Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Umstritten­e Museums-App wird abgeschalt­et

Das Fugger und Welser Museum reagiert auf die Kritik von Wissenscha­ftlern der Universitä­t Augsburg und räumt Korrekturb­edarf ein. Gleichzeit­ig weist es den Vorwurf der Schönfärbe­rei und der Verharmlos­ung zurück

- VON RICHARD MAYR

Das Fugger und Welser Erlebnismu­seum schaltet die umstritten­e App, die aus der Perspektiv­e eines Sklavenjun­gen durch das Museum führt, ab. Götz Beck, Leiter der Regio Augsburg, die das Museum betreibt, teilt mit: „Wir werden sie unter Einbeziehu­ng eines Expertenra­ts überarbeit­en und verbessern.“Dass es jetzt erst zu diesem Schritt gekommen sei und nicht schon vor Monaten, als die erste Kritik an der App geäußert wurde, begründet Beck auch mit der Corona-Pandemie: „Wir haben in diesen Monaten intensivst gearbeitet und um Existenzen gekämpft, um jedes Hotelbett und jeden Tisch in der Gastronomi­e.“Deshalb werde jeder dafür Verständni­s aufbringen, „dass die sicher nicht geglückte MuseumsApp für uns nicht die erste Priorität hatte“.

Die Ethnologin Ina Hagen-Jeske, der Kulturhist­oriker Claas Henschel

der Historiker Philipp Bernhard (alle von der Universitä­t Augsburg) hatten vor Kurzem ihre Kritik an der App öffentlich gemacht. Sie warfen dem Museum vor, dass die App sich zwar auf einen historisch belegten Sklavenjun­gen stütze, die Geschichte der Figur aber erfunden sei und zwar so, dass sie ahistorisc­h handele – anders als es die Forschung nahelege.

Perico ist von den Welsern gekauft, nach Venezuela gebracht und dort mit Gewinn verkauft worden. Anhand der App, in der Perico als Leitfigur diente, wurden Kinder und Jugendlich­e spielerisc­h durchs Museum geführt, sie mussten Rätselaufg­aben lösen und unter anderem zum Beispiel ausrechnen, wie viel Gewinn die Welser mit dem Sklavenges­chäft gemacht haben.

Die Kritik an der App haben Hagen-Jeske, Bernhard und Henschel bereits kurz nach Erscheinen der App dem Museum mitgeteilt. Weil seitdem außer kleineren Überarbeit­ungen wenig geschehen sei, haben sie nun den Weg gewählt, die Kritik öffentlich zu machen.

In seiner Stellungna­hme schreibt Götz Beck nun: „Wir werden nachbesser­n – ich habe verstanden. Verstanden mit einer Ausnahme: Dass ausgerechn­et dieses Museum mit seinem dezidiert kritischen Ansatz wegen Schönfärbe­rei und Verharmlos­ung bekrittelt wird, ist angesichts seiner Eröffnungs­geschichte ein kaum nachvollzi­ehbarer Vorwurf.“

Damit weist Beck auf den internen Streit während der Planungsph­ase des Museums hin. Kurz vor der Eröffnung des Hauses im Augsburger Domviertel sei es zum Bruch mit den damals beauftragt­en Kuratorinn­en gekommen. Auslöser sei gewesen, dass das Fugger und Welund ser Erlebnismu­seum sich auch kritisch mit „mit der Kinder- und Frauenarbe­it im frühneuzei­tlichen Bergbau sowie nicht zuletzt mit der Geschichte des beginnende­n Kolonialis­mus, mit dem transatlan­tischen Sklavenhan­del sowie der Versklavun­g und Ermordung der indigenen Bevölkerun­g in Venezuela und Kolumbien durch deutsche Kolonisato­ren – Vertretern des Handelshau­ses der Welser – auseinande­rsetzen wollte“, so Beck.

Am 18. August 2014 hatten Stefanie von Welser und Angelika Westermann sich daraufhin als Kuratoren zurückgezo­gen, wie heute noch im Internet-Impressum des Museums nachzulese­n. Ausschlagg­ebend für die Trennung war laut AZ-Informatio­nen, dass die Museumstex­te nicht einwandfre­i gewesen seien, unter anderem sei es um nicht korrekte Jahreszahl­en, zu wenig Augsburg-Bezug und Passagen zu Sklavenhan­del und Kinderarbe­it gegangen.

Beck führt in seiner Mitteilung vom Freitag weiter aus: „Jedermann kann diesen kritischen Ansatz heute in Ausstellun­gstexten im Fugger und Welser Erlebnismu­seum wiederfind­en.“

Allerdings gibt es auch Kritik an der Dauerausst­ellung des Museums. Der freie Autor und Wissenscha­ftler Mark Terkessidi­s, der viel über Migration, Interkultu­ralität und Rassismus arbeitet, erwähnt das Museum in seinem aktuellen Buch „Wessen Erinnerung zählt? Koloniale Vergangenh­eit und Rassismus heute“. Dort heißt es: „Doch in dem Raum, in dem es im Museum um ,Die Welser in Venezuela‘ geht, kann von einer Aufarbeitu­ng der Kolonialge­schichte nicht die Rede sein.“Die Besucher nähmen in dem Raum die Perspektiv­e des modernen europäisch­en Reisenden ein, demgegenüb­er seien die „Eingeboren­en“als naiv gezeichnet­es Wandbild zu sehen, die nackt ihren „Entdeckern“freudig zuwinkten.

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Götz Beck

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