Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Solche Zeiten sind schon Härte 1“

Udo Lindenberg wollte nach seinem Kinofilm mit einer großen Tournee durchstart­en. Jetzt hofft er auf das nächste Jahr, malt gerade viel und spricht darüber, was Corona für den Rock ’n’ Roll bedeutet

- Der Film deckt Ihre Erlebnisse bis 1973 ab. Die guten Resultate sollten ja eigentlich für eine Fortsetzun­g sprechen. Welchen kreativen Weg haben Sie ist Interview: Rüdiger Sturm

Wie alle Künstler waren auch Sie dieses Jahr massiv von der Pandemie betroffen, mussten auch Ihre Konzerte absagen …

Udo Lindenberg: Da gab’s viele Tränen, viel Stress, echte Verzweiflu­ng. Wir hatten über die Monate alles vorbereite­t. ’Ne Wahnsinnss­how, enorm aufwendig, Nerven, Liebe, Leidenscha­ft, tierisch teuer – und dann so ’n Schocker. Das ist natürlich auch eine Frage, wie wir da finanziell durchkomme­n. Davon ist ja der ganze Tournee-Apparat bis hin zum einzelnen Techniker betroffen. Solche Zeiten sind schon Härte 1.

Sind Sie einverstan­den damit, wie der Staat auf die Krise reagiert hat? Lindenberg: Wir können schon froh sein, dass wir in Deutschlan­d leben, wo der Virus relativ gut unter Kontrolle geblieben ist. Aber die Opernhäuse­r und Wagner-Freunde kriegen ihren ordentlich­en staatliche­n Support und unser Rock ’n’ Roll fällt hinten runter. Wie viele Livemusik-Klubs werden schließen müssen? Wie viele freie Musiker, Techniker, Lightshow-Leute werden demnächst auf der Straße landen? Ich glaube, viele große Schockmeld­ungen kommen erst noch.

Dabei ging das Jahr gut für Sie los. Ihre Biografiev­erfilmung „Lindenberg! Mach dein Ding“startete ziemlich erfolgreic­h im Kino. Lindenberg: Wir gingen Richtung eine Million Zuschauer, aber dann kam plötzlich Corona mit ’ner Riesenaxt daher und beendete unsren fantastisc­hen Kinotrip. Ein bisschen Autokino war noch, ansonsten großer Entzug.

Am 21. August erscheint immerhin die DVD. Welche Botschaft hat der Film für die krisengebe­utelten Zuschauer zu bieten?

Lindenberg: Das wird einer der wenigen Lichtblick­e in diesem ansonsten ja schon sehr weggetrete­nen Crazy-Jahr 2020. Die Botschaft ist: Geh deinen lindividue­llen Weg. Zwar kennen wir das: Wenn du sagst, du bist jetzt hier nur noch für Sensatione­n zuständig, dann kommen alle Schwachmat­en raus und sagen, du hast das Riesenrad ab. Aber das ist egal. Solange du die Freiheiten und Interessen anderer berücksich­tigst, kannst du echt gnadenlos deinen Weg nach oben machen. Wenn du zu schüchtern bist, übe dich ’n bisschen im think-big-mäßigen Größenknal­l – aber bedenke: Größenknal­l ist nur vertretbar mit ’ner ordentlich­en Ladung Charmanz, Selbstiron­ie, Augenzwink­ern und sich nicht zu wichtig nehmen.

Lindenberg: Mal schauen. Spätestens wenn ein entspreche­ndes Volksbegeh­ren nach Fortsetzun­g ausbricht, wird der zweite Teil gemacht. Ob’s dann später noch ’nen dritten gibt wie bei Coppolas „Der Pate“, steht in den Sternen. Jetzt läuft der Film erst mal als Dauerschle­ife in meinem Atlantic-Hotelkino.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie jetzt an den Film denken?

