Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Gurkenflieger
Er gehörte jenseits der einschlägigen Gemüsegebiete von Spreewald, Eferdinger Becken, Marchfeld und Niederbayern zu den unbekannten Flugobjekten – so selten gesichtet wie ein Ufo oder eine fliegende Untertasse. Doch jetzt ist der Gurkenflieger mitten im Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit gelandet. Wie man dort hinkommt? Na, mit Corona. Niemand in Deutschland wird den Gurkenflieger fortan mehr mit einem Zeppelin verwechseln oder mit einer altersschwachen Transall, die durch die Luft geistert wie eine Schnappschildkröte durch die Saure-Gurken-Zeit.
Jeder weiß jetzt, dass es sich beim Gurkenflieger um ein knapp über dem Boden schwebendes Erntegerät handelt, das aussieht wie eine riesige Motte mit einem Traktorkörper zwischen den Flügeln. Der Gurkenflieger rumpelt mehr, als dass er fliegt – und in seinen Tragflächen liegen bäuchlings über zwei Dutzend Erntehelfer, die die Gurken von Hand pflücken, während das Ungetüm sich langsam mit einem Meter pro Minute vorwärtsbewegt.
Nachdem der Gurkenflieger in Mamming nun gleichsam CoronaHotspot geworden ist, wird es nicht mehr möglich sein, unbeachtet unterm Radar der Öffentlichkeit herumzugurken. Wie der Mensch in Pandemiezeiten so ist: Hört er künftig Gurke, sieht er Covid-19 im Anflug. Der Ischgl-Effekt eben.
Unter den Gemüsen nimmt die Gurke eine Sonderstellung ein. Die viel zitierte EU-Verordnung zu ihrer Krümmung ist ein Klassiker des Bürokratie-Bashings, der Gurkenhobelverkäufer ein Veteran der Dulten und Märkte – und Gurkenmasken gab es schon lange vor den Alltagsmasken, die wir jetzt alle tragen. Nicht zuletzt die Gurkentruppe ist uns von Fußballplätzen her vertraut. Jüngere Rumpelfüßler horchen auf, wenn vom Gurkensohn die Rede ist. Das ist einer jener anonymen Stars, die auf Youtube weltberühmt sind. Dass er in direkter Nachfolge des alten Kinderbuchhelden Gurkenkönig steht, ist eher zu bezweifeln.
Es gibt nun einen neuen deutschen Albtraum: enthemmte Urlauber, die im Gurkenflieger vom Ballermann zurückkommen und sich vom Acker machen, ohne pflichtgetestet worden zu sein.