Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie ein US-Soldat am Krieg zerbricht

Mit Einfühlung­svermögen erzählt die Netflix-Doku „Father Soldier Son“von der Rückkehr aus Afghanista­n

- VON MARTIN SCHWICKERT York Times New

Isaac winkt, obwohl hinter dem Fenster des Terminals noch niemand zu sehen ist. Sechs Monate hat der Zwölfjähri­ge auf seinen Vater gewartet, der als US-Soldat in Afghanista­n im Einsatz ist. Es sei, als trage er ein 25 Kilo schweres Gewicht auf seinen Schultern, erklärt der Junge. Wenig später umarmen Sgt. Brian Eisch, Isaac und dessen jüngerer Bruder Joey einander weinend, während die Zuschauer am Flughafen dem Kriegsheim­kehrer applaudier­en. Eine sentimenta­le Szene, die jedoch in Leslie Davis’ und Catrin Einhorns „Father Soldier Son“für sich steht, ohne den Ton der differenzi­erten Dokumentat­ion zu verzerren.

Man schreibt das Jahr 2010. Präsident Obama hat gerade angekündig­t, 30000 weitere US-Soldaten nach Afghanista­n zu entsenden. Die beiden Journalist­innen der

wollten über zwölf Monate einen der Soldaten durch die Zeit des Einsatzes begleiten und bauen ihre Studie schließlic­h zu einer neunjährig­en Langzeitdo­kumentatio­n aus. Brian Eisch trifft die Einberufun­g besonders schwer. Seit der Scheidung ist er alleinerzi­ehender Vater zweier Söhne, die für ein

Jahr bei ihrem Onkel untergebra­cht werden und um ihren Daddy bangen. Nach dem zweiwöchig­en Urlaub mit seinen Kindern muss Brian erneut in den Kriegseins­atz – und kehrt schwer verletzt zurück. Das

Bein muss schließlic­h amputiert werden, was das Leben der Familie grundlegen­d verändert.

Wie sein Vater und Großvater hat sich Brian aus voller Überzeugun­g in den Dienst der US-Army begeben. Aber die Ehrungen und Medaillen, die er nach seiner Verletzung bekommt, können das angeknacks­te Selbstbewu­sstsein des Kriegsinva­liden nur notdürftig stützen. Das Leben in der Army hat ihm die gesellscha­ftliche Anerkennun­g verschafft, die er mit einem Niedrigloh­n-Job nie bekommen hätte. Brian hat sich immer über seine körperlich­en Fähigkeite­n definiert. Nun kann er nicht mal mehr mit seinen Söhnen angeln gehen. Mit der Dienstunta­uglichkeit bricht ihm der Boden unter den Füßen weg.

Auch wenn er eine neue Liebe findet, zieht sich Brian immer mehr in die Videospiel­welt zurück, wo er virtuell wieder ins Feld ziehen kann. Die Wunde verheilt schlecht. Die Schmerzen hören nicht auf. An eine Prothese ist noch nicht zu denken. Die Söhne sehen, wie das Idol des

Vaters vor ihren Augen in sich zusammensi­nkt, und stemmen sich dagegen. Nur langsam findet der Vater aus der Krise heraus.

Gut zuhören und genau hinsehen – es sind diese einfachen Grundtugen­den des Dokumentar­films, welche die Netflix-Dokumentat­ion „Father Soldier Son“auszeichne­n. Mit Sensibilit­ät und analytisch­er Schärfe nähern sich die Journalist­innen dem Schicksal der Soldatenfa­milie an, in der Patriotism­us und Männlichke­itsbilder vom Vater auf den Sohn weitergege­ben werden. Tagespolit­ische Fragestell­ungen oder pazifistis­che Botschafte­n bleiben hier außen vor. Es geht allein darum, den Menschen in der Uniform zu erkennen – in seiner ganzen Widersprüc­hlichkeit und mit dem sozialen Umfeld, das ihn umgibt. Diese Aufgabe erfüllt der Film bis hin zu seinem tieftrauri­gen Happy End mit unerbittli­chem Einfühlung­svermögen.

» Father Soldier Son läuft auf dem Streaming-Portal Netflix (99 Minuten).

 ?? Foto: Marcus Yam, Netflix ?? Isaac hilft seinem Vater Brian, der schwer verletzt aus dem Afghanista­n-Krieg heimgekehr­t ist, zu sehen in der Doku „Father Soldier Son“.
Foto: Marcus Yam, Netflix Isaac hilft seinem Vater Brian, der schwer verletzt aus dem Afghanista­n-Krieg heimgekehr­t ist, zu sehen in der Doku „Father Soldier Son“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany