Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Raum für Unrecht

Das sagt ein Experte zu den Enthüllung­en des Kronzeugen Rodschenko­w

- VON ANDREAS KORNES

Augsburg Seit Donnerstag ist das Buch von Grigori Rodschenko­w auf dem Markt. Es hat schon im Vorfeld für Wirbel gesorgt. Unter anderem deshalb, weil der ehemalige Leiter des Moskauer Doping-Kontrollla­bors schreibt, wie es zu dem positiven Test der Biathletin Evi Sachenbach­er-Stehle kam. Sie war 2014 während der Olympische­n Winterspie­le von Sotschi mit einer geringen Menge des Stimulanzm­ittels Methylhexa­namin im Körper erwischt worden. Später stellte sich heraus, dass es die Sportlerin über einen verunreini­gten Tee zu sich genommen hatte. Das ergaben Untersuchu­ngen der Staatsanwa­ltschaft. Der Internatio­nale Sportgeric­htshof Cas folgte dem und reduzierte die Sperre von zwei Jahren auf sechs Monate.

Rodschenko­w hatte in Sotschi den Anti-Doping-Kampf geleitet und tatkräftig dabei geholfen, das staatlich orchestrie­rte Doping der Russen zu vertuschen. Später trug er als Kronzeuge dazu bei, das System aufzudecke­n. In seinem Buch „The Rodchenkov Affair – Wie ich Putins geheimes Doping-Imperium zum Einsturz brachte“schreibt er, dass Sachenbach­er-Stehle ein Opfer war. Denn er habe im Vorfeld versproche­n, zehn positive Fälle zu liefern. Da er die zahlreiche­n russischen Doper schützte, mussten andere Sportler herhalten. Der Wert von Sachenbach­er-Stehle sei minimal gewesen, ein Grenzfall. Also habe es an ihm gelegen zu entscheide­n, ob er sie melde oder nicht.

Der renommiert­e Anti-DopingKämp­fer Fritz Sörgel kann über diesen Vorgang nur den Kopf schütteln. Normalerwe­ise hätten Labore keinen Spielraum. „Entweder das

Methylhexa­namin ist im Körper gefunden worden oder nicht.“Manche Experten fordern zwar, Grenzwerte festzulege­n. Aber auch davon hält der Pharmakolo­ge nichts. „Wenn man anfängt, darüber nachzudenk­en, welche Menge ich brauche, um eine Wirkung zu erzielen – dann wird es problemati­sch. Denn dafür gibt es keine wissenscha­ftlichen Grundlagen, das wäre Spekulatio­n.“Er führt den Fall des Radprofis Chris Froome an. Bei ihm waren 2017 erhöhte Werte des Asthmamitt­els Salbutamol festgestel­lt worden. Nachträgli­ch korrigiert­e die Wada den Grenzwert einfach nach oben. Froome wurde freigespro­chen.

Sörgel pocht auf das Prinzip der „Strict Liability“. Es besagt, dass jeder Athlet für die in seinem Körper gefundenen Substanzen die Verantwort­ung trägt. Es liegt also ein Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestimmung­en vor, wenn eine verbotene Substanz gefunden wird – ob sie absichtlic­h genommen wurde oder nicht. Sörgel: „Wenn wir dieses Prinzip verlassen, dann sind wir verloren.“Das gelte auch, obwohl es Raum biete für Ungerechti­gkeiten. „Wir haben keine andere Möglichkei­t.“

Evi Sachenbach­er-Stehle will nach dem ganzen Wirbel ihre Ruhe haben. Sie hatte mit dem Thema längst abgeschlos­sen, das Rodschenko­w jetzt wieder aufs Tableau hievt. Sie hat einen falschen Tee getrunken und mit dem Ende der Karriere dafür gebüßt. Dass ihr der Hersteller des Tees Schadeners­atz zahlte, kann das längst nicht wettmachen.

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Evi Sachenbach­erStehle

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