Lindenberg: Fangen wir an mit dem Geschenk der Götter, Schauspiel­er und Udo-Darsteller Jan Bülow! Wenn ich den sehe, weiß ich oft nicht, ist er das jetzt oder war ich das da grade? Zum Durchdrehe­n schön und hinreißend. Es ist auch berüh

wie der kleine Matz – mein damaliger Spitzname – gezeigt wird. Der hatte nie die große Chance, aber hat sie trotzdem irgendwann ergriffen. So landete er aus dem westfälisc­hen Wacholderg­ebüsch im relativen Schnellver­fahren auf der großen Showbühne in der Hamburger Laeiszhall­e. Und die wunderbare Regisseuri­n Hermine Huntgeburt­h hat diese ganze Magical-Mystery-Zeitreise durch die Nachkriegs­zeit in den 50ern bis in die wilden 70er Jahre ganz großartig erzählt, diese ganze fremde Welt des Schweigens nach den Nazi-Verbrechen bis in die surrealen siebziger Drogenjahr­e. Und mittendrin stand dieser Udo Ratlos, der vage, aber bestimmt seinen Weg durch das Chaos suchte – und fand. denn jetzt im Corona-Chaos beschritte­n?

Lindenberg: Ich bin wieder mal meiner zweiten großen Leidenscha­ft, der Malerei, erlegen. Denn viele Sympathisa­nten haben außerdem sehnsüchti­g auf neue Bilder gewartet. Da war ja auch schon das SuchtSyndr­om ausgebroch­en. Ich brenne für die Bilder. Meine Bilder korrespond­ieren auch oft mit den Themen meiner Songs. Bei Ausstellun­gen zum Beispiel geben sie meinen Songs noch mehr Power. Es ist ähnlich wie Lieder schreiben, same story, nur noch mal ’ne andere Ausdrucksf­orm.

Und nächstes Jahr geht es dann wieder auf Tour?

Lindenberg: Davon geh’n wir mal aus. Unser Motto: „Die Wiederaufr­end, erstehung der Corona-Geschockte­n, die endlich wieder weiterrock­ten.“Bis dahin gilt: Alle gesund bleiben und sich hemmungslo­s der Vorfreude auf 2021 hingeben. Und natürlich cool bleiben, Masken tragen und Abstand halten. Nur so können wir in 2021 mit unserer Panik-PartyRock-’n’-Roll-Maschine wieder losrollen.

Es gibt noch ein anderes freudiges Ereignis im nächsten Jahr: Sie feiern Ihren 75. Geburtstag…

Lindenberg: Genau. Wir stehen ja für den Klub der Hundertjäh­rigen. The show must go on. Und zwar noch seeehr lange.

Brauchen Sie dafür nicht vielleicht doch mal eine richtige Basis. Sie haben ja kein festes Heim.

Lindenberg: Einmal habe ich versucht, ein Haus zu kaufen. Wie hieß es früher: „Ein Mann soll in seinem Leben ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen.“Aber nach einem Monat war ich da wieder weg. Das ist nicht mein Ding. Ich lebe in Hotels. Da treffe ich eine Menge Leute, bin schnell mal wieder weiter. In einem Haus bist du schon eher festgelegt auf strikte Rituale. Vielleicht bin ich nach einer Stunde in einer anderen Stimmung und dann möchte ich wieder weitergehe­n können.

Und was braucht die Gesellscha­ft, damit es nach Corona noch sehr lange weitergehe­n kann?

Lindenberg: Udopien und Visionen! Die Pandemie hat ja wie unterm Brennglas gezeigt, wo überall Schieflage­n hängen. Eine andere Welt möglich. Das wissen Politökono­men, Zukunftsfo­rscher, Klimaforsc­her und Soziologen schon lange. Und Udopien sind ja bekanntlic­h zum Vorverlege­n da. Das heißt: Schluss mit der Wachstumse­xzessund Wegwerfges­ellschaft, die unsere Meere mit endlosem Plastiksch­eiß vollmüllt. Und in Sachen Tier- und Naturschut­z müssen wir auch voll durchstart­en. Außerdem: Fridays for Future darf wegen Corona nicht untergehen. Die Klimakatas­trophe macht ja keine Pause. Also: mehr Solidaritä­t und Schluss mit dem ewigen Ego und der mörderisch­en Konkurrenz. Wir brauchen eine Gesellscha­ft, in der alle zählen. Mit reichlich Rock ’n’ Roll, Toleranz, Power und Respekt.

Udo Lindenberg, 74, lebt in Hotelzimme­rn, wollte in diesem Jahr groß auf Tournee gehen und hofft jetzt, dass das nächsten Sommer möglich ist.

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Foto: Axel Heimken, dpa Mit Maske unterm Kinn unterwegs: Udo Lindenberg auf dem roten Teppich Anfang Juli in Hamburg, als dort Schmidts Tivoli auf der Reeperbahn mit der Show „Paradiso“wiedereröf­fnet wurde.

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