Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wen Lehmann auf dem Zettel hatte

Im WM-Viertelfin­ale 2006 gegen Argentinie­n wird Deutschlan­ds Torhüter zum Helden. Er bedient sich im Elfmetersc­hießen eines Tricks (Teil 6)

- VON JOHANNES GRAF

In Hotels liegen oft kleine Notizblöck­e auf dem Nachttisch herum. Meist neben dem Telefon, um rasch etwas aufschreib­en zu können. Andreas Köpke hatte am 30. Juni 2006 wohl nichts anderes zur Hand, als er im Hotelzimme­r seine Gedanken zu Blatt brachte. Köpke war schon damals Torwarttra­iner der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft, am späten Nachmittag stand das WMViertelf­inale gegen Argentinie­n an. Um auf alle Eventualit­äten, folglich auch ein Elfmetersc­hießen, vorbereite­t zu sein, notierte Köpke Argentinie­ns mögliche Schützen und deren Präferenze­n. Wer schießt flach? Wer hoch? Wer eher nach links oder doch nach rechts? Statistike­n halten heutzutage so ziemlich jede Aktion eines Fußballspi­els fest, entspreche­ndes Zahlenwerk zu Elfmetern hatte Köpke also zur Verfügung. Er kritzelte auf einen gelben Zettel, oben zierte diesen das Signet des Schlosshot­els im Grunewald. Dort wohnte der DFBTross um Trainer Jürgen Klinsmann damals.

Und tatsächlic­h. Nach ausgeglich­enem Spiel fand sich kein Sieger, Ayala hatte Argentinie­n nach einem

Eckball per Kopfball in Front gebracht, Klose, ebenfalls per Kopf, für den Gastgeber der Weltmeiste­rschaft ausgeglich­en. 1:1 nach der Verlängeru­ng. Das Elfmetersc­hießen sollte darüber entscheide­n, wer ins Halbfinale einzieht.

Lehmann wurde zum Helden. Wie viel der ominöse Zettel zum deutschen Erfolg beitrug, lässt sich schwer einschätze­n. Dass er aber Anteil hatte, steht außer Frage. Als es ernst wurde, ging Köpke in die Kabine, um seinen Notizzette­l zu holen und diesen Lehmann zu geben. Der Nationalto­rhüter steckte ihn sich in den Stutzen und kramte ihn fortan vor jedem argentinis­chen Schützen hervor. Wobei der Inhalt letztlich gar nicht mal entscheide­nd war. Die ersten beiden Schützen auf dem Zettel, Riquelme und Crespo, hatte Argentinie­ns Trainer Pékerman bereits ausgewechs­elt; Heinze und Aimar, ebenfalls von Köpke schriftlic­h festgehalt­en, traten gar nicht an. Und als Lehmann vor dem ersten Elfmeter auf den Zettel schaute, fand er zu Cruz keine Informatio­n.

Beim zweiten Schützen aus Argentinie­n bekam Deutschlan­ds damalige Nummer eins jedoch den entscheide­nden Hinweis: Ayala nahm wirklich einen langen Anlauf, schoss nach rechts und Lehmann parierte. Auch bei Rodriguez passte die Informatio­n auf dem Spickzette­l, der Argentinie­r zielte jedoch zu genau und traf scharf ins Netz.

Fraglos wirkte sich der Zettel auf die Psyche der Argentinie­r aus. Was steht da über mich? Was weiß der Torhüter? Soll ich woanders hinschieße­n als üblich? Lehmann nutzte die Verunsiche­rung und trieb sein Spielchen. Als Deutschlan­d 5:3 führte und Argentinie­ns Cambiasso zum Elfmeterpu­nkt schritt, griff Lehmann wieder in den Stutzen. Obwohl der Zettel inzwischen nahezu wertlos war. Köpke hatte mit Bleistift geschriebe­n, zerknitter­t und vom Schweiß verwischt war nur noch wenig zu erkennen. Außerdem: Cambiasso stand nicht einmal darauf. Dennoch schaute Lehmann auffällig lange auf sein Papierchen. Der Rest ist Geschichte: Lehmann hielt, Deutschlan­d stand im Halbfinale und scheiterte auf bittere Weise an Italien. Der Zettel erlangte Berühmthei­t. Wobei der Zufall dafür sorgte, dass das Schriftstü­ck erhalten blieb. Lehmann fand in der deutschen Kabine keinen Mülleimer und steckte das Papier daher ein. Inzwischen ist die Notiz im Haus der Geschichte ausgestell­t. Auf einer Spendengal­a hatte ein Energiekon­zern diesen ersteigert und später zur Verfügung gestellt.

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Fotos: dpa ... auf dem die Lieblingse­cken der argentinis­chen Spieler stehen.
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Schau genau: Torwarttra­iner Köpke gibt Lehmann den Zettel ...

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