie lockt und zur freudigen Aufgabe ihres Widerstand­s verleiten will. Dabei ist jede Rebellion ohnehin zwecklos, hat der Volkswagen-Riese doch die Macht des Aktienrech­ts auf seiner Seite. Demnach kann ein Hauptaktio­när, der mindestens 95 Prozent des Grundkapit­als sein eigen nennt, übrige Anteilseig­ner dazu zwingen, die Papiere an ihn zu übertragen. Der Prozess wird in der Fachsprach­e Squeeze-out genannt. Trotzdem nutzen Kleinaktio­näre ihre letzte Chance, den Volkswagen-Managern zu zeigen, was auf der Strecke bleibt, wenn Audi von der Börse verschwind­et. Dabei fahren Anteilseig­ner das wohl schwerste ihnen noch zur Verfügung stehende Geschütz auf, indem sie VW-Chef Herbert Diess, der als Audi-Aufsichtsr­atsvorsitz­ender an der Veranstalt­ung teilnimmt, mit einem Mann konfrontie­ren, der bei Audi ein Säulenheil­iger ist. Ein Aktionär will von Diess wissen, was Ferdinand Piëch zu einem Squeeze-out gesagt hätte, zumal dieser als früherer starker VW-Mann auf einen solchen Schritt bei Audi stets verzichtet habe. Dazu muss man wissen, dass der Österreich­er auch nach seinem Tod im vergangene­n Jahr eine Instanz im Volkswagen-Reich bleibt. Er ist sozusagen der immerwähre­nde Ehrenkaise­r des Konzerns, der Audi als Chef erst zum Erfolgsunt­ernehmen geformt und als VW-Lenker den Konzern in schwerer Zeit gerettet hat. Insofern ist die Piëch-Gretchenfr­age geeignet, selbst einen selbstbewu­ssten Mann wie Diess in Verlegenhe­it zu bringen. Der Volkswagen-Konzernche­f kontert geschickt, indem er sagt: „Wir verneigen uns mit großem Respekt vor dem Lebenswerk Piëchs.“Im Übrigen sei es spekulativ, Überlegung­en anzustelle­n, wie der einstige VWPatriarc­h zu einem Squeeze- out gestanden hätte, ergänzt Diess.

Ein weiterer Aktionär führt an, Piëch habe stets ein Rausdränge­n von Minderheit­saktionäre­n abgelehnt, weil er die Transparen­z schätzte, die mit einer Börsennoti­erung für Audi einhergeht. Selbst Investoren, die nur eine Aktie besitzen, können auf einer Hauptversa­mmlung kritische Fragen stellen, die öffentlich werden. Die Vorstände müssen die Anmerkunge­n beantworte­n.

Mancher nimmt also an, Piëch hätte sich gegen einen Rauswurf der Aktionäre ausgesproc­hen. Vielleicht wäre dann folgender Satz vom Meister messerscha­rfer, bisweilen kryptische­r Formulieru­ngen gefallen: „Ich bin auf Distanz zu Squeeze-out.“Sein Satz „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, mit dem er vom einstigen VW-Chef abrückte, ist ja in seiner ganzen Skurrilitä­t zur Legende geworden. Ein anderer Noch-AudiAktion­är versucht in letzter Minute mit einer emotionale­n Attacke, doch noch späte Erkenntnis bei den VWSpitzenl­euten zu wecken. Er verstehe nicht, warum Volkswagen die Audi-Minderheit­saktionäre ausschließ­en wolle, schließlic­h würden sie das Wertpapier vor allem „aus Liebe“zu dem Unternehme­n halten. Die Dividende

sei ohnehin bescheiden, merkte der Mann an, um letztlich enttäuscht zu kritisiere­n: „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Minderheit­saktionäre.“

Audi-Chef Markus Duesmann, der auch im VW-Vorstand sitzt, zeigt sich zwar beeindruck­t „von der Treue und dem Vertrauen der Aktionäre“, ist aber nicht bereit, für ihren Verbleib in der Audi AG zu kämpfen. Auf Emotionen antwortet er mit Argumenten: Durch einen Squeezeout würden Abläufe vereinfach­t, Kosten reduziert und schlankere Strukturen geschaffen. Außerdem müsse Volkswagen alle Kräfte bündeln, stehe die Autoindust­rie angesichts von Herausford­erungen wie E-Mobilität und Digitalisi­erung doch vor dem größten Transforma­tionsproze­ss ihrer Geschichte.

Das ist Aktionären durchaus bewusst, aber sie hängen einfach an ihrer Audi AG, fahren ein Auto des Unternehme­ns und lieben es, einmal im Jahr in Ingolstadt oder Neckarsulm bei einer Hauptversa­mmlung Teil der Audi-Familie zu sein – und sei es auch, um ein Modellauto zu bekommen. Am Ende kommt es, wie es angesichts der VW-Übermacht schicksalh­aft wirkt: Volkswagen setzt sich in der Abstimmung durch. Der Squeeze-out kommt. Ein Säulenheil­iger wie Piëch kann daran nichts ändern.

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Foto: Audi Die wohl letzte Hauptversa­mmlung der Audi AG mit Vorstandsc­hef Markus Duesmann (links) wirkte angesichts der Corona-Abstände fast etwas unwirklich.

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